Negativlauf von Union Berlin: Verlieren als Extremsport
Der 1. FC Union Berlin muss gegen Eintracht Frankfurt die zwölfte Niederlage in Serie hinnehmen. Die Fans feiern ihren Trainer Urs Fischer trotzdem.
Bereits eine halbe Stunde vor Anpfiff, fünf Minuten Fußweg vom Stadion entfernt, wusste man in Köpenick, wer der Mann des Tages werden würde und dass daran dieses Fußballspiel gegen Eintracht Frankfurt nicht das Geringste ändern könnte. „Urs Fischer“, schallte es mehrfach aus der Alten Försterei. Der Schweizer hatte wohl gerade erstmals den Rasen betreten.
Und als kurz vor der Partie bei der Mannschaftsvorstellung die Union-Fans traditionell lautstark ihrer 20 Fußballgötter, die im Kader standen, gehuldigt hatten, legten sie bei der Nennung des Trainers noch einmal etliche Dezibel drauf. Trotzig und bestimmt.
Es häufen sich die Anfragen an den Verein, welche Zukunft Urs Fischer noch hat. Eigentlich muss man das nach nun zwölf Niederlagen in Serie – gegen Eintracht Frankfurt unterlag das Team mit 0:3 – nicht für ungewöhnlich halten. Doch beim tonangebenden Union-Anhang erfüllt dies schon den Tatbestand der Gotteslästerung. Mit einem Transparent wurde deshalb die Presse geschmäht.
Dieser Verein ist grundsätzlich nicht so einfach zu verstehen. Selbst die Experten rätselten in den vergangenen drei Bundesligajahren, wie es nur sein konnte, dass Union mit seinen bescheidenen Mitteln trotz großer personeller Umbrüche immer mehr dieser knappen Spiele auf seine Seite ziehen konnte und sich erst für die Conference League, dann die Europa League und jüngst die Champions League qualifizieren konnte. Nun versteht keiner so genau, weshalb diesem mittlerweile prominent verstärkten Team kein Sieg mehr gelingen mag.
Rekordverdächtige 40 Flanken
„Wenn man sieht, was die Mannschaft aufwendet und was am Schluss dabei herauskommt, ist das so kurz nach dem Spiel schon frustrierend“, bilanzierte Urs Fischer. Die Glückskinder von einst scheinen mittlerweile das Pech anzuziehen. Gleich der erste Schuss von Gästestürmer Omar Marmoush fand in der 2. Minute durch Verteidigerbeine den Weg ins Tor, und sofort gesellte sich die Verunsicherung wieder ins Spiel von Union. Die Werbung für Sicherheitsschuhe auf der LED-Bande am Spielfeldrand wirkte wie ein Hilferuf. Nach einer knappen Viertelstunde traf erneut Marmoush begünstigt durch Unstimmigkeiten in der Abwehrzentrale.
Danach mühte sich Union nach Kräften. Rekordverdächtige 40 Flanken standen im Statistikbogen auf der Habenseite von Union. Gefährlich wurden sie jedoch nur selten. David Datro Fofana köpfte nach einer Flanke an die Latte, der eingewechselte Kevin Behrens später dann neben das Tor.
Dreimal hintereinander hat Union seine Heimspiele nun ohne eigenen Treffer verloren. Kapitän Christopher Trimmel sagte: „Wir versuchen es, wir trainieren, wir machen, wir tun.“ Am Ende sei man weder vorne noch hinten gut genug, so sein bitterer Befund. Von der einst gefürchteten Standardstärke ist beim Team von Urs Fischer nichts mehr zu sehen.
Zunehmend klingen auch die Statements der gegnerischen Trainer so, wie man sie früher von Union kannte. Eintracht-Coach Dino Toppmöller räumte ein: „Wir waren heute nicht viel auf Ballbesitz aus.“ Man habe vorgehabt, „extrem stabil“ in den Zweikämpfen zu sein. Bedenkt man zudem die hohe Effizienz und dass der erste Eintracht-Treffer durch einem Standard, der zweite nach einem langen Ball eingeleitet wurde, schaut das schon nach einer Raubkopie des Matchplanes aus, den Union lange Zeit so perfekt umzusetzen wusste.
Raus aus der Misere
Aber wie findet man nun aus der Misere heraus? Eine Antwort auf diese Frage versuchen die Unioner schon seit etlichen Spieltagen zu geben. „Irgendwie“ soll es gelingen. Die Ratlosigkeit nagt an den Betroffenen. Nur Urs Fischer begegnet aufgeregten Fragen mit Gelassenheit: „Man muss sich nicht Sorgen machen, wir müssen es besser hinbekommen.“ Schnelle Lösungen stellt er nicht in Aussicht. Er spricht von einem „Marathon“.
Die Zeit dafür scheint er zu haben. Wegen der zahlreichen Umbrüche in den Erfolgsjahren ist Urs Fischer die herausstechende Konstante im Verein. Neben der gern gepflegten Andersartigkeit der Union-Fans erklärt dieser Umstand, weshalb der Trainer, das eigentlich schwächste Glied in Zeiten des Misserfolgs, so eine starke Stellung einnimmt. „Toll“, fand es Fischer, „wenn man in so einer schwierigen Situation die Unterstützung spürt.“
Auch Präsident Dirk Zingler bekannte sich zu Fischer, weil der ein „hervorragender Trainer“ sei. Die Wagenburg steht beim 1. FC Union Berlin. In dieser Atmosphäre wäre keinem Trainer die Nachfolge von Fischer zuzumuten. Angesichts des Punktestandes des Drittletzten kann man einen Trainerwechsel für eine Option halten, aber eine wirkliche Wahl scheint die Vereinsführung von Union gar nicht zu haben. Urs Fischer müsste schon dem Beispiel seines Kollegen Bo Svensson folgen, der gerade beim 1. FSV Mainz 05 zu der Überzeugung kam, dass das Team neue Impulse braucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen