Vor Wahlen in Bangladesch: Textil-Arbeiter*innen in Aufruhr
Die Opposition demonstriert tagelang für eine Übergangsregierung, Textilarbeiter*innen marschieren für höhere Löhne. Es gibt Tote und Verletzte.
Am Samstag sollen in der Hauptstadt laut Polizei 200.000 Menschen demonstriert haben, laut den beiden Oppositionsparteien, Nationalpartei (BNP) und Dschamaat-i-Islami, sogar eine Million.
Schon am Wochenende sollen bei den Protesten laut Human Rights Watch mindestens elf Menschen, darunter zwei Polizisten, getötet worden sein. In den Folgetagen versuchte die Opposition, den festgenommenen Generalsekretär Mirza Alamgir der konservativen BNP mit einem dreitägigen Streik freizupressen. Die Polizei wirft ihm und anderen Oppositionsführern die Verantwortung für die tödliche Gewalt vor.
Ab Montag kamen noch Demonstrationen von nach Gewerkschaftsangaben 100.0000 Textilarbeiter*innen hinzu. Sie gingen für eine beinahe Verdreifachung ihrer Löhne in den Industriestädten Gazipur, Ashulia und Hemayetpur auf die Straße.
Auch Preiserhöhungen fachen Proteste an
Die Arbeitgeber sind nur zu Erhöhungen von 25 Prozent bereit. Auch bei diesen Protesten gab es zwei Tote. Noch am Donnerstag waren rund 300 Textilfabriken wegen der Proteste geschlossen. Zuvor waren einige Betriebe angezündet worden.
Die eskalierenden Proteste finden im Vorfeld der für Ende Januar erwarteten Wahlen statt und heizen das politische Klima weiter auf. Doch begann die Protestbewegung bereits im Sommer 2022, als es zu starken Preiserhöhungen kam, sagt der Bangladeschexperte Ali Riaz von der amerikanischen Illinois State University der taz.
Die Protestierenden fordern den Rücktritt von Premierministerin Scheikh Hasina von der Awami-Liga, die seit 2009 wieder regiert. Stattdessen soll bis zu den Wahlen im Januar eine neutrale Interimsregierung aus Technokraten die Amtsgeschäfte übernehmen und einen fairen Urnengang organisieren. Doch die Regierung lehnt dieses Verfahren ab, auch wenn es früher in Bangladesch üblich war.
Der Awami-Liga werden Korruption, Wahlmanipulation und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die 76-jährige Regierungschefin strebt jetzt ihre fünfte Amtszeit an, nachdem sie auch schon von 1996 bis 2001 Ministerpräsidentin war.
Opposition droht wieder mit Wahlboykott
Weil die Opposition die letzten Wahlen boykottiert hatte und die Awami-Liga deshalb fast alle Parlamentssitze hält, wird befürchtet, dass sie sich dann auch wieder selbst zur Siegerin kürt. Dies ist umso wahrscheinlicher, da die Opposition erneut mit einem Wahlboykott droht.
Hasinas Hauptrivalin, die zweimalige Premierministerin Khaleda Zia, steht seit 2020 unter Hausarrest. Ihr Gesundheitszustand gilt als kritisch. Ihre BNP wird von ihrem Sohn Tarique Rahman vom Londoner Exil aus geführt. Er rief die Bevölkerung zu fortgesetzten Protesten auf, damit das Land eine bessere Zukunft habe.
„Bangladeschs internationale Partner sollten darauf bestehen, dass Wahlen nicht als fair eingestuft werden können, wenn die Opposition ins Visier genommen, schikaniert und hinter Gitter gebracht wird“, erklärte Meenakshi Ganguly, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch.
Die US-Regierung hatte schon im September Visabeschränkungen für Personen erlassen, die „für die Untergrabung des demokratischen Wahlprozesses in Bangladesch verantwortlich oder daran beteiligt sind“.
„Seit 2014 hat es keine freie und faire Wahl mehr gegeben“
Es gehe nicht darum, ob die BNP eine Alternative zur Awami-Liga sei, sagt der bengalische Politikwissenschaftler Ali Riaz. Es gehe darum, das Grundrecht auf freie und faire Wahlen wiederherzustellen. „Seit 2014 hat es in Bangladesch keine Wahl mehr gegeben, die man als frei und fair bezeichnen könnte“, sagt er der taz.
Die letzten Parlamentswahlen seien eine Farce gewesen. Im Jahr 2018 gewann die Awami-Liga wegen des Oppositionsboykotts 288 der 300 Sitze. Im Vorfeld waren laut Medienberichten 2.000 Oppositionelle verhaftet worden. Die Opposition, die schon 2014 die Wahlen boykottiert hatte, erkannte das Ergebnis nicht an.
Zugleich wächst der Unmut in der Bevölkerung über die angespannte wirtschaftliche Lage. „Die Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen“, so Riaz. Deshalb kämpfen auch die Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsindustrie für existenzsichernde Löhne, nachdem die Regierung ihren Forderungen nicht nachkam. Bisher liegen die Löhne bei umgerechnet 70 Euro, gefordert werden jetzt 200 Euro.
Erst im Januar hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket von 4,3 Milliarden Euro geschnürt. Doch hat die Regierung die IWF-Bedingungen nicht erfüllt. Als Problem sieht Riaz aber nicht nur die Inflation als Folge von Pandemie und russischem Angriffskrieg. Die Regierung habe auch hohe Summen in Infrastrukturprojekte investiert, deren Kosten explodiert seien. Der indische Beobachter Pritam R. Bose verweist zudem auf die Korruption.
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