Serie „Die nettesten Menschen der Welt“: Geister der Gegenwart

„Die nettesten Menschen der Welt“ spiegelt den Horror einer intakten Gesellschaft. Die Serie ist eine gewagte Produktion der ARD.

Zwei Frauen sitzen sich an einem Tisch gegenüber

Das Bewerbungsgespräch um die Stelle als „Moral Values Officer“ endet tödlich Foto: NDR/Studio Zentral/Georges Pauly

Zwei Frauen sind zum Bewerbungsgespräch eines Tech-Unternehmes geladen. Kay (Stephanie Amarell) ist jung, hochintelligent, unerfahren. Petra (Silke Bodenbender) ist rund 20 Jahre älter, hochgebildet und sehr erfahren. Sie sitzen sich in einem klinischen Raum gegenüber und werden von einem Mann (Fabian Hinrichs) begrüßt, der über einen Bildschirm zugeschaltet ist: „Hey, willkommen bei Nutec, Food Science and Ethics. Ich bin Marco, Head of Human Resources. Danke, dass du mit uns als Moral Values Officer eine Unit führen und für Werte zuständig sein willst.“



Als erste Aufgabe müssen die Frauen sagen, was ihnen anein­ander gefällt. Eloquent tragen sie Komplimente vor, doch ihre Gesichter offenbaren Abneigung. Die Strategie der perfiden Befragung scheint aufzugehen: Die professionelle Fassade der Frauen bröckelt, sie werden immer nervöser und angriffslustiger. Als Kay merkt, dass ihr Mikrofon ein schrilles Fiepen bei der Hörgerät tragenden Petra erzeugt, dreht sie die Lautstärke voll auf, bis Petra vor Schmerzen kollabiert.



So weit, so weird. Doch das ist nur der Anfang. Nach einem Schnitt stellt sich heraus: Es war alles gefakt. Petra ist eigentlich Leiterin des Unternehmens und fragt Kay, warum sie um Hilfe gerufen habe, sie habe gewirkt wie ein hilfloses Mädchen. Dass „Nutec“ möglichst skrupellose Leute sucht, ist spätestens am Ende der zweiten Folge der sechsteiligen ARD-Serie „Die nettesten Menschen der Welt“ keine Überraschung mehr.

Bewerbungsgespräch endet tödlich

Spoiler Alert: Kay wird das schlechte Abschneiden zum tödlichen Verhängnis. Warum, bleibt genauso offen wie die Gründe für die Schicksale in den anderen Episoden: etwa das des Studenten Ben (Liam Mockridge), der seinem Mitbewohner Marten (Anton von Lucke) dessen Freundin Anne (Lena Klenke) ausspannt und von einem Monster heimgesucht wird.



Überhaupt bleibt vieles vage in der neuen Serie von Alexander Adolph, der sonst regelmäßig bei „Tatort“ Regie führt und hier zusammen mit Eva Wehrum das vor absurden Dialogen strotzende Drehbuch geschrieben hat.

„Die nettesten Menschen der Welt“ in der ARD-Mediathek

Gerade das Vage macht die Serie so erfrischend. Sie vermengt Elemente aus Horror, Fantasy und Science-Fiction und macht sich dabei zwei grundlegende Aspekte einer zeitgemäßen Horrorstory zu eigen. Erstens geht es kaum um den Schrecken von Außen in Form von Monstern oder Zombies, sondern um den Schrecken von Innen. Er bleibt zunächst verborgen und bricht bisweilen schockartig durch die dünne Wand der vermeintlich idyllischen Normalität. Zweitens ist nie klar, wer oder was hier das, der oder die Böse oder Gute ist.

Schock und Ambivalenz



Ästhetisch getragen wird die Serie vom tollen Cast, dem es gelingt, selbst bei den boshaftesten Handlungen wie Unschuldslämmer zu wirken, und von der eigenwilligen Bild- und Tonsprache. Während die Kamera mal aus Sicht einer Katze filmt, macht der Soundtrack oft das Gegenteil von dem, was deutsche Serien sonst gerne machen. Er verdoppelt die Bildebene nicht, er konterkariert sie. So manch spannende Szene wird, wie in der Doppelfolge „Elmchen“, mit gehauchtem Gitarrenzupfen unterlegt statt mit üblichem Archiv-Gedröhne.

So viel Lust an Genre-Konvention, Schock und Ambivalenz ist selten im Öffentlich-Rechtlichen, das so gerne auf eindeutiges, möglichst genrefernes Erzählen setzt. Gilt Letzteres doch immer noch oft als kulturell wertlos. Dabei steckt gerade darin oft viel Potenzial, insbesondere für alle, die künstlerischen Produkten gerne „politische Bedeutung“ zuweisen.



Ohne sie darauf zu reduzieren, ließe sich die Serie als Kritik auf eine Gesellschaft lesen, die aktuell wieder ziemlich gut darin ist, das Schreckliche zu verdrängen oder zu ignorieren. Es ist nicht wie „BRD Noir“, wie der Autor Frank Witzel einst Literatur und Filme aus den 60er- und 70er Jahren nannte, in denen sich die Geister des Faschismus hinter der Kulisse der wiederaufgebauten Kultur versteckten. Es ist eher „BRD Grau“. Die Geister sind nicht immer einfach nur böse und sie kommen nicht aus der Vergangenheit, sie kommen aus dem Jetzt. Das Projekt Gesellschaft ist hier auf gruselige Weise intakt – nicht trotz, sondern wegen der mörderischen Machenschaften, die verborgen bleiben.

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