Sexualisierte Gewalt in Kulturbranche: Aktionsplan steht
Theater und Film gelten als besonders anfällig für Machtmissbrauch – auch wegen befristeter Arbeitsverträge. Das soll sich ändern.
BERLIN epd | Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) will konsequenter gegen sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt in Kultur und Medien vorgehen. Dazu soll unter Federführung des Deutschen Kulturrates mit Branchenvertreter*innen bis zum Frühsommer ein Verhaltenskodex als freiwillige Selbstverpflichtung erarbeitet werden, wie Roth am Dienstag in Berlin ankündigte.
Sollte dieser sogenannte Code of Conduct dann innerhalb von zwei bis drei Jahren von den Unternehmen und Verbänden nicht umgesetzt werden, sollten Arbeitsschutzregeln verbindlich in staatliche Förderverträge etwa für Filmproduktionen geschrieben werden, erklärte Roth weiter. Der geplante Verhaltenskodex solle vor allem einen Diskussionsprozess zum Thema Machtmissbrauch und Sexismus anregen. Er ist Teil eines „Aktionsplans zur Förderung eines Kulturwandels“, den Roth am Dienstag vorstellte.
Dazu gehört auch ein Ausbau der Präventionsangebote der vor fünf Jahren gegründeten Beratungsstelle „Themis“ gegen sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt in der deutschen Kultur- und Medienbranche. Die vor allem von den Branchenverbänden getragene Beratungsstelle hat nach eigenen Angaben bislang mehr als 2.000 Beratungsgespräche, darunter 845 Erstgespräche mit Betroffenen geführt.
Weiter sieht der Aktionsplan vor, dass „Themis“ online verfügbare Instrumente zur Organisationsentwicklung auch kleineren Unternehmen zur Verfügung stellt. Ziel sei es, „niedrigschwellig einen Wandlungsprozess zugunsten diskriminierungsfreier Arbeitsstrukturen“ anzustoßen.
Schutz für freie Mitarbeiter*innen
Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, kündigte an, dass mit der geplanten Reform des Antidiskriminierungsgesetzes auch der Schutz von Freischaffenden geregelt werden soll. Sie plädierte zudem für Antidiskriminierungsklauseln in Honorarverträgen. Der gesetzliche Antidiskriminierungsschutz gelte bislang nur für angestellte Mitarbeiter*innen.
Die von „Themis“ erfassten Belästigungsformen gehen von verbalen, unangebrachten Äußerungen mit sexuellem Inhalt bis hin zu schweren Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Laut Ataman belegen Umfragen der Antidiskriminierungsstelle, dass 46 Prozent der Mitarbeiter*innen in den Kultur- und Medienbranchen in den vergangenen drei Jahren von sexueller Belästigung betroffen waren.
Bei einem Anruf bei „Themis“ melden sich den Angaben zufolge eine Juristin oder eine Psychologin mit Branchenkenntnissen. Auf Wunsch kann auch mit einer männlichen Person gesprochen werden. Sexuelle Belästigung liegt laut „Themis“ immer dann vor, wenn das Verhalten einer oder mehrerer Personen unerwünscht, übergriffig und einseitig ist. „Themis“ ist benannt nach der griechischen Göttin der Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Mit Blick auf in den Medien erhobene Vorwürfe gegen den Filmschauspieler und –regisseur Til Schweiger bei der Produktion des Films „Manta Manta – Zwoter Teil“ forderte Roth von der Produktionsfirma Constantin Film Aufklärung. Es gehe um eine staatliche Förderung von rund 2,1 Millionen Euro, sagte sie.
Leser*innenkommentare
Hanno Homie
Ich bin froh, dass dieser Artikel hier geschlechtsneutral formuliert ist. Ich habe oft den Eindruck, dass betroffene Männer es vergleichsweise schwer haben, sexuelle Übergriffe gegen sie als solche zu erkennen.
Aus meiner eigenen Erfahrung:
2014 habe ich im Rahmen meiner ehrenamtlichen Arbeit in einer kulturellen Institution aus dem links-alternativen Milieu von einer Frau unerwartet eine Liebeserklärung per SMS bekommen. Ich habe der Frau höflich geantwortet, dass sie nicht liebe. Danach war unser Arbeitsverhältnis von ihr ausgehend mehr als ein dreiviertel Jahr lang, bis zu meinem Weggang aus der Institution, unendlich höllisch kompliziert: Ich konnte in der Zusammenarbeit mit ihr praktisch nichts mehr richtig machen. Sie hat mir gegenüber absurde, unerfüllbare Forderungen aufgestellt, was ich zu tun hätte. Sie hat sich gegenüber Dritten regelmäßig über meine Arbeit beschwert. Als es gegen Ende meiner Zeit dort einen Konflikt über Finanzmittelverwendung gab - unsere Kassenprüferin hatte mehr Transparenz bei der Mittelvergabe eingefordert und ich hab die Kassenprüferin darin unterstützt - war besagte Frau in der Koalition, die unseren Abgang betrieben hat.
Das hat mich damals ziemlich belastet - auch lange hinterher. Und erst heute, mehr als 8 Jahre später, habe ich verstanden, dass das irgendwas zwischen sexueller Belästigung und Stalking war, was ich da erlebt habe.
In den gesellschaftlichen Narrativen in meinem Umfeld (und auch in der TAZ übrigens) kommt das praktisch nicht vor: Dass ein Mann Betroffener und eine Frau Täterin ist. Und ich hab neulich mal nachgesehen: In meiner Stadt gibt es mehrere Beratungsstellen zu Stalking. Die richten sich alle an weibliche Betroffene.