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75 Jahre IsraelMit offenen Grenzen

Gastkommentar von Hiba I. Husseini und Jossi Beilin

Palästinenser und Israelis, die die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben, formulierten gemeinsam einen neuen Plan: die Konföderation im Heiligen Land.

Bethlehem im Dezember 2022 Foto: Beata Zawrzel/NurPhoto/imago

M ag sein, dass der Osloer Friedensprozess tot ist. Eine Rechtfertigung, aufzugeben, ist das nicht. Deshalb haben wir, eine Gruppe von Palästinensern und Israelis, über zwei Jahre lang einen neu­artigen Vorschlag für eine Konföderation im Heiligen Land erarbeitet.

Seit Jahrzehnten trennt Palästinenser und Israelis im Friedensprozess eine Kluft. Verschiedene Vorschläge wurden zur Beilegung der Hauptstreitpunkte unseres Disputs gemacht: zum Verlauf der Grenze zwischen beiden Staaten, zur Zukunft von Jerusalem, dem Schicksal der israelischen Siedlungen und palästinensischen Geflüchteten wie auch zu kooperativen Sicherheitsregelungen.

Grundsätzlich besteht Einigkeit über die Prinzipien einer dauerhaften Konfliktregelung, wie sie die Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2016 festhält. Diese Prinzipien finden von allen Vorschlägen die größte Unterstützung bei Palästinensern und Israelis, auch wenn die Zustimmung bei beiden Völkern von einer absoluten auf eine relative Mehrheit sank. 30 Jahre nach Unterzeichnung der Osloer Prinzipienerklärung dauern Besatzung und Gewalt an.

Die Schuld dafür den Politikern zuzuschieben ist wenig hilfreich. Stattdessen könnten neue Ideen dieses stete Patt aufrütteln und Verhandlungen über eine dauerhafte Friedenslösung anstoßen. Angesichts der veränderten Ausgangslage erscheint es aussichtsreicher für eine bilaterale Einigung auf eine Zwei-Staaten-Lösung, wenn diese unter dem Schirm einer Konföderation konzipiert wird und wenn der Grundsatz der Gegenseitigkeit gilt.

Hiba I. Husseini

leitet eine Anwaltskanzlei in Ramallah. Sie hat die palästinensische Seite bei Friedensverhandlungen mit Israel beraten.

Jossi Beilin

ist israelischer Politiker der Arbeitspartei, ehemals Justizminister und Mitinitiator des Osloer Friedensprozesses wie auch der Genfer Initiative.

Siedler könnten bleiben

Wenn also die israelische Führung nicht mehr gezwungen wird, Siedler aus ihren Häusern zu holen, sollte derselben Zahl von Palästinensern ermöglicht werden, sich in Israel anzusiedeln. Prinzipiell könnte diese Lösung auch ohne Konföderationsvereinbarung umgesetzt werden. Eine israelisch-palästinensische Konföderation, die sich am Modell der Europäischen Union orientiert, hätte allerdings den Vorteil, dass sie eine verstärkte Wirtschafts- und Sicherheitskooperation mit sich brächte.

Zudem würde dieses Modell Bürgerinitiativen die das gegenseitige Verständnis stärken wollen und die Ablehnung und Feindseligkeit auf beiden Seiten abbauen, die Arbeit erleichtern. Die Konföderation im Heiligen Land sieht vor, dass zehntausende Bürger der beiden Staaten mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht auf der jeweils anderen Seite der Grenze leben.

Die israelischen Siedler, deren Ortschaften auf dem Territorium des zukünftigen Palästinenserstaats bleiben, könnten wählen, ob sie nach Erhalt einer angemessenen Entschädigung nach Israel umziehen, oder sie bleiben in Palästina und halten sich an die dort geltenden Gesetze und Regeln. Eine ebenso große Zahl palästinensischer Bürger könnten umgekehrt mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in Israel leben.

Kooperation statt Abgrenzung

Beide Gruppen, Israelis wie Palästinenser, nehmen jeweils an den eigenen nationalen Wahlen teil sowie an den Kommunalwahlen des Landes, in dem sie ihren offiziellen Wohnsitz haben. Sie genießen dort die gleichen bürgerlichen Rechte und erhalten die gleichen Sozialleistungen wie die Staatsbürger vor Ort. Palästinensische Geflüchtete von 1948 sollten in vereinbartem Umfang die Möglichkeit einer Einbürgerung haben.

Zudem ist ein gemeinsames historisches Narrativ anzustreben, das die wichtigsten Wegmarken in den Jahrzehnten des Konflikts umfasst. Bislang erschien es unmöglich, sich auf mehr einigen zu können, als die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geschichte zur Kenntnis zu nehmen. Sobald Kooperation den Vorzug vor Abgrenzung hat, wird sich das ändern. Die Grundlagen einer Konföderation, wie wir sie uns vorstellen, müssen nicht auf ewig Bestand haben, um einen wertvollen Beitrag zu leisten.

Es bleibt Israelis und Palästinensern überlassen, ob sie in der Zukunft stärker miteinander kooperieren oder eher weniger. Unverrückbar wird aber der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten sein. Dem Entwurf der Konföderation zufolge wird es einen sogenannten Landswap geben, dem zufolge Israel 2,25 Prozent der Westbank annektiert und eine gleich große Fläche an anderer Stelle an die Palästinenser abtritt.

Dementgegen flexibel wird – jeweils die beiderseitige Zustimmung vorausgesetzt – das Grenzregime und das Maß an Bewegungsfreiheit für Menschen und Güter. Im Abstand von mindestens allen vier Jahren sollte dann geprüft werden, ob weitere Liberalisierungen möglich sind. Ist aktuell der richtige Zeitpunkt für einen diplomatischen Vorstoß und kann der Vorschlag im herrschenden politischen Kontext den Friedensprozess wirklich neu beleben?

Aufgeben ist keine Option

Heute abgegebene Absichtserklärungen sagen nicht unbedingt etwas über zukünftiges Handeln aus: Israels Premierminister Menachem Begin lehnte 1977 den Abzug von der Sinai-Halbinsel strikt ab und gab schon wenige Jahre später selbst das Kommando dazu. Jitzhak Rabin lehnte noch 1991 Verhandlungen mit der PLO ab – und unterzeichnete 1993 die Osloer Prinzipienerklärung.

Und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mag politisch sehr geschwächt sein, aber es ist klar, dass er als einer der Mitbegründer der Fatah und später der PLO große Legitimität hätte, ein Friedensabkommen mit Israel zu unterzeichnen. Selbst wenn die Konföderation im Heiligen Land nicht von Dauer wäre, blieben einige ihrer Merkmale erhalten: der Grenzverlauf zwischen den zwei Staaten, der rechtliche Status der Bürger mit Wohnsitz im „anderen“ Staat, die Aufteilung Jerusalems in zwei Hauptstädte und natürlich die Regelung für die palästinensischen Geflüchteten.

Wir dürfen nicht aufgeben. Die Konföderation im Heiligen Land soll auf pragmatische und flexible Weise die Möglichkeit schaffen, die tief wurzelnden Ursachen des Konfliktes anzupacken und eine faire und ernstgemeinte Lösung anzugehen.

Aus dem Englischen von Stefan Schaaf

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2 Kommentare

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  • So, wie das hier beschrieben wird, wäre eine Konföderation die klassische Einstaatenlösung, denn dort würden ja auch alle wohnen bleiben, wo sie schon sind.

    Doch in der Ausgestaltung, wie das gehen soll, gibt es sehr viel Gestaltungsspielraum. Zudem bietet eine Konföderation natürlich die Möglichkeit einer Abgrenzung, quasi wie bei einer Zweistaatenlösung. Nur Außen- und Verteidigungspolitik blieben alleinige Kompetenz der Knesset.

    Weiter klingt es so, als würde der Status Quo rechtlich verstetigt. Im Großen und Ganzen, bliebe alles, wie es ist, nur der Status "besetzte Gebiete" fiele weg. Das böte vor allem wirtschaftliche Vorteile.

    Statt Landswap wären überlappende Verwaltungsgebiete sinnvoll wie sie schon von einem Geschichtswissenschaftler vorgeschlagen wurden.

  • Nichts dagegen. Miteinander ist immer besser. Checken EU Bürger teilweise nicht mehr. Vielleicht klappt’s unten besser.