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: Afghanistans Taliban stoppen jetzt auch NGO-Schulen

Die Taliban drehen in Afghanistan weiter an der Verbotsschraube. Das Bildungsministerium ordnete jetzt an, in den Südprovinzen Kandahar und Helmand alle nichtstaatlichen Bildungsaktivitäten zu stoppen. Das soll gelten, bis Differenzen bei der Führung der betreffenden Einrichtungen ausgeräumt und ein „nationaler Konsens“ hergestellt worden sei. Angeblich habe es Beschwerden gegeben. Eine vom Bildungsministerium ausgewählte Delegation soll jetzt alle diese Einrichtungen untersuchen.

Wer genau betroffen ist, bleibt nebulös. Das im Taliban-Brief verwendete Wort „muasesat“ bedeutet allgemein „Institutionen“, wird im Alltag aber vor allem für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), manchmal auch für die UNO gebraucht. Betroffen sein dürfte also vor allem die sogenannte gemeinschaftsbasierte Bildung. Das sind entweder Schulen in Gebieten, die das staatliche Bildungssystem nicht erreicht, außerschulische Lernzentren oder Kurse, in denen während des 20-jährigen letzten Krieges versäumte Schuljahre nachgeholt wurden, und oft in lokaler Privatinitiative entstanden. Finanziert werden sie häufig von der UNO und afghanischen wie internationalen NGOs, die dort oft auch Lebensmittel oder Milch an die Schü­le­r*in­nen verteilen.

Dass manchmal Jungen und Mädchen im selben Gebäude lernen, ist wohl ein Grund für die Beschwerden. Sie dürften allerdings eher von Taliban-nahen Geistlichen stammen. Taliban-Quellen nennen zudem mangelnde Transparenz und Korruption. In seiner Botschaft zum nahen Ende des Ramadan schreibt Taliban-Chef Hebatullah Achundsada: „Die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Okkupation enden jetzt.“

Dank der Registrierung der Vorgängerregierung zwecks Besteuerung von NGOs haben die Taliban einen guten Überblick über diesen Bereich. Allein in Kandahar gebe es 400 bis 500 solcher Schulen und Kurse für 20.000 Kinder; landesweit seien 118 afghanische und 60 ausländische NGOs in diesem Bereich tätig. Unicef betreibt nach eigenen Angaben landesweit 5.000 Nachholkurse, die zur Hälfte von Mädchen besucht würden.

Offenbar will der Führung um den ultrakonservativen Taliban-Chef, der in Kandahar sitzt, erst in der eigenen Hochburg aufräumen. Er hat bereits Mädchen ab Klasse 7 den Zugang zu Schulbildung, jungen Frauen zu Universitäten und vielen Frauen Lohnarbeit verboten. Auch das jüngste Arbeitsverbot für afghanische Frauen bei der UNO begann in einer Provinz, bevor es landesweit ausgedehnt wurde. Seitdem überprüft die Weltorganisation ihre gesamte Tätigkeit in Afghanistan. Thomas Ruttig