Künstliche Intelligenz: Wer hat Angst vor ChatGPT?

Die Entwicklung von KI schreitet voran und menschliche Arbeit könnten bald von Maschinen übernommen werden. Warum das kein Albtraum sein muss.

Roboter auf einer KI-Konferenz in München

Hoffnung oder Bedrohung? Ein Roboter auf einer KI-Konferenz in München Foto: Sven Hoppe/dpa

Die allermeisten Menschen würden gern weniger arbeiten müssen. Doch die allerwenigsten Menschen würden gern ihren Job verlieren. Angesichts des riesigen Sprungs, den wir gerade bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz erleben, stellt sich daher die Frage: Angenommen, Maschinen könnten bald unsere Jobs übernehmen – sollten wir uns davor fürchten oder darauf freuen?

Das Versprechen, Algorithmen könnten uns in unserem Alltag Arbeit abnehmen, ist nicht neu. Doch wirklich an Fahrt gewonnen hat die Diskussion darüber erst seit der Veröffentlichung von ChatGPT, dem Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI, im letzten Herbst. Dafür gibt es zwei einfache Gründe. Erstens: Die Maschinen sind besser geworden als noch vor wenigen Jahren, viel besser. Zweitens: Das kann je­de:r merken, denn sie sprechen jetzt unsere Sprache. Das schafft eine Zugänglichkeit und Alltagsrelevanz, die es vorher so noch nicht gab.

Sicher, sicher, ChatGPT ist nicht immer zuverlässig. Es kommt etwa vor, dass das Programm Fakten und Quellen erfindet. Trotzdem: Das System hat nicht nur Zugriff auf wahnsinnig viel Wissen. In den allermeisten Fällen versteht es auch, was wir von ihm wollen.

Demokratisierung von Wissen

Darin steckt, bei allen berechtigten Befürchtungen, auch ein emanzipatorisches Potenzial: Die Demokratisierung von Wissen. Stell dir vor, du hast immer eine Ärztin an deiner Seite, die dir Begriffe in einem Befund erklären kann. Oder einen Soziologen, der dir bei der Klausurvorbereitung hilft. Die Antworten werden nicht unfehlbar sein, aber sie sind überall, jederzeit und einfach verfügbar. Nur Menschen, die über einen sehr großen, sehr akademischen und sehr hilfsbereiten Bekanntenkreis verfügen, werden das nicht als Fortschritt empfinden.

Übertriebener Technikenthusiasmus, der davon ausgeht, dass bald alle menschliche Arbeit überflüssig wird, ist trotzdem falsch. Denn erstens braucht auch ein System wie GPT jede Menge menschliche Arbeit. Nicht nur die von hochbezahlten KI-Spezialist:innen, sondern auch die von Tausenden unterbezahlten Klickarbeiter:innen, über deren Arbeitsverhältnisse noch viel zu wenig gesprochen wird.

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Und zweitens sind die Maschinen ­gerade immer noch schlecht darin, mit der physischen Umwelt zu inter­agieren. Selbstfahrende Autos, seit Jahrzehnten ein beliebter Bestandteil von ­Zukunftsvisionen, sind immer noch weit davon entfernt, wirklich zu funktionieren. Der Google-CEO Sundar Pichai hält die Entwicklung ­künstlicher ­Intelligenz für einen ähnlich ­großen Fortschritt wie die Ent­deckung des ­Feuers, aber auf den Roboter, der ­unsere Wohnung aufräumt, werden wir noch eine ganze Weile warten müssen.

Gerade bei Arbeiten im Care-Bereich sind wir weit davon entfernt, diese an Maschinen abzugeben. Erzieher:in­nen etwa, von denen jede Menge fehlen. Es wird an Pflegerobotern gearbeitet, aber niemand geht davon aus, dass diese menschliche Pflege einmal ganz ersetzen können. Hier stößt Automatisierung an ihre Grenzen.

Bei Tätigkeiten, für die wenig mit der physischen Welt interagiert werden muss, ist es hingegen schon jetzt möglich, diese an Machine-­Lear­ning-­Systeme abzugeben. Wissenschaft, Journalismus, Jura, Grafikdesign, Marketing, Buchhaltung, Projektmanagement, Finanzberatung: Die Liste der Branchen, bei denen KI schon mindestens einen Teil der Arbeit machen kann, ist lang.

Wird ChatGPT Programmierer ersetzen?

Das heißt: Anders als bei vorherigen technischen Innovationssprüngen, etwa der Erfindung der Webmaschine oder des Digitaldrucks, sind es heute nicht die Handarbeiter*innen, sondern die Kopfarbeiter*innen, deren Tätigkeit durch Maschinen überflüssig wird. Ironischerweise gehört dazu auch und ganz besonders die IT-Branche, also jene, in der sich meist männliche Programmierer und Datenwissenschaftler in den letzten Jahren gerade wegen des KI-Hypes über teils astronomische Gehälter freuen durften.

Dass KI-basierte Lösungen nicht nur besser, sondern auch zugänglicher werden, muss man nicht nur schlecht finden. Die meisten von uns verbringen einen Teil ihrer Zeit mit repetitiven, ermüdenden Aufgaben, bei denen wir wenig Probleme damit hätten, diese an eine Maschine abzugeben. Ja, wer etwas an eine Maschine abgibt, verpasst eine Erfahrung. Aber wer vermisst es schon, seine Wäsche per Hand zu waschen, seit die Waschmaschine erfunden wurde?

Auch für die Gesellschaft lässt sich diesen Entwicklungen etwas abgewinnen: Stell dir vor, in ein paar Jahren wollen junge Männer nicht mehr Entwickler werden, sondern Erzieher, weil sie da besser verdienen. Stell dir vor, die KI übernimmt den Papierkram für die Ärztin, so dass diese selbst Zeit für ein ausführliches Gespräch über deinen Befund hat. Stell dir vor, wir geben so viel Arbeit an Maschinen ab, dass wir die Dreitagewoche für alle einführen können.

Es fällt schwer, sich das vorzustellen? Und viel leichter, sich eine Zukunft auszumalen, in der künstliche Intelligenz vor allem dafür eingesetzt wird, Menschen zu überwachen und zu beeinflussen, in der arbeitslos gewordene Programmierer vom Jobcenter drangsaliert werden und Erzieher immer noch so schlecht verdienen wie heute?

Eine Frage gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse

Auch solche Befürchtungen sind berechtigt. Wichtig ist: In welche Richtung es gehen wird, hängt nicht von den Maschinen ab, sondern von uns. Als vor 200 Jahren Maschinen zu gewaltigen Produktivitätssteigerungen in der Industrie führten, bekamen die Ar­bei­te­r:in­nen den Achtstundentag trotzdem nicht geschenkt. Sie mussten ihn erkämpfen, genau wie jeder andere gesellschaftliche Fortschritt immer erkämpft werden musste.

Daran hat sich nichts geändert, und daran wird auch künstliche Intelligenz nichts ändern. Denn wie, wofür und mit welchen Konsequenzen Maschinen eingesetzt werden, ist nicht nur eine Frage von technischer Entwicklung, sondern immer auch von politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen.

Klingt nach einer großen Aufgabe? Ist es auch. Aber wir können klein anfangen. Zum Beispiel, indem wir aufhören, uns von technischen Entwicklungen Angst einjagen zu lassen. Man muss nicht bis ins letzte Detail verstanden haben, wie GPT funktioniert, um darüber reden zu können. So richtig haben das nicht mal die Ent­wick­le­r:in­nen bei OpenAI, und selbst wenn, sind sie deswegen trotzdem noch keine Ex­per­t:in­nen für unsere Zukunft. Die müssen wir selbst in die Hand nehmen.

Eine längere Version dieses Textes ist Teil des neuen taz-Newsletters „Team Zukunft“, der immer donnerstags versandt wird: taz.de/teamzukunft.

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Redakteurin im Ressort Reportage&Recherche | Jahrgang 1990 | Seit 2014 Redakteurin der taz, zunächst im Berlinressort | 2016-2020 schwerpunktmäßig Recherchen zur extremen Rechten, dazu 2019 "Angriff auf Europa" im Ch. Links Verlag erschienen (mit C. Jakob, P. Hecht, N. Horaczek, S. am Orde) | 2020-2022 als Produktentwicklerin verantwortlich für die Konzeption der wochentaz | 2022-2023 Redakteurin im Ressort Zukunft – Klima Wissen Utopien | Seit 2023 im Investigativteam der taz.

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