Partystimmung wegen Jesus: Auf Höllenfahrt im Spackenexpress

Das Karfreitags-Tanzverbot bis faktisch 21 Uhr führt zu Horden von Menschen, die mit dir in die nächste freie Hansestadt fahren. Schön ist das nicht.

Kristina Vogt (Die Linke,), Wirtschaftssenatorin von Bremen, hält zur Eröffnung der Osterwiese 2023 einen Bierkrug in die Kamera

Muss am Karfreitag leider geschlossen bleiben: die Osterwiese in Bremen Foto: Sina Schuldt/dpa

Ich weiß nicht, ob Junge Liberale gegen das Tanzverbot an Karfreitag mobilisieren. Es ist auch nicht so wichtig. Sonst hätte ich’s im Internet nachgeschlagen oder notfalls noch einen ihrer Pressekasper angerufen, um zu fragen, ob und warum gerade hier nicht oder eben doch. Die Grünen frage ich auch nicht. Die sind bestimmt dagegen, von wegen „Dance Dance“ und weil’s ja auch strategisch gesehen völlig bescheuert wäre, sich die Chance entgehen zu lassen, mal nicht als Verbotspartei dazustehen. Gerade wo es hier ja auch wirklich überhaupt niemandem mehr weh tut, die Zügel locker zu lassen. Die Linke war schon immer dagegen, das ist ja klar.

Es ist überhaupt müßig, sich über den Stand des Liberalismus in Deutschland den Kopf zu zerbrechen. Der kommt halt hoch, wenn es gerade passt, und verschwindet auch wieder, sobald es ernst wird.

Dass ich trotzdem ins Grübeln kam, lag nun daran, dass ich mir entgegen meiner Gewohnheit tatsächlich vorgenommen hatte, am Karfreitag ins Konzert zu gehen. Nicht aus Protest und schon gar nicht zum Tanzen, sondern aus akademisch-nostalgischem Interesse. Und weil ich halt auf der Gästeliste stand.

Noch niemals habe jemand zu dieser Schmerzmusik getanzt

Goethes Erben sollten nach Bremen kommen, vielleicht kennen Sie die noch. Um den Auftritt an Karfreitag rankt sich ein Gerücht: dass nämlich der Veranstalter es geschafft habe, der Kulturbehörde zu erklären, dass noch niemals jemand zu dieser Musik getanzt habe und dass überhaupt der verquarzte Schwermut dieser Schmerzmusik dem stillen Feiertag durch und durch angemessen sei. Als wäre sie dafür geschrieben worden.

Das ist eine schöne Geschichte, die nur leider nicht stimmt. Tatsächlich lässt es Bremen einfach wie Berlin um 21 Uhr gut sein mit dem Tanzverbot. Und darum können Oswald Henke und Goethes andere Erben dann eben auch ohne Sondergenehmigung aufspielen: „Verstümmelung“ würde sicher auf der Setlist stehen, der „Traum vom Leben“ vielleicht und „Darwins Jünger“.

Prähistorisches Recht der Kirche

Der Kompromiss ist faul und ärgerlich, weil er der längst auch im eigenen Laden völlig marginalisierten Kirche ein prähistorisches Recht einräumt, das ihr schlichtweg nicht zusteht: nämlich Juden, Muslimen, Hindus, Atheisten und Teilzeitmystikern wie mir vorzuschreiben, was wir wegen Jesus zu tun und was zu lassen haben. Umgekehrt wäre ich aber auch als autoritärer Christ beleidigt, wenn zwar das Ordnungsamt nach meiner Pfeife tanzte (haha), dann aber um neun wieder damit aufhört. Also kurz bevor der erste Jungmensch auch nur anfängt, sich für seine sündigen Sauf- und Fickfeste die Haare schön zu machen.

Für uns Land­be­woh­ne­r:in­nen entsteht dadurch übrigens noch ein ganz anderes Problem. Normalerweise tanzt man hier nämlich eh nicht wild drauf los, nur weil Wochenende ist. Dafür gibt es Schützenfest, Maifeier, Karneval oder Feuerwehrbälle – und diesen verordneten Frohsinn nun ausgerechnet auf den Karfreitag zu legen, käme den zuständigen Dorfältesten ja nicht in den Sinn. So weit so gut.

Weil Bremen das Verbot nun aber qua Lockerung eventisiert, machen sich Horden von Feierwütigen aus dem niedersächsischen Gottesstaat in die freie Hansestadt auf, um mir die betrübt-besinnliche Anreise zum Erbenkonzert („Das Sterben ist ästhetisch bunt“, „Ein Licht erlischt“ oder „Ich liebe Schmerzen“) zu versalzen. Es ist wie mit verkaufsoffenen Sonntagen in der Kreisstadt: Man nimmt der Kirche ein Stück Macht und wird zur Strafe von Idio­t:in­nen zertrampelt. Aber wie heißt es doch so schön in der Bibel und/oder „Pulp Fiction“: „Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen.“

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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