Ausstellung in Kunsthalle Mainz: Alien fragt, Fledermaus antwortet

Wie wird Realität produziert, von Menschen und von anderen Lebewesen? Kuratorin Yasmin Afschar antwortet darauf in Mainz mit vier Künstlergruppen.

Zwei große Projektionen in einem dunklen Raum. Auf einem Screen sieht man eine rote abstrakte Szene, auf dem anderen ein blas geschminktes Gesicht

Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė inszenieren in Mainz ein Zwiegespräch zwischen Dämon und Mensch Foto: Norbert Miguletz

In ihrem 2021 erschienenen Buch „Alien Listening“ fragen sich die Musikwissenschaftler Daniel K. L. Chua und Alexander Rehding, wie irdische Musik von Außerirdischen wahrgenommen werden könnte. Sie spekulieren, wie sich außerirdische Existenzen wohl das Klangmaterial von Bach bis Chuck Berry zu Gehör bringen würden, das 1977 mit den beiden Voyager-Raumsonden auf den berühmten goldenen Daten-/Schallplatten ins All geschickt wurde. Wäre es wirklich ein Gehör, mit dem sie die in Schallwellen gespeicherten Informationen wahrnähmen?

Sucht man auf der Erde nach Lebewesen, deren Sinneswahrnehmung mit denen von Aliens vergleichbar wäre, bietet sich die Gattung der Chiroptera an. Zu ihr zählt auch die Fledermaus. Sie „liest“ ihre Umgebung wie ein Echolot, wenn ihre Schreie in Ultraschallfrequenz aus der Umgebung zurückhallen. Eine Fledermaus, schreiben Chua und Rehding, müsste nur in der richtigen Geschwindigkeit kreisförmig über die goldene Platte fliegen, um die von der Nasa ins All geschickte Information zu vernehmen; sie wäre ihr eigenes Grammofon.

Die Sensorik irdischer Lebewesen verglich auch der US-Philosoph Thomas Nagel mit derjenigen möglicher außerirdischer Existenzen. In seinem Aufsatz „What Is It Like to Be a Bat?“ bezeichnete er 1974 die Fledermaus als eine dem Menschen grundsätzlich fremde Lebensform, als alien, wie es dann im Englischen heißt. Für den Menschen könnte es genauso schwierig sein, sich in die Situation einer Fledermaus hineinzuversetzen, wie in die eines Marsianers. Aus Nagels Gedankenexperiment ließe sich die allgemeine Frage entwickeln, wie der Mensch gegenüber Lebewesen von einer anderen Bewusstseinsform, mit denen er zusammenlebt, respektvoll umgehen kann?

Diese zu beantworten sieht die schweizerisch-iranische Kuratorin Yasmin Afschar, derzeit Interimsdirektorin der Kunsthalle Mainz, als dringlich an. „Angesichts einer Welt am Rande des Klimakollaps benötigen wir neue Modelle für das Miteinander unterschiedlicher Lebensformen“, schreibt sie zu ihrer Ausstellung „What Is It Like to Be a Bat?“ in der Kunsthalle. Und versammelt in Mainz die Arbeiten von vier Künst­le­r*in­nen bzw. -gruppen.

Sog vom Ultrawidescreen

Das in Hongkong lebende Duo Zheng Mahler übersetzt den Titel der Schau in menschlich-sinnliche Erfahrung. Dafür nutzt es zunächst eine eher konventionelle Darstellung technisch erhobener Daten, wenn es im ersten Ausstellungsraum auf einer großflächigen Zeichnung die Ultraschallschreie einer Fledermaus visualisiert.

Doch in den weiteren drei Teilen seiner Werkreihe „What Is It Like to Be a (Virtual) Bat?“ bringt Zheng Mahler das kuratorische Konzept Afschars künstlerisch sehr nahe an die Aus­stel­lungs­be­su­che­r*in­nen heran. Man mag gängige VR-Videos in fluoreszierenden Farben und mit einer Neo-Sombient-Soundtextur nervig finden, aber die knapp 17 Minuten auf einem Ultrawide­screen, auf dem Insekten als Lichtpunkte erscheinen und es vor Fledermäusen wimmelt, entwickeln den Sog einer flirrenden Welt, man meint, zusehends ein Teil von ihr zu werden.

Zheng Mahler bietet den Betrachtenden mit diesem Video eine regelrechte Bewusstseinsverschiebung an, um „mehr Empathie zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren zu fördern“, wie es in einer begleitenden Publikation heißt.

Ab diesem Punkt aber spielt die Fledermaus in der Ausstellung (fast) keine Rolle mehr. Wie bei Thomas Nagel dient das Tier auch bei Kuratorin Afschar nur als Metapher für die Unterschiede „zwischen subjektivem Erfahren und objektivem Wissen“.

Im 40-minütigen Film „Capture“ der Amsterdamer Künst­le­r*in­nen­grup­pe Metahaven, einer halb poetischen, halb pseudowissenschaftlichen Collage über objektive Methoden der Beobachtung und ihre subjektive Verzerrung, taucht das Fledertier noch einmal kurz auf – neben Mäusen, Schmetterlingen oder Kirschen-als-Elektronen. Metahaven macht aber vielmehr die Flechte als das interessante Lebewesen aus. Sie stehe zwischen Alge und Pilz, entziehe sich den Kategorien.

Dämon in der Feldlandschaft

„What Is It Like to Be a Bat?“: Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė, Metahaven, Jenna Sutela, Zheng Mahler. Kunsthalle Mainz. Bis 4. Juni 2023

Dieses Ablassen von eindeutigen Kategorien lässt sich auch auf die künstlerischen Beiträge der Mainzer Ausstellung übertragen. Auf die erst verwirrende Videoarbeit des polnisch-litauischen Duos Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė insbesondere. Darin findet ein ohne Sinn erscheinender Dialog zwischen zwei Figuren – einem Menschen und einem Dämon? – in einer Feldlandschaft statt.

Erst im Verlauf des Videos wird deutlich, dass Gawęda und Kulbokaitė hier eine Welt nach dem Klimakollaps darstellen. „Zeichne mir den Anstieg des Meeresspiegels“, sagt der Dämon feixend, und spricht an, wie unmöglich es ist, die Postapokalypse überhaupt künstlerisch abzubilden. In dieser Ausstellung lässt sich die Welt vom Ende der Zivilisation aus betrachten. Fledermäuse gibt es übrigens seit 50 Millionen Jahren, hierzulande gehören sie zu den am stärksten bedrohten Säugetieren. Aliens fragen: What Was It Like to Be a Bat?

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