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Film „Das Blau des Kaftans“ aus MarokkoHände, die Goldornamente nähen

Tabu der Homosexualität: Die marokkanische Regisseurin Maryam Touzani erzählt in ihrem Film von verschwindenden Traditionen.

Einträchtig? Youssef (Ayoub Missioui, l.), Mina (Lubna Azabal) und Halim (Saleh Bakri) Foto: Arsenal Filmverleih

Die Farbe des Kaftans im Mittelpunkt von Maryam Touzanis Film ist etwas Besonderes. Nicht gewöhnliches Blau, sondern ein leuchtendes Petrol sehen Schneider Halim und seine Frau Mina in dem Festgewand, das eine Kundin bestellt hat. Sechs Monate wird sie warten müssen, bis es von Hand mit üppigen Goldbordüren bestickt ist. Keine andere Kundin, die begehrliche Blicke darauf wirft, wird ihr den versprochenen Kaftan mit einem saftigen Aufpreis streitig machen können.

Der Film

„Das Blau des Kaftans“. Regie: Maryam Touzani. Mit Lubna Azabal, Saleh Bakri u. a. Frankreich/Marokko/Belgien/Dänemark 2022, 122 Min.

Mina (Lubna Azabal) und Halim (Saleh Bakri), ein kinderloses Paar jenseits der 40, führen in „Das Blau des Kaftans“ eine kleine, wie aus der Zeit gefallene Werkstatt in der Altstadt der marokkanischen Stadt Salé. Dabei ist es Mina, die mit dem Stoffhändler verhandelt, die Kundinnen berät und manchmal entschieden schnippisch deren Sonderwünsche abwehrt.

Halim, der Malemm genannte Meister seiner aussterbenden Kunst, wirkt verschlossen und scheu, außer wenn er zum Beispiel bemerkt, dass ein seidener Kaftan nicht eng anliegen dürfe, sondern den Körper umspielen solle, oder wenn er handgefertigte Knöpfe bewundert, die er einer Heimarbeiterin abkauft.

Die marokkanische Drehbuchautorin, Schauspielerin und Regisseurin Maryam Touzani war lange in London als Journalistin tätig, bevor sie in ihr Land zurückkehrte und mit ihrem Mann Nabil Ayouch an drastisch gesellschaftskritischen Filmen arbeitete, die beim Filmfestival in Cannes großen Anklang fanden.

„Das Blau des Kaftans“ ist nach „Adam“ (2019) Touzanis zweiter Film mit einer ganz anderen eigenwilligen Handschrift: Beide Filme suchen nostalgisch nach dem authentischen Marokko jenseits seiner rasanten modernen Entwicklung, beide entwerfen als Kammerspiele halbwegs märchenhafte Visionen davon, wie kulturelle Tabus durch die individuelle Stärke ihrer Figuren zauberhaft überwunden werden.

Hommage an die Schneiderkunst Marokkos

Ging es in Maryam Touzanis Debütfilm „Adam“ (2019) um eine alleinerziehende Mutter und eine von ihrer Familie verstoßene Schwangere, die sich, zunächst einander fremd, am Ende zusammenraufen, eine traditionelle Bäckerei in der Medina erfolgreich am Leben halten und den neuen Erdenbürger Adam begrüßen, verknüpft „Das Blau des Kaftans“ seine Hommage an die schwindende Schneiderkunst Marokkos mit einer Liebesgeschichte, die das geltende Tabu der Homosexualität sanft aus den Angeln hebt.

Die faszinierende kleine Zwischenwelt des Films verdankt sich nicht zuletzt den Bildern der polnisch-belgischen Kamerafrau Virginie Surdej. Ihr Spiel mit dem Hell-Dunkel der Innenräume, ihre Großaufnahmen der Hände, die feine Goldornamente nähen (die Hände eines echten Malemm), und die Schraffur wechselnder Bildschärfen, wenn die gefühlte Nähe der Personen zu kippen droht, schaffen eine besondere Sinnlichkeit.

Mina und Halim pendeln zwischen Laden und Wohnung, den kaum beleuchteten intimen Schauplätzen des Films. Großfamilie und Nachbarn sind ausgeblendet, alles konzentriert sich auf ihre Zweisamkeit, zu der als dritter Protagonist Halims neuer Lehrling Youssuf (­Ayoub Missioui) stößt.

Spannung, wenn nicht Eifersucht ist in Minas Blicken spürbar, während Halim scheinbar regungslos die Anziehung unterdrückt, die das Bild des jungen Mannes auf ihn ausübt, etwa in der wiederkehrenden Szene, in der er im Sonnenlicht vor dem Laden damit beschäftigt ist, Goldfäden zu üppigen Kordeln zu zwirbeln.

Mütterliche Liebe der Ehefrau

Wie die allmähliche Entstehung des Kaftans den melancholischen Rhythmus der Geschichte vorgibt, braucht es Zeit, bis sich Youssuf traut, Halim vorsichtig zu umarmen. In kleinen Gesten und Berührungen am Arbeitstisch und Minas Fragen über die Fortschritte des Lehrlings zeigt sich, dass sie weiß, was lange nicht offen zur Sprache kommen konnte. Halim liebt Mina und schämt sich seiner Homosexualität, aber lebt sie bei seinen Besuchen im Hamam.

Maryam Touzanis Szenario weist der belgisch-marokkanischen Schauspielerin Lubna Aza­bal, einer zierlich-kraftvollen Erscheinung schon in „Adam“ und vielen anderen Filmen aus dem arabischen Raum, in „Das Blau des Kaftans“ die Rolle einer mütterlich Liebenden zu, die zugleich auf die Liebe und Zuwendung Halims angewiesen ist. Auf andere Weise verletzlich als der scheinbar unerreichbare Halim, verschlimmert sich Minas von Beginn an präsente Erkrankung im Lauf der Monate, in denen der blaue Kaftan vollendet werden sollte.

Als Youssuf begreift, was Mina für den Geliebten bedeutet und was auf dem Spiel steht, setzt er sich über dessen Zurückweisung hinweg und arbeitet im Haus der beiden weiter – mit einem Mal Teil einer heiteren Ménage à trois. Tanzen am offenen Fenster, vor den heimlichen Augen der Medina, ist plötzlich möglich.

Um das ergreifende Ende des Films nicht zu spoilern, sei nur verraten, dass Touzani ihrem Figurenensemble Geheimnis und Poesie zugesteht, auch wenn es schwerfällt, ihr zuzugestehen, dass erst ein Abschied geschehen muss, ehe ihr Film von einem neuen Beginn träumt.

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