Lungenfachärztin über Long Covid: „Frühe Hilfe ist wichtig“
Jördis Frommhold hat Deutschlands erstes Institut zur Beratung von Long-Covid-Betroffenen gegründet. Die Versorgung dürfe nicht aufgeschoben werden.
taz: Frau Frommhold, es gibt Menschen, die kämpfen schon seit fast 3 Jahren mit Long Covid. Wie sieht die Versorgung der Betroffenen inzwischen aus?
Jördis Frommhold: Das ist ein großes Problem. Wir haben hier eine enorme Anzahl von chronisch kranken Patienten, die nicht nur eine Diagnostik vom Facharzt brauchen oder Krankschreibungen vom Hausarzt oder irgendeine Reha. Das sind Menschen, die monatelang krankgeschrieben sind, aber häufig keinerlei weitere therapeutische Hilfestellung an die Hand bekommen. Wir können Long Covid noch nicht heilen, aber gerade die frühen Hilfen sind wichtig. Bevor die Menschen nur noch im Bett liegen können.
Zu Beginn der Pandemie gab es viele Ärzt:innen, die hinter Long Covid vor allem eine psychische Problematik vermutet haben. Hat sich das gewandelt?
Dieses Lager gibt es leider immer noch. Gerade bei jungen Frauen werden selbst schwerwiegende neurologische Symptome häufig abgetan. Tatsächlich ist das Krankheitsbild zu komplex, um es in nur eine Schublade zu stecken. Es gibt Patienten, die verstärkt von Erschöpfung betroffen sind. Da ist die Ursache wahrscheinlich autoimmunologisch. Dann gibt es Long-Covid-Patienten, die das größte Problem im Bereich der Atemmechanik haben. Da sind dann alle Untersuchungen der Lunge und vom Herz unauffällig, und trotzdem kommen die Leute nicht die Treppe hoch oder haben Schmerzen in der Brust.
Dann gibt es wiederum Menschen, die vor allem kognitive Einschränkungen haben. Das könnte ein Gefäßproblem sein. Wir verstehen die Probleme noch nicht komplett. Aber deshalb zu sagen, das ist alles psychosomatisch – da machen es sich die Leute echt zu einfach.
Beim Erschöpfungssyndrom ME/CFS ging es den Betroffenen jahrzehntelang so.
Das ist leider eine traurige Wahrheit. Wir wissen schon lange von postinfektiösen Syndromen, die nicht nur psychosomatisch zu erklären waren: nach Epstein-Barr-Virus, nach Borreliose, nach der Spanischen Grippe, nach Influenza. Wobei Symptome auch durch psychosomatische Vorerkrankungen verstärkt werden können, und es auch kein Wunder ist, wenn sich bei monate- oder jahrelang allein gelassenen Patienten zusätzlich seelische Probleme einstellen.
Es gibt vermutlich Hunderttausende Betroffene. Und nun seit 1. Januar Ihr eines Institut für Long-Covid-Betroffene hier in Rostock.
Der Ansturm war schon vor der offiziellen Eröffnung riesig. Wir betreuen Patienten aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland, ungefähr die Hälfte per Videosprechstunde. Wir verstehen uns als eine Art Lotse für das weitere therapeutische, aber auch sozialmedizinische Vorgehen und etablieren damit eine neue Form der Versorgung am Beispiel von Long-Covid-Betroffenen.
Wie kann das therapeutische Vorgehen aussehen?
Es gibt je nach Diagnose die Möglichkeit bestimmter Atemtherapien, ergotherapeutische und verhaltenstherapeutische Ansätze, medikamentöse Behandlung. Auch experimentelle Therapien kommen infrage. Aber wenn es dann bei den Patienten vor Ort gar nicht die Strukturen gibt oder sie monatelang auf Termine warten, ist das ein Problem. Wir werden jetzt auch noch eine Psychologin und einen Physiotherapeuten einstellen und mit Teletherapie arbeiten. Außerdem planen wir weitere Institute an anderen Standorten.
Bezahlt Sie die Bundesregierung? Die hat schließlich im Koalitionsvertrag eine flächendeckende Versorgung der Long-Covid-Betroffenen versprochen.
Nein. Wir haben mit Eigenmitteln begonnen und eine Anschubfinanzierung vom Land Mecklenburg-Vorpommern erhalten. Der Bund setzt auf Schwerpunktambulanzen für Long-Covid-Betroffene, aber nach allem, was ich weiß, sind die hauptsächlich für die Diagnostik zuständig, und Betroffene müssen oft monatelang auf Termine warten.
Klar muss ich bei Schmerzen in der Brust ausschließen, dass nicht demnächst der Herzinfarkt kommt. Diagnostik ist wichtig. Aber wenn dann nichts Organisches gefunden wird, kann man die Menschen nicht einfach nach Hause schicken und alleine lassen.
Bezahlt die Krankenkasse die Patientensprechstunden bei Ihnen?
Bisher nicht. Wir hoffen, dass sich das noch in diesem Quartal ändert und wir unser Angebot in die Regelversorgung kriegen. Im Moment kostet eine Erstberatung 60 bis 80 Euro.
Die meisten Therapien sind auch kostenpflichtig.
Das ist richtig und liegt daran, dass das alles off-label genutzt wird. Im Grunde ist es ja nachvollziehbar, dass die Krankenkassen keine Therapien bezahlen, die für das Krankheitsbild noch nicht ausreichend erprobt sind. Aber wir können es uns auch nicht leisten, dass für die Betroffenen noch mal anderthalb Jahre verstreichen.
Manche geben aus Verzweiflung bis zu 15.000 Euro für Verfahren wie Blutwäsche aus. Private Anbieter verdienen daran und nur Betroffene mit Geld können sich die Behandlungen leisten. Ist das nicht eine krasse Form von Klassenmedizin?
Das ist ein Riesenproblem, das muss man so sagen. Unser Ansatz ist es, genau zu schauen, für wen welche Therapie sinnvoll ist, und dann mit dem geringsten Aufwand zu beginnen. Wer sich in der Versorgung von Long-Covid-Betroffenen auskennt, weiß, welche symptomorientierten Therapieoptionen auch kostensparend genutzt werden können.
Jemand mit Problemen in der Atemmechanik braucht keine Blutwäsche. Bei jemandem mit Fatigue, der schon alles andere ausgeschöpft hat, kann das Verfahren unter Abwägung der Risiken Ultima Ratio sein. Wir geben den Patient:innen Empfehlungen an die Hausärzte zur Weiterbehandlung mit, damit nicht noch weitere Kosten entstehen.
Und die setzen das dann um?
Viele ja, leider nicht alle. Aber die Betroffenen müssen dauerhaft betreut werden.
Viele Menschen mit Long Covid standen vorher mitten im Berufsleben. Wenn es im Moment keine Heilung gibt, was bedeutet das für die Arbeitswelt?
Die Menschen wollen ihr Leben zurück und gehen gleich wieder 100 Prozent in den Job. Dahinter steckt der Leistungsdruck unserer Gesellschaft, aber natürlich auch die Sorge um die eigene finanzielle Existenz. Und dann wird das so ein Ping-Pong-Spiel zwischen Überlastung und wieder zur Arbeit gehen, bei dem sich die Erschöpfung immer weiter verfestigt. Im schlimmsten Fall sind die Leute irgendwann dauerhaft arbeits- oder erwerbsunfähig, bettlägerig oder im Rollstuhl.
Was hilft da?
Hier muss eigentlich sofort eine Beratung stattfinden, und zwar nicht nur der Betroffenen. Die Wiedereingliederung von Long-Covid-Patienten ist eine Aufgabe für den ganzen arbeitsmedizinischen Bereich. Der hat ja bisher ein Schattendasein geführt. Häufig wissen die Betroffenen selbst, was für sie geht, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt. Es gibt Menschen, die können erst einmal nur zwei Stunden am Tag arbeiten, müssen sich alle zwei Stunden für eine halbe Stunde hinlegen, brauchen mehr Home Office oder alle zwei Tage einen Tag frei. Die klassische Wiedereingliederung können wir vergessen.
Und das sollen die Arbeitgeber:innen mitmachen?
Wir hatten neulich eine Veranstaltung mit der Industrie- und Handelskammer, natürlich kommen da Vorbehalte. „Meine Leute müssen 100 Prozent leisten, wenn sie wieder im Job sind“, heißt es da zum Teil von Arbeitgebern. Aber ganz ehrlich, was wollen sie denn machen angesichts des Fachkräftemangels? Wir können es uns nicht leisten, dass die Long-Covid- und ME/CFS-Betroffenen, die noch arbeiten könnten, alle erwerbsunfähig werden. Also müssen wir ihnen ein Arbeitsumfeld geben, das für sie funktioniert.
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