Flugabwehrsysteme für Polen: Polens Problem mit den Patriots
Die Regierung in Warschau zeigt sich unentschlossen nach dem Angebot aus Berlin, Flugabwehrsysteme zu liefern. Die PiS pflegt ihr Antideutschtum.
I m 15. Jahrhundert fand eine der größten Schlachten des Mittelalters statt: die Schlacht bei Tannenberg zwischen den polnischen und litauischen Armeen unter Władysław Jagiełło auf der einen Seite und dem Heer des Deutschen Ordens unter Ulrich von Jungingen auf der anderen. Chronisten der polnischen Geschichte berichten, dass kurz davor die germanischen Abgesandten dem polnischen König zwei riesige Schwerter brachten.
Umstritten ist, ob dieses Geschenk Ausdruck des Respekts oder eher eine List war, um die polnischen und litauischen Armeen dazu zu bringen, die deutsche Armee anzugreifen und schnell zu verlieren. Der Legende zufolge ließ sich Jagiełło nicht provozieren. Er nahm das Geschenk an und sagte: „Wohl besitzen wir Schwerter im Überflusse, diese beiden nehme ich aber doch auf, da ich sie als ein Zeichen des kommenden Sieges betrachte.“ Gesagt, getan. Polen und Litauen gewannen die Schlacht.
Seither ist viel Wasser die Donau heruntergeflossen. Der Deutsche Orden existiert nicht mehr, Polen, Litauen und Deutschland befinden sich in einem Militärbündnis. Einem Verbündeten Waffen anzubieten, ist Ausdruck einer Freundschaft. So musste die Antwort der polnischen Regierung auf den Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz, Patriot-Luftabwehrsysteme auf polnischem Gebiet zu stationieren, einigermaßen verwundern. Sie war rätselhaft.
Erst hieß es: Ja, bitte, dann wieder: Nein, danke. Dazwischen stand ein Interview von PiS-Chef Jarosław Kaczyński mit der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Wenn Deutschland wolle, so der frühere Regierungschef, könne es die Patriots am besten gleich an die Ukraine liefern.
ist Vorstandsmitglied der Stiftung Kultura Liberalna in Polen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich Affective Societies, Freie Universität Berlin. Sie hat zwei Söhne und pendelt zwischen Berlin und Warschau.
Die Assoziation zur Schlacht bei Tannenberg ist keineswegs zu weit hergeholt. Die Anekdote über Ulrich von Jungingen stand lange Jahre für die polnischen Vorurteile gegenüber Deutschen. Hinterhältigkeit, Doppelzüngigkeit und gleichzeitig der zum Sturz führende Stolz sind die wichtigsten Elemente des Stereotyps.
Nur kein Signal der Normalisierung
ist Chefredakteur des polnischen Online-Wochenblatts Kultura Liberalna und Pop-Back-Fellow an der Universität Cambridge.
Kaczyńskis Erklärung berührt genau diesen Punkt. Die PiS-Europaabgeordnete Beata Mazurek unterstellte der deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf Twitter einen PR-Trick. Lambrecht wollte mit dem Luftabwehrsystem das eigene Image aufpolieren sowie der prodeutschen Opposition in Polen unter die Arme greifen.
Polen ist zum Frontland geworden und verfügt über ganze zwei Patriot-Luftabwehrsysteme. Es könnte zusätzliche Raketen gut brauchen. Gleichzeitig wäre das kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Polen in diesem Konflikt nicht zwischen Russland und Deutschland steht, sondern zwischen Russland und den USA, bei denen die EU nun um Hilfe anfragt.
Kaczyński betrachtet die Frage der Patriots jedoch nicht aus einer geopolitischen Perspektive. Es gibt für ihn ein viel wichtigeres Ziel: die Parlamentswahlen 2023. Der antideutsche Treibstoff, der sich bereits an der Reparationsfrage entzündet hat, spricht seine treueste Wählerschaft an. Traumata aus der Vergangenheit wirken bis in die Gegenwart. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis war leider eines der wichtigsten Elemente zur Legitimierung der kommunistischen und undemokratischen Regime.
Die Forderung nach Reparationen wird von nahezu 70 Prozent der PiS-Wählerschaft für machbar gehalten. Wenn die PiS-Regierung die Patriot-Raketen annähme, würde sie damit signalisieren, dass Deutschland ein ganz normaler Nachbar, Partner und Verbündeter ist. Stattdessen braucht Kaczyński vor den Wahlen einen bequemen äußeren Feind. Rationalität und strategische Politik unterliegen dem Ad-hoc-Interesse der Parteien.
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