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Beim Bummeln durch die StadtUnd dann begegnet man dem Hass

Es ist nicht schön, wenn man auf der Straße grundlos angeschrien wird. Wenn jemand vor Wut spuckt. Und wenn man einfach weitergeht.

Immer weiter schlendere ich und denke, warum? Foto: Ulrich Perrey/dpa/picture alliance/

W enn ich durch die Stadt bummele, finde ich immer was, der Boden ist voller Dinge und nie ist er voller, als im Herbst. Im Herbst fällt auf einmal alles runter, der Wind wirbelt es durcheinander und dann liegt es wieder still und fault vor sich hin, anfangs noch hübsch bunt, später braun und schwarz und modrig.

Das ist der Herbst. Er ist so schön. So dunkel. So sonnig. So warm.

Dieses Jahr war der Herbst so warm. Ich gehe in ihm herum und finde Sachen. Ein Pappkarton mit Geschenken: Ein Edelstahlpflegespray, ein Bauklötzchen, auf dem der hintere Teil einer Kuh abgebildet ist, und eine auf MDF-Platte aufgezogene Fotografie. Ein Mann und ein Junge, im Hintergrund Berge.

Ich bummele weiter und denke, warum? Immer weiter schlendere ich und denke immer weiter, warum?

Warum will man ein privates Foto verschenken? Man kann doch so ein Foto nicht verschenken, wenn es die Leute noch gibt. Und wenn es sie nicht mehr gibt? Dann legt man doch erst recht das Foto dieser toten Leute nicht auf die Straße? Und wer überhaupt soll so ein Foto von unbekannten Leuten geschenkt haben wollen? (Dieses Foto war ja auf keine Weise ein irgendwie künstlerisches Foto, es hatte ja, außer für die abgebildeten Menschen, gar keinen erkennbaren Wert. Ich würde sogar sagen, es war kein besonders gutes Foto.)

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich grübele also, bis mich in der Bahrenfelder Straße eine Frau anschreit. Sie hasst mich aus ganzem Herzen, das kann ich in ihren Augen sehen. Sie schreit mich in einer mir unverständlichen Sprache an, einer möglicherweise jedem Menschen auf der Welt unverständlichen Sprache, außer natürlich ihr. Sie ist normal gekleidet, sieht nicht schmutzig oder verwahrlost aus, ungewöhnlich ist nur ihr Hass.

Sie spuckt vor Wut. Sie stampft mit den Füßen auf und ihre Stimme überschlägt sich, wird rau. Sie brüllt wie ein Tier und sie hasst mich. Sie hasst jeden Menschen, der ihr zufällig entgegenkommt.

Ich frage mich, ob man ihr helfen könnte. Sie wirkt nicht verletzt oder als ob sie körperliche Schmerzen hätte, sie scheint nur sehr wütend. Und ich habe Angst. Ich weiß nicht, wozu sie fähig ist. So laufe ich an ihr vorbei.

Es ist normal. In der Stadt laufen Leute herum, die einen anschreien. Das hat man schon erlebt. Das ist die Stadt

Die Leute laufen alle an ihr vorbei. Die Frau schreit die Leute an, die Leute laufen vorbei, als würden sie überhaupt nicht angeschrien, und so geht es eben. So geht es immer. Es ist normal. In der Stadt laufen Leute herum, die einen anschreien. Das hat man schon erlebt. Das ist die Stadt. Da kann man nichts machen.

Auch in meinem Haus wohnt ein Schreier. Er reißt sein Fenster im Erdgeschoss auf und schreit: „Ihr Amifotzen! Putin wird kommen – und – euch alle töten!“ Leute laufen an ihm vorbei und tun, als wären sie nicht gemeint. Dabei sind sie gemeint. Wir alle sind gemeint. Ich will das Haus verlassen, ich öffne die Haustür, da steht er vor mir und schreit mir mitten ins Gesicht: „Die Deutschen haben nichts aus ihrer Geschichte gelernt!“

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Die Worte hören sich nicht vollkommen falsch an, auch wenn er etwas ganz und gar Falsches damit meint. Ich sage „Okay“ und gehe meiner Wege. Was soll man tun? Ich weiß es nicht.

Als ich wieder an der Kiste vorbeikomme, sehe ich mir das Bild mit den fremden Leuten genauer an. Sie schreien nicht, sie ­spucken nicht, sie liegen nur so da, in einer Zu-ver­schen­ken-Kiste und wollen, dass man sie als Geschenk annimmt, dass jemand sie haben will. Aber das will nun mal niemand. Ich glaube nicht.

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Schriftstellerin
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21 Kommentare

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  • Eine wirklich nachdenklich stimmende Geschichte. So gut geschrieben, gern gelesen.

    Um zu den notwendigen aber bedrückenden Gedanken etwas hinzuzufügen, das sie wieder auf eine froher gestimmte Bahn lenkt:

    Man weiß nie, wer einem so alles begegnet. Mancher von denen ist leider auch Haß geladen. Aber...

    facebook:

    www.facebook.com/r...spmo&s=F5x8gs&fs=e

    Wer kommt einem denn da auf der Straße entgegen? Ist das nicht der...

  • Vielen Dank für die Betrachtungen beziehungsweise der Widergabe von Irritation.



    Bitte nicht aufhören zu suchen.

  • Diese Leute haben in unserem eher schlechten System nicht die psychische Behandlung und Langzeit Begleitung bekommen die sie gebraucht hätten um ein halbwegs gelingendes Leben zu führen, ohne diese Anfälle. Die meisten Obdachlosen haben Posttraumatische Belastungsstörungen, oft wegen sexuellem Missbrauch im Kindesalter, psychische Krankheiten oder Geisteskrankheiten, sie landen mangels professioneller Hilfe und auch durch Selbstmedikation mit Alkohol und harten Drogen auf der Straße. Die Sucht ist ein zusätzliches Problem und verstärkt oft die Symptome ihrer Krankheiten bzw Schädigungen und Störungen. Ich finde das einfach nur tragisch, denn diese Leute sind unschuldig in Not geraten, hatten oft von Geburt an keine Chance, sie sind durch unterlassene Hilfeleistung erst recht krank gemacht worden und werden weiterhin im Stich gelassen, was eine absolute Schande für "die Gesellschaft" ist!



    Ich würde diese bedauernswerten "Scheisfotzen-verrecktalle" Kreischer in der Fußgängerzone nicht mit sowas Scheußlichen wie einem Nazi in einen Topf werfen. Bei dem geht es um Hass, bei den anderen würde Glianimon helfen oder Neurocil, Haldol usw. , das sind übrigens Antipsychotika, keine Antihass-Mittel.

  • ICh weiss nicht, ob man sich um jeden schrägen Vogel und jede verkorkste Situation kümmern muss. Vielleicht sind das gerade die Dinge, warum ich nicht gerade ein "Menschenfreund" bin, und es foffentlich auch nicht sein muss. Ich denke, (Groß)Stadt mach viele Menschen "anders", vielleicht irre, schräg, sonderbar, agressiv. Oder sie fallen dort in der Menge schneller auf als irgendwo draussen im Wald.

    • @maestroblanco:

      Ich würde eher sagen, sie bevorzugen die Großstadt, weil man sie dort in Ruhe lässt. Auf dem Dorf fallen sie auf - allerdings gibt es da auch eher eine Gemeinschaft, die sich um sie kümmert. Wer das annehmen kann, der bleibt, wer in Ruhe gelassen werden will, sucht die Anonymität.

  • "So schnell kannst du gar nicht um dein Leben rennen, du Hure" rief mir einer hinterher, als ich am Checkpoint Charlie zum Bus lief.



    Ich denke dass es sinnlos ist, mit diesen Personen irgendwas zu diskutieren.

  • Muss ein Problem von bestimmten Städten sein. Sowas habe ich noch nie erlebt, nicht in Ulm, nicht in Stuttgart und nicht in München.



    Daher ... Wayne

    • @silicananopartikel:

      Zumindest für München kann ich vermuten, daß es an der sehr geringer Toleranz für Person, die etwas abseits der Norm sind liegt.



      Der früher politisch völlig inkorrekt "Penner" genannte Personenkreis ist seit gefühlt 30 Jahren weggentrifiziert.

    • @silicananopartikel:

      In der Provinz werden sie produziert, in den Großstädten landen sie.

      • @aujau:

        Ach, wie schön einfach, Ihre Erklärung. Vielleicht ists auch umgekehrt. Stadtleben ist nicht für alle gesund.

        • @resto:

          Die Menschen bringen ihre Probleme mit und agieren sie im relativ liberalen Klima der Großstädte aus. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass jemand der in der Großstadt aufgewachsen ist, sich im ländlichen Gebiet so verhalten kann.

          • @aujau:

            Das ist aber eine völlig andere Aussage als die erste. Das wäre jetzt eher "in der Provinz bleiben sie nicht, wenn sie dort produziert werden, in der Großstadt landen am Ende alle".



            Wobei man die Frage stellen könnte, wo mehr "produziert" werden, das wäre wirklich interessant, ob die Enge (aber eben auch Kontrolle) eher hilft oder eher schadet.

  • Seitdem mehrmals Personen auf Gleise oder Straßen geschubst wurden, rufe ich bei aggressiv schreienden Menschen in der Nähe solcher Gefahrenstellen immer die Polizei. Ich kann nicht beurteilen, ob so ein Mensch ewig weiter schreit oder irgendwann mal jemanden aus Haß vors Auto oder die U-Bahn schubst.

    • @Benno Groß:

      Angesichts der Unfähigkeit der Polizei, mit Menschen im psychischen Ausnahmezustand umzugehen und diverser Todesfälle sollten Sie sich das vielleicht überlegen.

      • @blutorange:

        Sie meinen, so etwas komme ständig vor? Mir ist da auf jeden Fall meine eigene und anderer Leute Sicherheit erstmal prioritär.

        • @resto:

          Eine angemessene, würdevolle Behandlung ist es m. E selten. Deeskalierend auch eher nicht. Und bei Schreierei auf der Straße richtet sich die Aggression häufig gegen Imaginäre oder bleibt halt bei Schreierei, somit wäre Ignorieren das bessere Mittel.

  • Wer weiß wie lange sich schon niemand mehr für die beiden interessiert.

    Aber danke für den Text.

  • Ein Schrei geht auch im Wald, Tiere erschrecken da weniger und bleiben wo sie sind, die sind das Verhalten der Menschen schon gewohnt. Die verlassen die Wege nicht, sind also kaum eine Bedrohung. Oder er klingt auch auf der Wiese -und am Meer in die rauschende Brandung wird er sogar schon romantisch. Der Schrei wurde sogar schon als Kunst tonlos berühmt. Oder kleinen Kindern gegenüber wurde er sogar besungen - dass er bei den zarten Ohren gar nicht gut ist. Obwohl im Kindergarten das Schreien zu einer sehr lauten und gewöhnlichen Gegenwart wird. Aber da schreien auch nicht die Erwachsenen, die Mächtigen, da wird eher um die kleine Macht oder zumindest Aufmerksamkeit gerungen.



    Der Schrei war schon immer voller Emotion - aber meist eher sinnlos, weil Ziele damit selten erreicht werden konnten.



    Obwohl - Auf der Straße erreicht er vielleicht sogar einige Ziele wie Aufmerksamkeit, vielleicht Angst und Vergessen und schnell weg.

    Schreien war schon immer voller Emotion - aber meist eher sinnlos, weil Ziele damit selten erreicht werden können.



    Obwohl - Auf der Straße erreicht er vielleicht sogar einige Ziele, Aufmerksamkeit, vielleicht Angst und Vergessen, also - schnell weg.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Es heißt, dass die Liebe mehr wird, wenn sie geteilt wird. Das trifft leider auch für den Hass zu, aber d a s „Geschenk“ darf abgelehnt werden. Da lese ich lieber den schönen Text von Katrin Seddig. Danke dafür.

  • Das sind so oder ähnlich auch meine Gedanken zum Gefühl der Enfremdung in der Stadt. Schön, dass es anderen auch so geht und super geschrieben. Danke. Andererseits ist es auch gut, dass jede/r in der Stadt so sein kann wie er/sie ist ohne gleich beäugt zu werden.

  • Schöner Text. Danke.