30 Tage Haft für Blockierer in München

Wer sich in Bayern auf die Straße klebt, landet oft im Knast. Möglich macht das ein umstrittenes Gesetz

Aus München Dominik Baur

Montagvormittag vorvergangener Woche am Münchner Stachus. Der Verkehr rauscht auf dem Altstadtring am Stachus vorbei. Noch. Dann zwingen fünf Aktivisten der Bewegung Letzte Generation die Autofahrer anzuhalten, drei von ihnen kleben sich mit je einer Hand auf der Fahrbahn fest. Die Polizei ist kurz darauf vor Ort, doch bis die Straße freigegeben wird, vergehen anderthalb Stunden.

Die Aktivisten, darunter die 18-jährige Maria Braun, erwartet nun nicht nur ein Strafbefehl wegen Nötigung im Straßenverkehr und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, sie werden gleich in Gewahrsam genommen. Präventivgewahrsam nennt sich die Maßnahme, sprich: Hiermit soll verhindert werden, dass sich eine von der Straße entfernte Demonstrantin am nächsten Tag gleich wieder wo festklebt.

30 Tage lang können Menschen in Bayern weggesperrt werden, um vermutete Straftaten oder schwere Ordnungswidrigkeiten zu verhindern. Die Haft kann danach noch einmalig um weitere 30 Tage verlängert werden.

Im Fall der Schülerin werden es zwar nur 6 Tage Haft sein, aber insgesamt sind über 30 Aktivisten in Präventivgewahrsam genommen worden – zum Teil für 30 Tage. Einer von ihnen trat vor mehr als einer Woche in Hungerstreik. 30 Tage Haft für eine Verkehrsstörung?

Markus Söder findet: Ja. Der Augsburger Allgemeinen sagte der bayerische Ministerpräsident: „Ein Rechtsstaat muss eine klare Linie haben, wenn es um Leib und Leben geht oder um Eigentum und Sachbeschädigung.“ Söder fordert härtere Strafen – auch Haftstrafen – gegen die Aktivisten und sieht das bayerische Vorgehen durch den Volkswillen legitimiert: „Die große Mehrheit der Deutschen hält Straßenblockaden für falsch.“

Katharina Schulze hat Verständnis für die Aktivisten – obwohl sie deren Klebereien für kontraproduktiv hält. „In der Zielsetzung ‚Mehr Klimaschutz‘ bin ich ganz d’accord“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, „ich glaube aber nicht, dass diese Form des Protests der Sache dient.“

Das andere ist der jetzige Umgang des Staates mit den Aktivisten: Dass jetzt Menschen auf Grundlage des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) weggesperrt werden, dafür hat Schulze kein Verständnis. Das Gesetz wurde vor fünf Jahren auf den Weg gebracht. „Es zeigt sich jetzt, dass die Tausenden von Menschen, die 2018 in Bayern gegen das PAG auf die Straße gegangen sind, das richtige Grundgefühl hatten.“ Mit der derzeitigen Präventivhaft von bis zu zwei Monaten stehe Bayern allein auf weiter Flur, kritisiert Schulze.

Auch unter Juristen ist das Gesetz umstritten. So wie das Instrument der Präventivhaft jetzt angewandt wird, vergrößert sich die ohnehin schon große Skepsis der Kritiker noch einmal. „Ich finde das, vorsichtig formuliert, extrem problematisch“, sagt Markus Krajewski, der den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Uni Erlangen-Nürnberg innehat. Dabei lehnt er Präventivhaft nicht grundsätzlich ab. „Wenn ein Mann mit dem Messer vor der Wohnung seiner Ex-Frau steht und sagt: ‚Ich bring dich um!‘, dann muss ihn die Polizei natürlich erst mal aus dem Weg schaffen.“ Da sei eine Präventivhaft von 48 Stunden völlig angemessen.

Aber 30 Tage für eine gewaltfreie Protestaktion? „Der Gedanke des Gesetzes wird auf diese Weise pervertiert.“ Terroranschläge, Amokläufe und Stalking – dass waren die Beispiele, mit denen Ministerpräsident Söder bei der Einführung des Gesetzes dessen Notwendigkeit begründete. Stattdessen geht es nun gegen Klimaaktivisten.

Dabei, so Krajewski, „ist ja noch nicht einmal geklärt, dass das, was die Aktivisten da machen, überhaupt eine Straftat oder eine schwerwiegende Ordnungswidrigkeit ist.“ Mit der Präventivhaft nehme die Polizei die Antwort auf diese Frage einfach mal vorweg.

Abwarten ist jedoch nicht das, was der bayerischen Staatsregierung derzeit vorschwebt. „Der Rechtsstaat darf sich nichtx von den Klima-Chaoten an der Nase herumführen lassen“, stellt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) klar. „Wenn die Täter dann auch noch selbst ankündigen, zeitnah weitere Aktionen durchzuführen, müssen sie mit einer Gewahrsamnahme rechnen, um Wiederholungstaten zu verhindern.“