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Proteste in IranFrau Leben Freiheit

Essay von Golineh Atai

Seit Jahren stehen die iranischen Frauen an vorderster Front gegen das unterdrückerische Regime. Der Westen darf ihrem Kampf nicht tatenlos zusehen.

Illustration: Katja Gendikova

D er zentrale Protestslogan seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa Jina Amini im Polizeigewahrsam lautet „Frau, Leben, Freiheit“. Das ist alles andere als ein Zufall. Denn die Feindschaft gegen Frauen gehört von Beginn an zu den politischen Grundpfeilern der Islamischen Republik Iran. „Wenn die islamische Revolution kein anderes Ergebnis haben sollte als die Verschleierung der Frau, dann ist das per se genug“, hat Revolutionsführer Ruhollah Chomeini einst gesagt.

Nur wenige Tage nachdem der Ajatollah seinen Fuß auf iranischen Boden gesetzt und die Regierung des letzten Monarchen gestürzt hatte, erhob er das Schwert seiner Revolution als Erstes gegen die Frauen. Fast alle Gesetze, die zum Schutz der Frau verabschiedet worden waren, sollten seiner Idee des Islam zum Opfer fallen. Zum ersten Mal in der iranischen Geschichte waren Ehescheidungen bis zu diesem Zeitpunkt Sache von Familiengerichten mit staatlich examinierten Richtern anstelle von Geistlichen.

Die männliche Polygamie wurde auf eine Zweitfrau begrenzt. Das Recht der Frau auf Arbeit wurde gefördert, bezahlter Mutterschaftsurlaub und Kinderbetreuung wurden ermöglicht. Die Geistlichkeit verurteilte damals diese Gesetze als „Prostitutionsförderung“ und prophezeite moralischen Verfall. Linke Parteien und Gruppen kritisierten die Gesetze als „Verwestlichung“ des Iran.

Klerus und Linke setzten gemeinsam die Revolution in Gang. „Die Freiheit der Frau ist die Freiheit der Gesellschaft“, stand dagegen auf den Bannern jener Iranerinnen, die 1979 protestierten: gegen die neuen islamischen Bekleidungsvorschriften, gegen den Verlust zahlreicher Rechte. Irans Frauen waren die größten Verliererinnen der Revolution.

Chomeini setzte das Heiratsalter für Mädchen auf neun Jahre herab. Männer konnten wieder vier Frauen heiraten, und Richterinnen gehörten fortan der Vergangenheit an. Wer in der Schule aus dem Rahmen fällt, muss gehen. Im Laufe der Jahrzehnte konnte ein kleiner Handspiegel in der Tasche, weiße Sportsocken, ein Haarreif unter dem obligatorischen Kopftuch oder eine hervortretende Haarsträhne zu Diskriminierung und Ausschluss führen.

Verschmelzung von Regierung und Religion

Das Hauptproblem der Iranerinnen war nicht der Islam, der je nach Zeit und Ort anders interpretiert wird, sondern die Natur der Islamischen Republik: ein „theokratisches System, erschaffen aus der politischen und gesetzlichen Verschmelzung von Regierung und Religion“. Der theokratische Staat kann mit seinen Erzfeinden in Verhandlungen treten – nicht aber mit den Iranerinnen. Die politischen Machthaber haben mehr Angst vor den Frauen als vor ihren ideologischen Gegnern.

Golineh Atai

kam 1974 in Teheran zur Welt. Die Fernsehjournalistin war ARD-Korrespondentin in Kairo und Moskau. Seit Anfang 2022 leitet sie das ZDF-Studio in Kairo.

Über die Frau kontrolliert das Regime die Gesellschaft. „In rechtlicher Hinsicht sind die Frauen die größten Leidtragenden im über 40 Jahre währenden Experiment der Islamischen Republik“, bringt es die iranische Anwältin und Menschenrechtlerin Mehrangiz Kar auf den Punkt. Wenn es tatsächlich einen tiefgreifenden Wandel im Iran geben sollte, wird er auf die Frauen zurückgehen, die Jahrzehnte dafür Opfer brachten, ohne sich einschüchtern zu lassen.

Frauen stehen an vorderster Front des Widerstands gegen das Unrecht. Sie stehen der Macht­elite gegenüber. Sie haben das Regime in seinem Wesen kennengelernt – und an einem bestimmten Punkt innerlich überwunden. Das macht ihre Stärke aus. Eine Stärke, hinter der sich jetzt große Teile speziell der jüngeren Generation versammeln.

Dass der Westen diesen ungemeinen Unmut, diese Wut im Lande nicht viel früher erkannte und darauf adäquat, nämlich mit harter Kritik am Regime, reagierte, hat zwei Gründe, einen außen- und einen eher innenpolitischen. Außenpolitisch ist es die – durchaus berechtigte – Angst vor einer iranischen Atombombe, die jede Debatte im Westen über die Menschenrechte im Iran seit Jahren lähmt. Das Nuklearabkommen steht im Fokus.

Die Verhandlungen darüber sind inzwischen so alt sind wie die Generation, die jetzt auf die Straßen geht und der ein solches Abkommen im Übrigen vollkommen gleichgültig ist. Innenpolitisch war es dagegen die Unterscheidung zwischen angeblichen „Reformern“ und „Hardlinern“, die es dem Regime seit Jahrzehnten ermöglichte, dem Rest der Welt die Illusion einer lebendigen Demokratie zu vermitteln – mit vermeintlichen seriösen Machtwechseln und Millionen von Wählern.

Gottessouveränität vor Menschensouveränität

Die Islamische Republik Iran ist ein zweigeteilter Staat, in dem gewählte Institutionen die täglichen Staatsgeschäfte verwalten – im Schatten des weitaus mächtigeren Obersten Führers. Dieser hat erhebliche Macht, aber eine geringe Rechenschaftspflicht, er kann jede Verantwortung auf Gewählte – sprich: auf den Präsidenten – abwälzen.

Eine der Hauptsäulen seiner Macht sind die Revolutionsgarden, die, wie sie selbst sagen, genau wissen, was sie dem Führer bringen müssen, wenn er nach einem Hut verlangt: einen Kopf. Die Revolutionsgarden zerschlagen Massenproteste, beugen einem militärischen Staatsstreich vor, sie haben eine korrupte Schattenwirtschaft aufgebaut und eine Medienholding gegründet, mit der sie ihre Propaganda in erstaunlich modernem Gewand unters Volk bringen.

Wir aber tun immer noch so, als stünden sich im Iran liberal-progressive und illiberal-reaktionäre Machtgruppen diametral gegenüber. Wir tun immer noch so, als würde unsere Unterstützung der Reformer die Demokratisierung des Iran herbeiführen. Und wir haben uns immer noch nicht mit der eigentümlichen Inkonsistenz ihres Reformprojekts beschäftigt, geschweige denn die Verfassung der Republik verstanden.

Die Diktatur der Rechtsgelehrten stellt Gottessouveränität vor Menschensouveränität. Sie beansprucht die einzig wahre Interpretation des Islam. Sie legitimiert politisch motivierte Gewalt. Sie lässt keine Trennung zwischen Staat und Religion zu. Diese Ordnung ist seit 1979 weitgehend reformunfähig – ungeachtet aller „Reformer“.

„Staub und Schmutz“

Die letzte Hoffnung der Reformer war die sogenannte Grüne Bewegung von 2009, als Millionen auf die Straße gingen, um friedlich – und vergeblich – gegen die manipulierte Wiederwahl Ahmadinedschads zu protestieren. 2009 markierte eine Wende, ein Jahr der Wahrheit. Tausende fragten auf der Straße nach dem Verbleib der Stimmen von Millionen von Bürgern.

Ahmadinedschad verwendete den Begriff „Staub und Schmutz“, um die drei Millionen Menschen zu beschreiben, die in einem Schweigemarsch in Teheran gegen die Wahlfälschung protestiert hatten. Für ihn waren sie schlechte Verlierer des gegnerischen Lagers. Waren es am Ende siebzig, achtzig oder hundert Todesopfer?

Tausende wurden festgenommen, viele Verhaftete in politischen Schauprozessen verurteilt, und ihre absurden, weil erzwungenen Geständnisse wurden im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Doch auch damals zögerte der Westen, an der Spitze US-Präsident Barack Obama, die iranischen Demonstranten von 2009 anzuerkennen und sich von Anfang an mit klaren Worten auf ihre Seite zu stellen.

Im Juni 2021 wählte der Machtkern des Regimes mit dem Geistlichen Ebrahim Raissi einen loyalen Soldaten zum Präsidenten – einen ehemaligen Justizchef, der Todesurteile schnell und effektiv ausgestellt hatte und der nun als Präsident den Willen des Obersten Führers exakt und prompt umsetzt. Immerhin: Nach den sogenannten Präsidentschaftswahlen von 2021 hat der Machtkern endlich sein wahres Gesicht gezeigt und die Täuschungsmanöver Richtung Westen eingestellt.

Drohungen, Psychoterror und Gewalt

Der ehemalige Revolutionsrichter war in den ersten Jahren nach der Revolution für die Hinrichtung von mindestens fünftausend politischen Gefangenen mitverantwortlich, für den größten Massenmord in der Geschichte des Iran. Und wieder schwieg die EU, schickte gar einen hochrangigen Gesandten zu Raissis Amtseinführung und signalisierte Bereitschaft, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten.

Die neue Regierung trieb das Projekt der „Re-Islamisierung“ voran mit immer weiteren Kontrollen der Sittenwächter auf den Straßen. Was Mahsa Jina Amini widerfuhr – eine Geschichte, die von Drohungen, Psychoterror und Gewalt erzählt –, ist eine Geschichte, die iranische Familien millionenfach selbst erlebt haben: die Sorge vor dem Verschwinden der Töchter; die Demütigung, wenn Eltern ihre Kinder von der Wache abholen müssen; die Angst, dass Kinder hinter Gittern landen, wenn sie sich zur Wehr setzen, oder Schläge und Peitschenhiebe erdulden müssen.

All dem zum Trotz wurde der Iran im April 2021 erneut in die Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen gewählt – ein Gremium, das sich weltweit um Geschlechtergleichheit und die Förderung von Frauen bemühen soll. Auch wenn die Welt und speziell der Westen schweigt: Die Frauen im Iran lassen sich nicht mehr mit der Hoffnung auf angebliche Reformen vertrösten. Sie wissen, dass für das Regime die Kontrolle über den weiblichen Körper die Kontrolle der gesamten Gesellschaft bedeutet.

Ob sich der Westen seiner Verantwortung bewusst ist, ein Zeichen der Solidarität an die Iranerinnen zu senden, Menschenrechtsverletzungen offen anzuprangern und Unterdrückung zu erkennen und zu verurteilen, ist die eigentliche Frage. Mittel stehen zur Verfügung: die Vereinten Nationen, die Rechtswege des Haager Tribunals, des Internationalen Strafgerichtshofes und der UN-Menschenrechtsrat.

Jetzt gilt es, die Islamische Republik vor den Augen der Welt zur Rechenschaft zu ziehen für die massiven Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Dieser Text erschien in längerer Fassung in der November-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ (www.blaetter.de).

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11 Kommentare

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  • Mal ganz konkret gefragt (weil ich es wirklich nicht weiß): was genau können andere Staaten denn tun?

    "Die Vereinten Nationen, die Rechtswege des Haager Tribunals, des Internationalen Strafgerichtshofes und der UN-Menschenrechtsrat" - hilft das alles wirklich? Mir kommen alle vier irgendwie vor wie Zahnlose Tiger. Es gibt ja keine internationale Polizei, die das komplette Regime zuhause abholt und vor Gericht stellt.

  • Und wieder: wer ist "der Westen" und weshalb muss "der Westen" wieder Verantwortung übernehmen? Erst wird immer nach dem Westen gerufen und dann wird Westen-Bashing betrieben.

  • Es ist einigermaßen ermüdend, immer wieder gegen die selben Klischees anargumentieren zu müssen: die Rede von "den" iranischen Frauen (als gäbe es keine konservativen), die unbelegten Vorwürfe, die Wahl 2009 wäre gefälscht gewesen, die Vorstellung, das AA wäre eine NGO und hätte eine Regime-Change-Agenda zu verfolgen, statt deutsche außenpolitische Interessen zu verfolgen (seltsam, auch, dass solche Forderungen immer nur dann laut werden, wenn sie gegen die eigenen Lieblingsfeinde gerichtet werden können)...



    Das Problem an diesem Iran-Bild und der daraus folgenden Politik ist, dass sie zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden: die Autorin ignoriert völlig, dass die Reformer im Iran nicht nur am eigenen Unwillen oder am systemimmanenten Widerstand gescheitert sind, sondern auch daran, dass ihre Außenpolitik ins Leere gelaufen ist - ihre Agenda lief ja gerade darauf hinaus, dass eine Liberalisierung nach Innen und Außen zu besseren Verhältnissen zu den westlichen Staaten führen und damit auch zu einem wirtschaftlichen Auschwung - ich erinnere gerne daran, dass der Dank für das Entgegenkommen in der Atomfrage noch mehr Sanktionen und Morde an Vertretern der IR waren. Wenn die Konservativen im Iran sagen, es macht keinen Sinn, sich nach Westen zu orientieren und stattdessen den Schulterschluß mit Russland und China suchen, haben sie zweifellos recht.



    Im Grunde dreht sich das ganze deutsche Iran-Bild um Klischees und Behauptung, die immer wiederholt, aber nie hinterfragt werden. Das ist leider nicht untypisch und führt uns in eine Sackgasse: den Blick auf die Welt der eigenen Selbstbestätigung unterzuordnen, kann man sich wohl nur leisten, wenn man mächtig genug ist. Die Zeiten sind aber vorbei.

    • @O.F.:

      -?-die Reformer im Iran auch...am systemimmanenten Widerstand gescheitert sind-?-



      Wer leistete einen solchen "systemimmanenten Widerstand" hauptsächlich,- die Bevölkerung oder die Regierung?

      • @Lästige Latte:

        Ich meinte damit den Widerstand konservativer Kreise gegen eine Liberalisierung - den es natürlich gab, in erheblichem Umfang sogar; aber diese Kreise konnten sich auch deshalb durchsetzen, weil die Reformer außenpolitisch nichts erreicht haben und die Gleichung "Öffnung des Landes bedeutet mehr Wohlstand" nicht aufgegangen ist. Das hat zu einem Umdenken geführt, selbst in eher zentristischen Kreisen (auch die gibt es im Iran!), zumal es inzwischen ja Alternativen zum Westen gibt.

    • @O.F.:

      .... Wenn die Konservativen im Iran sagen, es macht keinen Sinn, sich nach Westen zu orientieren und stattdessen den Schulterschluß mit Russland und China suchen, haben sie zweifellos recht...



      Recht wie Butscha, Xinjiang-mörderisches" Recht"!



      Den heiligen Krieg gegen den satanischen Westen!



      Irgendwie ermüdend der Versuch ihnen diese Darstellung nahe zu bringen.

      • @Ringelnatz1:

        Die Einen sagen so, die Anderen sagen so.

    • @O.F.:

      Als hätte Frau Atai nicht in ihrem Beitrag heraus gearbeitet, dass die Rede von "Reform-Kräften" im Iran so sinnlos ist wie die Vermutung, es hätte auch reformorientierte Nationalsozialisten gegeben.

  • Vielen Dank für diesen Text.

    Frau Atai analysiert die Situation im Iran klar und ohne die auch in der taz oft nicht unübliche Relativierung der Universalität der Menschen- und Frauenrechte.

    Es geht ums Ganze, nicht um "das bisschen Wind im Haar". Die Befreiung der Frauen wird die Befreiung des Landes sein.

    • @Jim Hawkins:

      Das kann frau nur hoffen. Aber Vorsicht, Frauen müssen ständig auf der Hut sein, dass ihre Interessen nicht untergebuttert werden.

      • @resto:

        Das stimmt natürlich, aber die Frauen sind die primären Trägerinnen des Protests.

        Generationen junger, gut ausgebildeter Menschen, die nichts anderes als den menschenfeindlichen Tugendterror der Mullahs kennen und für ein freies Leben kämpfen.

        Ich nehme an, die lassen sich nicht so leicht unterbuttern.