Er hat den Schnabel vorn

Zwischen Insektensterben und Aufmerksamkeitsökonomie: In dieser Woche wurde der Vogel des Jahres verkündet

Ein Braunkehlchenmännchen im brandenburgischen Lebus Foto: Patrick Pleul/dpa

Von Helmut Höge

Am Donnerstag wurde in den USA der „National Black Cat Day“ begangen. Den haben sich die Katzenfreunde drüben ausgedacht, weil die schwarzen Katzen für abergläubische Amerikaner Unglück bringen und nicht vermittelbar sind, weswegen sie in den Tierheimen getötet werden. Um Sichtbarmachung, Sensibilisierung und Medienöffentlichkeit geht es hier, und aus den gleichen Gründen werden in Deutschland nahezu alle heimischen Tiere, Pilze und Pflanzen irgendwann zum „Jahreswesen“ ernannt.

Für die Popularisierung dieser „Jahreswesen“ sorgen die großen Naturschutzverbände, vorgeschlagen werden sie oftmals von den Fachverbänden ihrer Erforscher: Die „Spinne des Jahres“ von der Arachnologischen Gesellschaft, der „Einzeller des Jahres“ von der Deutschen Gesellschaft für Protozoologie, der „Pilz des Jahres“ von der Gesellschaft für Mykologie. Die „knappe Ressource Aufmerksamkeit“ wird inzwischen sogar auf ganze „Waldgebiete des Jahres“ gerichtet, ausgewählt vom „Bund Deutscher Forstleute“.

Die größte Aufmerksamkeit, nicht nur in Amerika und England (dem Geburtsort des Naturschutzes), gilt jedoch hierzulande dem „Vogel des Jahres“. Eine Wahl, die es seit 1971 gibt und die kaum ein Feuilleton der deutschen Zeitungslandschaft unerwähnt lässt, und natürlich auch nicht all die Natur- und Tiermagazine bis hin zu Zeitschriften wie Landlust oder Gartenspaß. Hinzu kommen noch diverse Radio- und Fernsehsender, die das freudige Ereignis, die Vogelwahl, in die Welt hinausposaunen.

Bei den ausgewählten Vögeln handelt es sich meist um eine von den Menschen und ihrem unseligen Tun akut oder bald „gefährdete Art“. Seit einigen Jahren wird die Öffentlichkeit an der Wahl beteiligt. Im Falle des frisch gekürten „Vogel des Jahres 2023“ galt es, sich für einen von fünf vorab ausgewählten Vögeln auf einer Internetseite des deutschen Naturschutzbundes (Nabu), der Naturschutzjugend (Naju – „Die Natur ruft – Wir sind die Antwort“) oder dem Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) zu entscheiden und mit der Angabe von Name und Adresse zu verhindern, dass man hundertmal für den gleichen Vogel abstimmt. Beim LBV, der nebenbei bemerkt auch noch ein Projekt zur Rettung des Gobibärs in der Mongolei finanziert, konnte man sogar ein „Wahlkampfteam gründen und Stimmen sammeln“ sowie ein „Wahlplakat“ für den „Vogel des Jahres 2023“ beziehen, dieses durfte man dann in die „sozialen Netzwerke“ seiner Wahl kleben („teilen“, wie man heute sagt).

Bei den fünf Vögeln, die zur Wahl standen, handelte es sich 1. um den Feldsperling, der übrigens, wie ungarische Spatzenforscher herausfanden, weniger intelligent als der Haussperling ist. Das ist aber nicht der Grund, warum er auf die „Rote Vorwarnliste“ geraten ist, sondern weil das „Insektensterben“ ihm die Aufzucht seiner Jungen erschwert und weil seine Lebensräume „Streuobstwiesen, alte Bäume und wilde Gärten“ zusehends verschwinden.

2. stand der Trauerschnäpper zur Wahl, der ebenfalls unter dem „Insektensterben“ leidet, er schnappt sich diese im Flug. Und weil die alten Bäume immer weniger werden, in denen er Höhlen zum Nisten finden könnte, geht er oft leer aus. Dies hat auch mit der Klimaerwärmung zu tun, insofern der Frühling immer früher beginnt und die daheim gebliebenen Vögel die Nisthöhlen bereits besetzt haben, wenn er aus seinem afrikanischen Winterquartier zurückkehrt.

Zur Wahl stand auch der Neuntöter, über den der Nabu schreibt: „Am liebsten spieße ich Käfer, Heuschrecken und Hummeln an Dornen und Stacheln meiner geliebten Sträucher und Hecken auf. Dies ist meine Art, Vorräte anzulegen.“ Auch den Neuntöter gefährdet also das Insektensterben. „Und das liegt am immensen Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Gebt mir eure Stimme, wenn ihr für mehr Insektenschutz seid!“

Der nächste Vogel auf der Liste war das Teichhuhn, das laut Nabu drei Nester baut, eines „als Bühne für die Partnersuche, eines, um die Eier abzulegen und ein weiteres zum Ausruhen“. Sie befinden sich meist im Schilfdickicht, und genau das ist das Problem: davon gibt es nämlich immer weniger, aufgrund von „zubetonierten oder kahlen Flächen, begradigten Flüssen und trockengelegten Sümpfen“.

Und auch das Braunkehlchen konnte gewählt werden. Dieser Bodenbrüter macht im hohen Gras auf Wiesen und Weiden Jagd auf Insekten, aber diese Jagd wird immer aufwändiger und zudem wird in seinem Lebensraum zu oft gemäht: „Wo soll ich denn jetzt jagen und brüten?“, heißt es auf der Nabu-Seite. „Auch ruhende Ackerflächen, auf denen sich der Boden von der landwirtschaftlichen Nutzung erholen und die Natur wieder entfalten kann, verschwinden.“

An diesem Donnerstag um 9 Uhr endete die Wahl, bereits drei Stunden später wurde der „Vogel des Jahres 2023“ verkündet: Das Braunkehlchen hat gewonnen. Das war schon 1987 Vogel des Jahres und ist damit der sechste Doppeltitelträger nach dem Weißstorch, dem Eisvogel, der Feldlerche, dem Rotkehlchen und seinem unmittelbaren Amtsvorgänger, dem Wiedehopf. Ob dem Braunkehlchen dieser Titel nützt, wage ich als Misanthrop, der sich allerdings gerade in einer Anthropause befindet, stark zu bezweifeln.