30 Jahre Rostock-Lichtenhagen: „Finstere Stunden für unser Land“

Bundespräsident Steinmeier erinnert an die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Er mahnt zu mehr Zivilcourage.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und andere Personen mit Sonnenblume in de rHand.

Bundespräsident Steinmeier am Donnerstag bei einer Gedenkveranstaltung in Rostock-Lichtenhagen Foto: Jens Büttner/dpa

BERLIN taz | Sie grölten hasserfüllte Parolen, warfen Steine und Brandbomben, versetzten Be­woh­ne­r:in­nen in Angst: 30 Jahre sind die rassistischen Ausschreitungen, angeführt von Rechtsextremisten und Nachbar:innen, in Rostock-Lichtenhagen her. Am Donnerstag besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des Gedenktages den Schauplatz des Geschehens.

„Das Bild vom Sonnenblumenhaus hat sich als Symbol in die Erinnerung unseres Landes eingebrannt“, sagte Steinmeier. Der Bundespräsident sprach von den schlimmsten rassistischen Übergriffen der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Es waren finstere Stunden für unser Land.“

Vom 22. bis zum 26. August 1992 hatten im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen An­woh­ne­r:in­nen und Neonazis die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende und ein Wohnheim für viet­namesische Ar­bei­te­r:in­nen angegriffen und teilweise in Brand gesetzt. Von Schaulustigen wurden sie beklatscht und angefeuert. Etwa 150 Menschen mussten über das Dach eines brennenden Hauses fliehen. Die Polizei bekam die Lage nicht in den Griff.

Steinmeier betonte, dass die Ereignisse mit Blick auf die damalige politisch aufgeheizte Debatte betrachtet werden müssten. Rechtsradikale Parteien lagen damals im Aufwind. Der Bundespräsident bezeichnete die Ausschreitungen als „Schande“. „Für diese Schande trägt die Politik große Mitverantwortung.“

Spur des rechten Terrors immer noch sichtbar

Heidenau, Freital, Kassel, Halle, Hanau. Dies sind Städte, in denen sich in den vergangenen Jahren rassistische Attacken und Anschläge ereigneten. Steinmeier hob bei seinem Besuch hervor, dass “jene Spur rechten Terrors“ immer noch da sei. Dabei hätte man aus Rostock-Lichtenhagen die richtigen Lehren ziehen müssen. In allen Fällen sei das Gewaltpotenzial der Gesellschaft durch „Worte“ aktiviert worden.

Mit Blick auf den tödlichen Terroranschlag auf den Kommunalpolitiker Walter Lübcke 2019 betonte Steinmeier: „Die Häme, die sich nach seinem Tod in soziale Netzwerke ergoss, erinnert uns daran, wie kurz der Weg der Entmenschlichung des Gegenübers im digitalen Raum sein kann.“ Medien, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Pu­bli­zis­t:in­nen stünden hier in einer besonderen Verantwortung. Man müsse den Mechanismen der sozialen Medien widerstehen, welche ausgerechnet das widerlichste verbale Schwert mit größter Reichweite belohnten.

Steinmeier besuchte am Donnerstag das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Gemeinsam mit der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig legte er Blumen vor dem Plattenbau ab. Teil des Programms waren zudem ein Besuch im Stadtteil- und Begegnungszentrum Lichtenhagen sowie dem vietnamesisch-buddhistischen Tempel Loc Uyen.

Nach Angaben des Polizeipräsidiums Rostock kam es am Rande von Dreharbeiten zu einem Polizeieinsatz. Wie es in einer Mitteilung heißt, soll während der Aufnahmen ein Junge mit einem Fahrrad hinter dem Reporter in die Aufzeichnung gefahren sein, er hob dabei den rechten Arm. Die Polizei sicherte das Videomaterial und informierte den Staatsschutz. Dieser hat die Ermittlungen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisatoren aufgenommen.

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Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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