Neues Sachbuch über Wechseljahre: „Kein Mann würde das ertragen!“
„Die gereizte Frau“ von Miriam Stein ist ein Buch über die Wechseljahre. Im Gespräch erklärt sie, warum das Thema immer noch marginalisiert ist.
taz am wochenende: Frau Stein, hatten Sie damit gerechnet, dass sich Ihr Buch „Die gereizte Frau“ so gut verkaufen würde?
Miriam Stein: Nein, aber ich hatte das Gefühl, dass die Wechseljahre dran sind. Vorher hatten wir die Periode als Thema. Vor zwei Jahren haben Aktivistinnen erwirkt, dass die „Tamponsteuer“ abgeschafft wurde. Jetzt folgt ein Fokus auf den Wechseljahren: Frauen meiner Generation, die ihr Leben lang eigenständige Entscheidungen getroffen haben, sind es nicht gewohnt, dass ihnen ihr Körper so starke Grenzen aufweist, und sehen es auch nicht ein, dass sie sich jetzt zurückziehen sollen mit ihren Beschwerden.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Sie völlig unaufgeklärt in die Wechseljahre gestolpert sind. Nach meiner Erfahrung geht das den meisten Frauen so.
Ja, das hat mich auch überrascht – aber erklärt vielleicht den Erfolg des Buchs.
Es beginnt mit einer detaillierten Beschreibung einer heftigen Regelblutung.
Ich dachte, ich blute aus! Niemand hat mir gesagt, dass die Blutungen in der Perimenopause stärker werden können.
Ich wusste nicht, dass die Libido stärker werden kann.
Das hat damit zu tun, dass der Östrogenspiegel sinkt – der des Testosterons aber nicht.
Was ist der Grund für die Ahnungslosigkeit?
Sexismus. Die Medizin hat sich nie mit den Wechseljahren befasst, weil sie die Funktion der Frau aufs Gebären reduziert. Nach dem Ende der Fruchtbarkeit gibt es keine Relevanz mehr der Frauen und keinen Grund, sich um sie kümmern.
Woran machen Sie das fest?
Zum Beispiel bekommen Gynäkolog:innen für eine Beratung zu dem Thema nur sehr wenig Geld. Zudem werden die Wechseljahre im Grundstudium Medizin gar nicht behandelt, was bedeutet, dass Allgemeinmediziner:innen darüber nichts im Studium lernen – obwohl viele Frauen mit ihren Beschwerden erst mal zu ihnen gehen.
45, ist Journalistin und leitet das Kulturressort der Modezeitschrift „Harper’s Bazaar“. Sie hat zuvor ein Buch über ihre Identität als aus Südkorea adoptierte Waise veröffentlicht.
Und in der Facharztausbildung zur Gynäkologin kommt es auch nicht vor?
Doch, aber nur sehr marginal. Die Deutsche Menopause Gesellschaft bietet tolle Fortbildungen an, aber das muss man wollen. Und leider betreiben Frauenärzte und -ärztinnen zu oft „Bikinimedizin“.
Was ist das?
Eine Diagnostik, die sich bei Frauen nur auf die Geschlechtsorgane konzentriert: Brüste und Unterleib. Wenn eine Frau vielleicht mit einem Erschöpfungssyndrom zum Arzt geht, sagt der: „Ach, Sie sind bestimmt in den Wechseljahren.“ Oder wenn sie jünger ist: „Sie haben PMS.“ Der guckt sich nicht an, ob vielleicht etwas anderes organisch nicht in Ordnung sein könnte.
Bei fast allen Säugetieren bleiben die Weibchen bis zum Tod fruchtbar; nur von fünf Walarten ist bekannt, dass sich wie beim Menschen eine Hormonumstellung vollzieht, wenn die Eizellen verbraucht sind und die Tiere noch Jahrzehnte weiterleben.
Beim Menschen beginnt dieser auch „Wechseljahre“ genannte Prozess bei den meisten im fünften Lebensjahrzehnt. „Menopause“ bezeichnet die letzte Regelblutung, oft um das 52. Lebensjahr herum. Die Zeit davor wird Perimenopause genannt, die danach Postmenopause.
Das Paradoxe ist, dass Erkrankungen von Frauen über 45 oft mit Wechseljahren erklärt werden – aber selbst Ärzt:innen meistens keine Ahnung haben, was genau los ist, und noch weniger, wie sie es behandeln können.
Das liegt daran, dass es zu wenig Forschung gibt – ein weiteres Zeichen, wie sexistisch Medizin ist. Erst vor knapp 20 Jahren gab es eine große Studie der Women’s Health Initiative. Die belegte, dass die bis dahin verschriebenen Hormone gegen Wechseljahresbeschwerden zu absurd hohen Fällen von Thrombose, Brust- und Gebärmutterhalskrebs sowie Herz-Kreislauf-Krankheiten führen. Daraufhin wurden Hormontherapien für zwei oder drei Jahre komplett verboten und sind danach öffentlich nie wieder rehabilitiert worden. Das heißt, sehr viele Frauen, vor allem in Deutschland, haben Angst vor Hormontherapie.
Obwohl sie die nicht haben müssten?
Nein, sie müssten darüber aufgeklärt werden, dass sich natürlich als Konsequenz aus der Studie die Produkte verändert haben. Zudem war die Dosierung viel zu hoch, die Hormone wurden viel zu lange gegeben. Da hatten Frauen mit über 70 Jahren noch ihre Tage!
Sie selbst nehmen bioidentisches Testosteron, Östrogen und Progesteron – verschrieben von der Wiesbadener Gynäkologin Sheila de Liz, die ebenfalls einen Bestseller über das Klimakterium geschrieben hat.
Miriam Stein: „Die gereizte Frau. Was unsere Gesellschaft mit meinen Wechseljahren zu tun hat“. Goldmann Verlag, München 2022, 256 S., 18 Euro
Ja, ich hatte sehr starke Beschwerden, unter anderem furchtbare Hörstürze. Sobald ich aufgestanden bin, habe ich mich übergeben. Da wurden die wildesten neurologischen Diagnosen gestellt. Dazu kam eine schwere Hauterkrankung im Gesicht, Rosazea. Mir hat für die Haut eine Ernährungsumstellung geholfen, aber auch die Hormone. Mit denen ist auch meine Libido zurückgekommen, die war komplett verschwunden. Mir ist aber wichtig, dass jede Frau für sich entscheiden muss, ob sie eine Hormonbehandlung will. Es haben ja auch nicht alle solche Symptome. Mir geht es um Aufklärung. Je mehr man weiß, desto besser kann man über den eigenen Körper frei entscheiden und abwägen, ob eine Hormontherapie infrage kommt.
Zumal diese bioidentischen Hormone nur von sehr wenigen Ärzt:innen verschrieben werden und dann auch nur auf Privatrezept.
Ja, leider. Sie sind im Gegensatz zu synthetischen Hormonen mit denen des eigenen Körpers in ihrer Molekularstruktur identisch – aber auch nicht unumstritten, denn es gibt noch nicht genug Studien zu ihnen. Es wird einfach zu wenig geforscht! Meine Hoffnung ist, dass sich das ändern wird, wenn wir darüber öffentlich zu reden anfangen. Wenn man sich die Zahlen anguckt, kann man sich nur an den Kopf fassen. Die Hälfte aller Menschen kommen in die Wechseljahre. Wir werden im Jahr 2025 weltweit eine Milliarde davon betroffene Frauen haben, weil Gesellschaften älter werden. Wir werden es uns allein schon wegen des Fachkräftemangels nicht leisten können, dass zu viele Frauen aus der Arbeit ausscheiden aufgrund von oft nicht einmal diagnostizierten Wechseljahresproblemen. Deshalb geht das Thema auch Männer an. Diese Frauen sind ihre Partnerinnen und Kolleginnen.
Sie sprechen sehr offen über ihre Wechseljahre. Mir ist es unangenehm, das zu tun. Warum ist das so?
Weil 3.000 Jahre Patriarchat es geschafft haben, Frauen einzureden, dass sie nichts mehr wert und keine Frau mehr sind, wenn sie nicht mehr fruchtbar sind. Aber wir können doch im 21. Jahrhundert „Weiblichkeit“ nicht mehr an Fruchtbarkeit koppeln! Das ist absurd.
Warum?
Machen Sie etwa Ihren Wert von Ihrer Fruchtbarkeit abhängig?! Wir können Eizellen einfrieren, und Sie können theoretisch, wenn Sie in die USA ziehen und die finanziellen Möglichkeiten haben, mit 60 noch per Leihmutterschaft Mutter werden.
Jetzt verstehe ich, warum das Buch „Die gereizte Frau“ heißt. Sie sind wirklich wütend.
Gereiztheit ist eins der Symptome, die von vielen Frauen beschrieben werden, neben Hitzewallungen und Schlafstörungen. Auch ich bin oft sehr gereizt. Was ja im Übrigen nur bei Frauen als Problem empfunden wird. Aber mich regt das alles wirklich auf. Wie kann man in so einer Zeit mit solchen technischen Möglichkeiten noch Menschen, die permanent sehr beeinträchtigende Beschwerden haben, erklären, Sie müssten das aushalten, weil das etwas ganz Natürliches sei? Kein Mann würde das ertragen! Vor ein paar Tagen zogen Menopause-Aktivistinnen im britischen Unterhaus Abgeordneten Westen an, die Hitzewallungen simulierten. Die sind alle ausgetickt und wollten nur raus aus den Dingern!
Ich möchte gar nicht wissen, welche Symptome Wechseljahre verursachen können, mir macht das Angst.
Aber Sie müssen sie ja gar nicht bekommen. Es geht doch darum, dass ich weiß, was auf mich zukommen kann, um darauf vorbereitet zu sein und reagieren zu können. Wenn ich wieder einen Hörsturz hätte, wüsste ich, dass ich nicht sterbe. Die Angst hatte ich ja, weil ich nicht wusste, was mir passiert. Ich habe mich mit Inka Schneider in einer NDR-Talkshow über unsere Wechseljahre unterhalten, ganz ruhig und normal: Wie ist es bei dir, was machst du? So etwas wünsche ich mir mehr – als Austausch über einen Teil unseres Lebens, das ja immer noch aus viel mehr als Wechseljahresbeschwerden besteht.
Aber verzichten könnten Sie trotzdem drauf, oder?
Klar, aber ich nehme sie in Kauf als Teil des Älterwerdens. Ich habe mich nie besser gefühlt in meinem Körper. Ich fand mich als junge Frau nie ausreichend. Zu asiatisch, zu dick. Seit ich in den Wechseljahren bin, bin ich total happy mit meinem Körper. Ja, ich schlafe schlecht, und ja, mir tun manchmal die Brüste wahnsinnig weh. Aber es geht mir, auch dank der Hormontherapie, gut. Für mich hat das eine wahnsinnige Ruhe in mein Leben gebracht und viel von diesem äußeren Druck von mir genommen.
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