Ratgeber zum Umgang mit der Angst: Heute üben: Angstverwandlung

In ihrem Buch „Sei stärker als die Angst“ arbeitet die Autorin Sabrina Fleisch mit positiven Bildern gegen die Angst – und greift dabei etwas zu kurz.

Spinne mit filigranen Beinen

Weit verbreitet: Angst vor Spinnen Foto: Roberto Manzotti/plainpicture

In Europa herrscht Krieg, die Inflation macht alles teurer, wir befinden uns nach wie vor in einer Pandemie und die Erde erwärmt sich auch immer weiter. All das sorgt bei vielen für Stress, Panikattacken nehmen zu und die Angst wächst.

Letztere zu besiegen, verspricht ein Arbeitsbuch, das laut Eigenaussage „dein Leben verändern wird“. Geschrieben hat es Sabrina Fleisch, Angst- und Stressbewältigungstrainerin aus Linz, die bereits mit dem Titel „Meine Reise zu mir selbst“ auf der Spiegel-Bestsellerliste landete. Dort findet sich auch ihr aktuelles Buch, das mit seinem verschnörkelten Titel „Sei stärker als die Angst“ Lösungen sucht, wie wir mit unseren Ängsten umgehen können.

Hierfür bietet Fleischs Buch durchaus interessante Ansätze. Da ist etwa eine Aufgabe, mit der ein verbesserter Zugang zu den eigenen Gefühlen hergestellt werden soll. Diese zu benennen, fällt vielen Menschen erstaunlich schwer, weshalb Fleisch ihren Le­se­r*in­nen eine Tabelle mit allerlei Synonymen zur Verfügung stellt: „Denn alles, was einen Namen hat, kann besser wahrgenommen, verarbeitet und auch verstanden werden.“ So weit, so gut.

Man lernt also, dass Traurigkeit nicht immer Traurigkeit sein muss, sondern auch Enttäuschung oder Bedürftigkeit sein kann, und dass Scham, manchmal Reue sowie Angst auch mal Hilflosigkeit ist. Das ist hilfreich, denn um zu verstehen, was uns beschäftigt, ist eine klare Abgrenzung wichtig.

Stärkung der Selbstwirksamkeit

Habe ich wirklich Angst vor dem Meeting, oder ist es doch eher die Sorge davor, nicht gut genug zu sein? Sich diese Fragen zu stellen, kann förderlich sein, um Antworten und Lösungen zu finden. Es stärkt die Selbstwirksamkeit – die in der Psychologie für das Vertrauen in sich, die eigenen Kompetenzen und Handlungen steht.

Sabrina Fleisch: „Sei stärker als die Angst“. Allegra Verlag, Berlin 2022, 384 Seiten, 19,99 Euro

In besagter Tabelle findet sich aber auch das Wort „Depression“. Fleisch nutzt es synonym für Traurigkeit. Hier wird ein Problem sichtbar, das sich sprachlich manifestiert. Depressiv sein ist nicht dasselbe wie traurig sein. Jemand, der traurig ist, kann depressiv werden, und jemand, der depressiv ist, kann Trauer empfinden. Doch eine „Depression“ geht mit einer Diagnose einher und die wird von Ärz­t*in­nen oder Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen gestellt. Als „psychische Beraterin“, wie sie sich selbst nennt, sollte Fleisch dies eigentlich wissen.

Erst bei etwa der Hälfte ihres Buches kommt die Autorin dazu, verschiedene Arten der Angst zu klassifizieren. Von spezifischen Phobien wie der vor Spinnen (Arachnophobie) oder Spritzen (Trypanophobie) über die Soziophobie hin zur generalisierten Angststörung.

Neoliberale Logik

Mittels Fragebögen und Selbstevaluation soll so herausgefunden werden, welcher Angsttyp (schizoid, depressiv, zwanghaft, hysterisch) man ist. Das ist hilfreich für eine erste Einschätzung, doch bleibt man dann mit dem Erlernten etwas allein. Das Kapitel endet mit einer schiefen Bergsteigermetapher und der Erkenntnis, dass „sich Ängsten zu stellen Selbstfindung, Selbstliebe und zugleich Selbstopferung [ist].“ Nun ja.

„Angst wird durch ein negatives Zukunftsbild erzeugt“, schreibt Fleisch unter „Angstverwandlung“ ein paar Kapitel weiter. Bei der Angstverwandlung ginge es darum, die Angst erzeugende Vorstellung nun mit positiven Bildern aufzuladen, „damit die schreckliche Vorstellung verschwindet“. Das mag auf individuell bedingte Ängste zutreffen. Doch Ängste, ausgelöst durch heutige Krisen, die automatisch unser Zukunftsbild prägen, lassen sich leider nicht einfach „modifizieren“, wie hier vorgeschlagen. Sie bedürfen vor allem struktureller Veränderungen.

Die Auffassung, man selbst sei alles, was man bräuchte, um für seine Ziele zu kämpfen, wie es Fleisch andernorts formuliert, klingt auf den ersten Blick ermutigend und motivierend. Im Grunde folgt sie aber auch nur einer neoliberalen Logik, die die Verantwortung struktureller Probleme auf das Individuum abzuwälzen versucht.

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