piwik no script img

Maja Schramm will die sorbische Kultur bewahren. Aber nicht unbedingt in Tracht Foto: Rainer Weisflog

Nationale Minderheit in der LausitzTokio Hotel auf Niedersorbisch

Junge Sor­bi­n:­in­nen wie Maja Schramm wollen die Kultur und Sprache bewahren – aber anders als ihre Vorfahren. Damit ecken sie schon mal an.

M it dem Auto sind es nur ein paar Minuten von Cottbus nach Gulben, aber für Maja Schramm ist es immer auch eine Fahrt in eine traditionsreiche Vergangenheit. Kein Mensch ist auf der Hauptstraße zu sehen, es geht vorbei an Einfamilienhäusern mit glatt geschnittenen Hecken und kleinen Teichen im Vorgarten. Nur der Maibaum, der hier den ganzen Sommer stehen bleibt, bewegt sich langsam in der Sommerbrise.

Maja Schramm, 21 Jahre alt, ist auf dem Weg zu ihrer Familie. Sie trägt ein schwarzes Sommerkleid, das einige ihre Tattoos bedeckt, und Eintrittsbändchen von Festivals am Handgelenk. Im Vorbeifahren grüßt sie ihre alten Nachbarn durchs Seitenfenster. Das Haus ihrer Familie steht am Ende des Dorfes. Sie komme immer gerne zurück, sagt sie. Sie habe eine echt schöne Kindheit gehabt. Aber mit dem, was sie heute macht, eckt sie bei ihrer Familie schon ein bisschen an.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wohnt Familie Schramm, Šramojc auf Sorbisch, hier in dem zweistöckigen Haus zwischen einer hölzernen alten Scheune, einem Hühnerstall und dem riesigen Walnussbaum im Hof. Im Wohnzimmer steht ein altes Spinnrad neben dem Kamin und im Bücherregal ordentlich aufgereiht Literatur auf Nieder- und Obersorbisch. Majas Mutter kommt in einer Ausgehtracht mit Bluse und Seidenschürze und den dazu passenden schwarzen Halbschuhen die Treppe hinuntergelaufen. „Soll ich die Haube auch noch aufsetzen, oder ist das Klischee genug?“, fragt sie. Es ist kein üblicher Nachmittag bei Familie Schramm, wenn ein Reporter zu Besuch ist.

Drei Generationen sitzen an diesem Junitag am Wohnzimmertisch, Maja, ihre Mutter Astrid und die Großeltern. Es gibt Kuchen und frisch aufgebrühten Kaffee aus glänzenden Porzellantassen. Die Familie ist seit Generationen sorbisch. Und was das bedeutet, davon wollen sie heute erzählen.

Die Sorben sind eine von vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland, rund 60.000 Menschen. Autochthone Minderheit werden sie auch genannt, das bedeutet, sie sind alteingesessen, seit mehr als 1.500 Jahren leben sie in der Lausitz. Westslawische Stämme waren damals von den Karpaten in das Gebiet zwischen Ostsee und Erzgebirge gezogen. Und heute stellen sie sich die Frage: Wie können sie ihre Identität bewahren? Und was zeichnet diese Identität überhaupt aus?

Wunsch nach Veränderung

Etwas mehr als 400 Menschen wohnen noch in Gulben. Kaum jemand spricht hier noch Sorbisch und es sind auch nicht mehr viele kulturelle Einflüsse zu erkennen. Majas Großvater, sein Leben lang Landwirt im Ort, hat dafür eine simple Erklärung. „Mit dem Ende des Weltkrieges war Schluss mit dem Sorbischen. Es kamen Schlesier und weitere Geflüchtete und dann ging es mit der wendischen Sprache Stück für Stück zurück.“ Wendisch, das ist die Sprache der Niedersorben, eine westslawische Sprache wie Polnisch oder Tschechisch. Aber auch hier am Tisch, bei einem Stück Waldbeerentorte, ist Deutsch die Amtssprache.

Majas Mutter ist in diesem Haus groß geworden, nur für ihre Ausbildung verließ sie das Dorf. Sie ist sehr enttäuscht über die Entwicklung ihrer eigenen Heimat. „Die Generation, welche die Sprache hätte weitergeben können, ist zu großen Teilen in den 80ern ausgestorben.“ Zwei Diktaturen und eine um sich greifende Globalisierung hätten die Sprachräume drastisch beschnitten. Wendisch zu sprechen war in Nazideutschland strengstens verboten. Und auch unter der Fahne des Sozialismus war es für die Sor­b*in­nen schwierig, ihre Kultur und die Sprache auszuleben. „Häufig wollten die Eltern, dass ihre Kinder nicht diesen dörflich und sorbisch klingenden Sprachslang haben, und gaben es dann einfach nicht weiter“, sagt Majas Mutter.

Majas Mutter kann mit der Arbeit des Kollektivs nicht so viel anfangen. Es ist anarchistisch, sagt sie

Eine zweite Tasse Kaffee. Es ist ja nicht nur die Sprache, die die Identität bestimmt. Was bedeutet es also, sorbisch zu sein? Die mediale Darstellung der anerkannten Minderheit ist einfach: Immer wieder dieselben Bilder von Tracht, Tanz und Tradition. Nun meldet sich Maja zu Wort, die bislang still am Tischende saß. Das verstaubte Bild stört sie massiv, sie hält nichts davon, die Sor­b*in­nen darauf zu reduzieren. „Dass ich in einer sorbischen Tracht auch gleichzeitig Antifaschistin sein kann, verstehen nicht viele“, sagt sie. Maja ist erklärte Antifaschistin, Feministin und liebt harten Punk.

Maja Schramm hat ein Sorabistikstudium in Leipzig angefangen, aber das hat ihr dann doch nicht so recht getaugt. Vor über einem Jahr kam sie zurück nach Cottbus mit dem Wunsch, etwas verändern zu wollen. Als unten im Haus ihrer Wohngemeinschaft Räume frei werden, will sie zusammen mit ihren Freun­d*in­nen und Mit­be­woh­ne­r*in­nen einen Treffpunkt für Gleichgesinnte schaffen, eine Begegnungsstätte, vielleicht ein Café. Es wurde ein Kollektiv für sorbische Kunst und Kultur – das Kolektiw.Wakuum. „Corona hat ein riesiges Vakuum für viele Kunst- und Kulturschaffende entstehen lassen“, sagt Maja. Aber es geht ihnen um mehr. Sie wollen neue Räume für Subkultur schaffen und das Niedersorbische wieder in den Alltag bringen.

Nach nur einem Jahr ist das Kollektiv zu einem der wichtigsten Ansprechpartner für sorbische Subkultur geworden. Sie haben Kunstausstellungen mit den Werken sorbischer Künst­le­r*in­nen organisiert, eigene Kurzfilme und Musik produziert, ein Technofestival ist in Planung. Der nächste Termin: ein Karaokeabend nur auf Sorbisch.

Majas Mutter kann damit nicht so viel anfangen. „Es ist anarchistisch“, sagt sie am Wohnzimmertisch in Gulben. Ohne Regeln und einfach drauflos, so sieht sie das Kollektiv. Das mag Kultur sein, räumt sie ein, „als Tradition kann man es jedoch nicht bezeichnen.“ Innerhalb der konservativ geprägten sorbischen Gemeinschaft ist das keine ungewöhnliche Position.

Es klingt so, als sei dieses Thema in der Familie noch nie so intensiv besprochen worden wie jetzt. Majas Mutter führt ihren Gedanken weiter aus. „Tradition ist der Kern und das, was Heimat und die eigene Identität ausmacht, sonst sprechen wir aneinander vorbei“, sagt sie. „Nur wenn man dies entstaubt und modernisiert, hat es was mit Sorbisch oder Wendisch zu tun, alles andere könnte man überall auf der Welt aufziehen.“ Maja entgegnet: „Ich verteufle keine einzige sorbische Tradition.“ Es sei doch schön, dass sie nebenbei eine alternative Kultur etablierten. „Das eine schließt das andere nicht aus.“

Was häufig nicht von älteren Generationen verstanden wird, ist, dass sorbisch sein ein Selbstbekenntnis ist und nichts mit Abstammung zu tun hat

Maja Schramm, 21 Jahre

Wenn sie eines Tages Kinder haben sollte, sagt Maja, werde sie beides weitergeben – das Neue und das Alte.

Die Kaffeekanne ist leer, ihre Mutter muss zur Arbeit, sie ist bei der Niedersorbischen Kulturakademie beschäftigt. Maja schnappt sich die Leine, es geht eine Runde mit dem Hund der Großeltern durchs Dorf. Da sie nun wieder allein ist, erklärt Maja, was aus ihrer Sicht der Hauptkonflikt ist: „Was häufig nicht von älteren Generationen verstanden wird, ist, dass sorbisch sein ein Selbstbekenntnis ist und nichts mit Abstammung zu tun hat.“

Tatsächlich ist sogar die Gesetzeslage bei der Frage nach der sorbischen Identität eindeutig. Paragraf eins der sächsischen und brandenburgischen „Sorbengesetze“ aus dem Jahr 1994 besagt: „Zum sorbischen Volk gehört, wer sich zu ihm bekennt. Das Bekenntnis ist frei. Es darf weder bestritten noch nachgeprüft werden. Aus diesem Bekenntnis dürfen keine Nachteile erwachsen.“ Es gibt keinen eigenen Staat. Keine höhere Instanz, die einem verkündet, du bist sorbisch aus diesem oder jenem Grund.

Je­de*r Sor­b*in muss für sich selbst herausfinden, was es bedeutet, sorbisch zu sein. „Für uns ist Identität eine philosophische Frage. Wir haben zum Beispiel absolut keinen Bock auf Patriotismus. Uns geht es darum, Kunst und Kultur zu schaffen, Menschen zusammenzubringen“, sagt Maja.

Gemeinsam auf Tour

Mit dem Auto geht es zurück nach Cottbus. An einer langen Straße direkt hinter dem Hauptbahnhof befindet sich ein unscheinbares Eckhaus. In diesem Altbau ist Majas WG und hier ist die Gründungsstätte des Kolektiw.Wakuum. Die Wohnungstüren stehen offen und in der zweiten Etage wird Maja von ihren Mit­be­woh­ne­r*in­nen zur Begrüßung umarmt. Es ist eine große, mehrsprachige Kommune. Deutsch, Englisch, Sorbisch. Auf dem Parkettboden in Majas Schlafzimmer sitzen Hella Stoletzki und Annelie Ćemerjec, auch sie gehören zum Kollektiv. Aus der Musikbox erklingt lautstark eine Melodie zusammengesetzt aus Streichern und sorbischem Gesang. Es ist die Hymne der sorbisch-walisischen Freundschaft. Ein Song aus dem Album, den das Kollektiv zusammen mit sorbischen und einer Gruppe walisischer Mu­si­ke­r*in­nen vor Kurzem aufgenommen hat. Bald wollen die beiden Gruppen gemeinsam auf Tour gehen. Berlin, Cottbus, Schleife.

An diesem frühen Abend wird jedoch die bevorstehende „Krabaoke“ geplant: Ein Karaokeabend nur auf Sorbisch. Das Kollektiv und die Krabat-Mühle im sächsischen Schwarzkollm organisieren die Show. Sie haben für das Projekt Geld von dem Projekt „Sprache verbindet“ der Stiftung für das sorbische Volk bekommen.

Sie sitzen auf dem Fußboden und diskutieren darüber, wie der Abend ablaufen soll, welche Songs sie auswählen. Und auch hier in der WG geht es schnell wieder um die Frage nach der eigenen Identität. Sie sähen es als ihre Aufgabe, einen Raum für das Sorbische zu schaffen“, erläutern Annelie und Maja. Sie wollen das Sorbische neu denken. Das Selbstverständnis des Kollektivs ist dabei eindeutig: weltoffen, feministisch und antifaschistisch.

Häufig sieht man die acht aktiven Kollektivmitglieder auf Demonstrationen. Zwei Plakate von der jüngsten Demo liegen auf dem rot gemusterten Teppich im Schlafzimmer. Darauf der Aufruf, aus der Kohle auszusteigen. In Cottbuss, nicht weit vom Braunkohletagebau, ist das Thema noch mal präsenter als anderswo.

Auch der Aktivismus gegen rechts spielt für alle im Kollektiv eine wichtige Rolle. Für Annelie Ćemerjec hat vor allem dieser Punkt einen direkten Bezug zu ihrer sorbischen Identität. „Ich habe mich immer geschämt, Deutsche zu sein“, sagt sie. Sie kommt aus der Oberlausitz, wo es im Raum Bautzen in den letzten Jahren immer wieder zu Angriffen von Rechtsradikalen auf Sor­b*in­nen gekommen ist. Ein trauriger Höhepunkt war die Nacht vom 6. Oktober 2018. Mindestens 15 Neonazis stürmten eine sorbische Partyveranstaltung und schlugen auf mehrere Gäste ein. Deswegen sei auch die Arbeit des Kollektivs so wichtig, sagt Maja. „Das Kollektiv gibt mir endlich eine Möglichkeit, ein modernes Lebensgefühl mit dem sorbischen kombinieren zu können. Das alles kann man zusammendenken und ausleben.“

Dass es auch vereinzelt Widerspruch aus den eigenen Reihen gibt, dafür hat Annelie ebenfalls eine Erklärung. „Es gibt, vor allem im ländlichen Raum, Berührungsängste zu Themen wie Feminismus, moderner Kunst oder subkultureller Arbeit“, sagt sie. Eine blühende Landschaft der Subkulturen gab es vor dem Kollektiv nicht wirklich. Wer als Sor­b*in gesellschaftspolitische Themen behandeln wollte, ging in die örtliche Korčma, die Kneipe. Oder zur Jungen Union.

Auch die Religion ist von großer Bedeutung im Alltagsleben vieler Sorb*innen, vor allem im obersorbischen Raum. Von schätzungsweise noch 60.000 sich bekennenden Sorben gehören 40.000 entweder der katholischen oder evangelischen Konfession an. Eine Auseinandersetzung mit Themen wie sexueller Identität oder modernen Subkulturen stellt sich in diesen Räumen schwierig dar. Dennoch gebe es auch unfassbar viel Zuspruch, sagen die Kollektivmitglieder, vor allem von jungen Menschen aus der Region. „Ich weiß nicht, ob es jemals so viele Menschen gab, die Schnaps auf Sorbisch bestellen konnten, und das nur, weil es uns gibt“, sagt Annelie. Und muss ein bisschen grinsen dabei.

Langsam senkt sich die Sonne hinter den Altbaufenstern. Der letzte Punkt der Planung steht an: die Finanzen. Dass dies ein zentrales Problem für das Kollektiv darstellt, wird schnell klar. „Wir stemmen den großen Teil unserer Kosten über Spenden oder aus eigener Tasche“, sagt Annelie. Inzwischen bekämen sie aber auch viel von Stiftungen.

Pśez ten monsun

In der Gruppe diskutieren sie, wie sie neben der Finanzierung durch eine Stiftung noch mehr Einnahmen beim Karaokeabend generieren können. Einige Mitglieder des Kollektivs wollen Merch mitbringen und einen Stand aufbauen. Und direkt am Eingang wird eine Spendenbox stehen.

Dass es Geld für sorbische Kulturveranstaltungen gibt, ist gesetzlich geregelt. Den anerkannten Minderheiten in Deutschland steht finanzielle Unterstützungen vom Bund zu. Im Fall der niedersorbischen Bevölkerung sind es in den Jahren 2021 bis 2025 fast 4 Millionen Euro. Die Gelder gehen direkt an die Stiftung für das sorbische Volk und von da aus an die Domowina. Die Stiftung sowie die Domowina, der Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen, besitzen das finanzielle Monopol. In ihren Gremien wird entschieden, welche Vereine, Projekte oder Kunst- und Kulturschaffende Förderung für ihre Arbeit erhalten. Schon mehrfach hat das Kollektiv versucht, dort an diese Gelder zu kommen, doch die bürokratischen Hürden, kurz und knapp erklärt, sind sehr hoch. Und sie bemängeln: Obersorbische Projekte hätten es leichter. Es gebe seit jeher Diskriminierung zwischen Ober- und Niedersorben.

Doch auch bei dieser Thematik ist eine Veränderung erkennbar. Zuletzt wurden fast alle Förderanträge genehmigt. „Wir haben den Traum, eines Tages unsere Projekte nicht mehr aus der eigenen Tasche finanzieren zu müssen, und ich glaube, wir sind auf einem verdammt guten Weg“, sagt Annelie und klingt ziemlich zufrieden dabei.

Das hölzerne Mühlrad der Krabat-Mühle setzt sich mit lautem Krach in Bewegung. Dutzende Menschen stehen in der prallen Sonne daneben und schauen an diesem sagenumwobenen Ort dem Schauspiel zu. Dank des beliebten Kinderbuchs von Otfried Preußler ist die Mühle vermutlich sogar bekannter als die sorbische Kultur an sich.

Hier steigt die „Krabaoke“, die sorbische Karaoke an der sagenumwobenen Krabat-Mühle Foto: Sophie Riedel

Die Krabat-Mühle, der Ursprungsort der Sage von Awgust Bulank, ist nur ein Nachbau, sie wird per Knopfdruck in Bewegung gesetzt. Und heute werden hier keine Märchen erzählt. Es wird gesungen. In ein paar Stunden steigt in der alten Scheune die erste „Krabaoke“.

Während die Ta­ges­tou­ris­t*in­nen sich langsam in Richtung Parkplatz verabschieden, bereiten Maja und ihre Mit­strei­te­r*in­nen den Abend vor. Sie decken den letzten Tisch, darauf liegen für alle Gäste die Liedtexte in drei Sprachen aus – Deutsch, Ober- und Niedersorbisch. Die Tech­ni­ke­r*in­nen sind mit dem Soundcheck durch. Jetzt müssen sie noch die selbst designten Hefte ausdrucken. Darin wird erklärt, wie die Buchstaben ausgesprochen werden. Ó wie in Brötchen und das R schön rollen.

Highlight des „Krabaoke“-Abends soll „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel werden, auf Niedersorbisch versteht sich. Den Song haben sie nicht ausgesucht, weil sie die größten Fans der Band wären. Aber er ist bekannt und es gibt eine Übersetzung. Jemand aus dem Dunstkreis des Kollektivs hat sie erstellt, mit leichten Abweichungen zum Original.

Die ersten Gäste trudeln ein. Viele sind Freun­d*in­nen des Kollektivs, es ist aber auch jemand von der sorbischen Zeitung Nowy Casnik da und Personen, die sie nicht kennen, Jugendliche und auch Senior*innen. Sie erwartet harter niedersorbischer Punk bis hin zu einer umgetexteten Version von Mamma Mia. Die Kollektivmitglieder wollen damit zeigen, dass das Sorbische mehr kann als nur Folklore, auch wenn drei bis vier sorbische Klassiker in der Playlist des Abends nicht fehlen dürfen.

50 Gäste sind da, mehr als erwartet. Nun sitzt Maja zusammen mit zwei Mitstreiterinnen an einer Tischgarnitur vor dem Veranstaltungssaal. Sie knobeln aus, wer sich für Tokio Hotel auf die Bühne trauen muss.

Gleich geht es los. Die Plätze vor der Bühne sind belegt. Am Tresen prostet sich eine Gruppe auf Sorbisch zu und am Nachbartisch tauschen sie sich aus, wie man am besten die Schneckenplage im Garten bekämpfen kann. Mit leichter Verspätung steigt Moderatorin Hella Stoletzki auf die Bühne und eröffnet die Show. Applaus.

Und dann: Schnaps

Die ersten Songs laufen an, zuerst trauen sich nur die Kollektivmitglieder auf die Bühne, doch nach und nach werden die Gäste warm mit dem Konzept. Sie ziehen ein Los mit einem Lied. Fast jeder wird heute mindestens einmal auf die Bühne gehen. Es gibt viele schiefe Töne, kleine Texthänger – und zufriedene Gesichter bei den Kollektivmitgliedern. Und dann gibt es Schnaps aufs Haus.

Schnaps ist in jeder slawischen Kultur wichtig, und auch dafür hat das Kollektiv eine eigene Kreation: Leinölschnaps. Aus den Lautsprechern tönt der Punksong „Palenc“ von Berlinska Dróha, auf Deutsch: Schnaps. Hella hat ein Tablett voll mit Schnapsgläsern beladen und läuft die Reihen der Tische ab. Und sie geht gleich ein zweites Mal, damit alle ein Glas bekommen. Auch Maja stößt an. „Uns ist es wichtig, dass endlich mit den Sorben und nicht über die Sorben geredet wird“, sagt sie. „Ein Abend wie dieser ist der perfekte Anlass.“

Maja Schramm und ihre Mutter Astrid: Wie soll man Tradition leben? Foto: Rainer Weisflog

Dann der Höhepunkt. Aus den Lautsprechern Schlagzeug, E-Gitarre, Bass. Das Los hat Maja getroffen, sie performt den Hit von Tokio Hotel. Maja Schramm betritt die Bühne und singt los. „Pśez ten monsun“, der ganz Saal brüllt mit. Durch den Monsun. Und dann: „Mej gromadu“. Wir beide zusammen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Was ist Kultur?

    Bei uns gibt es jedes Jahr ein großes Festival, an dem Kulturvereine, Sprachschulen und wer sonst noch Lust hat, Stände mit Essen und Getränken betreiben und auf einer großen Bühne gibt es den ganzen Tag verschiedene Konzerte. Und wenn man dort fragt, wie man Kultur vermittelt, dann heißt es "Essen und Musik". Und, mal ehrlich, der Lebensfreude einer Rockband aus Benin kann sich wirklich niemand entziehen.

    Ich persönlich würde Sprache immer dazurechnen, aber man sieht ja z. B. am bretonischen, wie schwer es ist, eien Sprache zu erhalten und sie gleichzeitig so zu modernisieren, dass sie im täglichen Leben überhaupt gesprochen werden kann.

    • @Frl. Rottenmeier:

      Kultur ist alles, was am gemeinschaftlichen Verhalten von Menschen nicht angeboren, sondern erlernt ist.

      Sprache als grundsätzliches Phänomen ist also menschliche Natur, die einzelne Sprache (z.B. das Niedersorbische) ist Kultur.

      Ja, Sprachausbau ist anspruchsvoll. Die eigentliche Problematik liegt aber darin, dass man die Menschen und vor allem die Politik dazu bringen muss, über lange Zeit eingeschliffene Muster der Diskriminierung umzukehren, sodass Minderheitssprachen sich in ihren Regionen wieder ausbreiten, anstatt seltener zu werden.

      Das funktioniert in z.B. Teilen von Wales, wo das Beherrschen des Walisischen, das lange Zeit eine Sprache mit wenig Prestige war, plötzlich als Merkmal bildungsbürgerlicher Zugehörigkeit gilt. Dann wollen das die Leute, erlernen die Sprache, bringen sie ihren Kindern bei und der Trend, dass das Englische das Walisische verdrängt, wird umgekehrt. Ähnliches lässt sich in Teilen der katalanisch- und baskischsprachigen Gebiete beobachten.

      Funktionieren würde das auch in Deutschland. Würden Kenntnisse des Niederdeutschen, des Sater- und Nordfriesischen, des Ober- und Niedersorbischen in ihrer jeweiligen Region ein Ausweis hoher Bildung gelten, dann hätten wir einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne eine weit höhere Sprecherzahl.

    • @Frl. Rottenmeier:

      Das eine Rockband Lebensfreude bringen kann bezweifel ich ja nicht, aber ist das irgendwie anders wenn diese nicht aus Benin kommt?



      Denn damit wird schon wieder exotisiert, das Klischee „Schwarze Menschen mit Trommeln“ ploppt unweigerlich auf…und das finde ich schon etwas problematisch.

  • Super Artikel aber warum schafft es die TAZ nicht endlich die sorbischen Ortsnamen mit zu nennen? Im Artikel geht es sogar darum wie im letzten Jahrhundert gleich zweimal versucht wurde unsere Sprache zu verbieten und damit unsere Identität auszulöschen. Cottbus/ Chóśebuz usw. Ist eigentlich nicht wirklich schwer.

  • Klasse Beitrag!



    Fängt schon mit der Überschrift an.



    .. „Dass ich in einer sorbischen Tracht auch gleichzeitig Antifaschistin sein kann, verstehen nicht viele“, sagt sie. Maja ist erklärte Antifaschistin, Feministin und liebt harten Punk...



    Juti, junge Frau!



    Ich mußte mal wieder nachschauen Obersorben-Niedersorben, wie das geographisch ist.



    upload.wikimedia.o...iedlungsgebiet.png



    Krabatmühle



    flickr.com/photos/...cD-257xMUz-257xMK6



    Kontrola, ty



    www.rbb-online.de/...he-musiktitel.html

  • Schmunzelnd berührt gelesen.

    Gulben



    Der Ort wurde 1414 erstmals urkundlich erwähnt. Mittelpunkt bildete ein Rittergut, deren Schloss bis zum Jahr 1945 von seinen Besitzern bewohnt wurde. Ansiedlungen erfolgten damals an der breiten Gasse des Dorfes, die Gutsarbeiter lebten etwas abseits in westlicher Richtung. Große Menschenverluste brachte im Dreißigjährigen Krieg die Pest den Gulbenern. Da der Ort zeitweise in Besitz eines sächsischen Kurfürsten lag, hielten sächsische Händler in den Jahren 1780 bis 1809 bedeutende Märkte in Gulben ab. Wenn man heute durch den langgestreckten Ort fährt, fällt etwa in der Mitte eine kleine restaurierte Kirche aus dem Jahre 1623, ersetzt durch einen Neubau 1779, angenehm ins Auge. Der Bauboom der 90er Jahre ließ auch Gulben anwachsen, 441 Einwohner werden jetzt gezählt. Alte Traditionen pflegen Mitglieder des Sportvereins „Teutonia“, der 1920 gegründet wurde. Die in diesem Zusammenhang organisierten Veranstaltungen bereichern das dörfliche Leben und lassen „Neu- und Altbürger“ zusammenwachsen.“



    gemeinde-kolkwitz.de/ortsteile/gulben/

    unterm—— schmunzelnd —-



    Weil - da haste als Zaungast/Kiebitz post Wende bei Frühstückstischrunden - grad zu Minderheiten in Brandenburg & building einer neuen Verfassung mitgesessen/-diskutiert - wa.



    Und was wurden da nicht für Modelle weltweit durchdiskutiert - seziert - verworfen & da capo! Und vor allem - das haste als Jurist nicht so häufig: Daß dir wie hier das “fleischgewordene“ - das Gelebte gespiegelt wird.



    (ps aus dem Skat - kein Geringerer als Rainer “Ölprinz“ Candidus Barzel!



    Das wandelnde gescheiterte Mißtrauensvotum (ossigeschädigt quasi;)!



    Witterte Unrat “…da hätten sich Altlinke ihre feuchten 68-Träume verwirklicht!



    Das werde keinen Bestand haben!“



    “Ausgerechnet Herr Barzel ist für solche Prognosen der geeignete Kandidat!



    Habe er doch noch 1953 das Grundgesetz als vorläufiges Provisorium gegeißelt!



    Das keinen langen Bestand haben werde!“ replizierte einer der Verfassungsväter!;

    • @Lowandorder:

      Es freut mich - hier zu lesen - wie ein solches am grünen Tisch ersonnenes Regelwerk lebendig umgesetzt wird.



      Weiter masel tov dabei,

  • Ein paar Ungenauigkeiten gibt's hier doch:

    z.B.: "Wendisch, das ist die Sprache der Niedersorben, eine westslawische Sprache wie Polnisch oder Tschechisch.": Tatsächlich ist "Wendisch" ein Sammelbegriff, der ursprünglich wohl ein westslawisches Volk an der Ostseeküste (also altpolabisch-, nicht sorbischsprachig) bezeichnete. Über die Jahrhunderte wurde der Begriff allgemeiner, man bezeichnet damit von deutsch- und niederdeutschsprachiger Seite her alle möglichen slawischsprachigen Völkerschaften. Man kann das noch nicht einmal auf westslawische Sprachen reduzieren, wird doch im zweisprachigen Teil Kärntens mitunter das Slowenische, eine südslawische Sprache, als "Windisch" bezeichnet, eine regionale Variante des Wortes "wendisch". Ansonsten findet man in weiten Teilen Deutschlands, wo früher slawische Sprachen gesprochen wurden, den Ausdruck "Wendisch" in Ortsnamen oder Landschaftsbezeichnungen. z.B. in Ostniedersachsen, wo bis ins 18. Jahrhundert Drawänopolabisch gesprochen wurde. Da gibt es Ortsnamen wie "Wendisch Evern" vs. "Deutsch Evern" (auf Niederdeutsch "Wendisch - " bzw. "Düütsch Äwern"), oder auch die Landschaftsbezeichnung "Wendland". So etwas ist überhaupt weit verbreitet im (π x Daumen) nordöstlichen Viertel Deutschlands, also nicht allein auf Niedersorben zu reduzieren.

    Oder auch die Aussage: "Von schätzungsweise noch 60.000 sich bekennenden Sorben gehören 40.000 entweder der katholischen oder evangelischen Konfession an. Eine Auseinandersetzung mit Themen wie sexueller Identität oder modernen Subkulturen stellt sich in diesen Räumen schwierig dar." - eine unnötig pauschalisierende Problematisierung religös geprägter Gemeinschaften. Auf manche Umfelder, z.B. wenn es um strenge Katholiken geht, mag die Kritik zutreffen. Aber nicht alle Katholiken sind streng und nicht alle Christen sind katholisch. Viele Christen verstehen die Botschaft Jesu im Gegenteil als einen Aufruf zu mehr Weltoffenheit.

    Ansonsten ein sehr schöner Artikel!

    • @Ein alter Kauz:

      Tatsächlich ist es ja so dass es auch deswegen noch besonders viele katholische Sorben gibt, weil die katholische Kirche nie ein Problem mit dem Sorbischen hatte. Die Evangelen haben schön die preußische und auch sächsische Politik der Assimilierung der Sorben mitgetragen. Die katholische Kirche hat somit in der Region dazu beigetragen dass es heute überhaupt noch Sorben gibt. Bei aller berechtigter Kritik sollte man das nicht vergessen.

  • "„Für uns ist Identität eine philosophische Frage. Wir haben zum Beispiel absolut keinen Bock auf Patriotismus. Uns geht es darum, Kunst und Kultur zu schaffen, Menschen zusammenzubringen“"

    Das Beharren auf eine eigene Sprache ist auch eine Form von Patriotismus. Und auch das Schaffen von Kultur und Kunst unter dem Siegel des Sorbischen ist eine Form von Patriotismus. Oder zumindest Nationalismus.

    • @John Farson:

      Es gibt für viele Begrifflichkeiten sehr unterschiedliche Definitionen. Auch für Patriotismus und Nationalismus.

      Geht man streng etymologisch an die Begriffe Patriotismus und Nationalismus heran, so haben beide mit Abstammung zu tun, der eine mit dem lateinischen Wort "Patria", was im Wortsinne ungefähr dem Deutschen "Vaterland" entspricht, der andere mit lateinisch "natio", was wiederum mit "nasci, nascor, natus sum", d.h. geboren werden, zusammen hängt. Geht man also streng nach dem Wortsinn, so beziehen sich die Begriffe "Patriotismus" und "Nationalismus" beide auf gebürtige Herkunft bzw. Abstammung.

      Die Gruppe um Maja Schramm sieht ihr sorbisches Selbstverständnis ja aber explizit als etwas, das nichts mit Abstammung zu tun hat. Der Artikel zitiert sie wie folgt: „Was häufig nicht von älteren Generationen verstanden wird, ist, dass sorbisch sein ein Selbstbekenntnis ist und nichts mit Abstammung zu tun hat.“

      Warum also an dieser Stelle das Nationalismus- oder Patriotismus-Etikett? Vielleicht wollen Sie an dem Engagement dieser Leute etwas hässliches sehen, weil Sie sprachliche und kulturelle Gleichmacherei befürworten. So etwas gibt es ja in allen Spielarten, von der Idee, künstliche Möchtegern-Weltsprachen wie Volapük und Esperanto zu entwickeln bishin zu der erfolgreicheren Masche, die Sprachen ehemaliger Kolonialmächte, vor allem das Englische, als internationale Linguae francae zu etablieren. Nicht zu vergessen die bis vor wenigen Jahrzehnten verbreitete Rohrstock-Pädagogik, mit der man regionale Dialekte und Minderheitssprachen zugunsten nationaler Amtssprachen zurückgedrängt hat.

      Wer ein gesundes ästhetisches Empfinden hat, sollte schön finden, dass weltweit (noch) abertausende Sprachen gesprochen werden und sich für den Erhalt dieser bedrohten Vielfalt einsetzen. Sehr viele Sprachen haben nur wenige Sprecher und werden von verbreiteteren Sprachen verdrängt. Der Einsatz für das Niedersorbische ist somit Teil einer Bewegung gegen ein globales Problem.