Leerstellen auf documenta-Podium

Auf keinen Fall konkret werden. Verantwortliche für Antisemitismus in Kassel weiter gesucht

Von Andreas Fanizadeh

Es war erneut ein verstörender Auftritt in Kassel. Am Mittwochabend wollte man auf der documenta unter dem Titel „Antisemitismus in der Kunst“ endlich über den Skandal diskutieren. Wie es dazu kam, dass es antisemitische Inhalte auf diese „Weltschau“ schafften? Das Banner „People’s Justice“ des indonesischen Kollektivs Taring Padi hängt nicht mehr. Doch Hessens Kulturministerin Angela Dorn machte in ihrem Grußwort zu Beginn der Veranstaltung keinen Hehl daraus, dass auch andere auf der documenta fifteen gezeigte Positionen einen auf Israel bezogenen Antisemitismus beförderten. Eine Überprüfung der bis 18. September laufenden Schau findet deswegen derzeit statt.

Auch ein die Japanische Rote Armee verklärendes Video wurde so inzwischen aus dem Verkehr gezogen. Die linksextremistische Organisation wurde von der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) in deren Lagern im Libanon ausgebildet. Im Auftrag der PFLP verübte sie 1972 ein übles Massaker in Israel am Flughafen Lod bei Tel Aviv. 26 Menschen starben. Auch über andere fragwürdige Beiträge auf der documenta fifteen wird im Hintergrund noch gestritten.

Über all dies hätte man am Mittwochabend gerne von den verantwortlichen Kuratoren, Beiräten, Künstlern, documenta-Team und -Geschäftsführung etwas gehört. Doch niemand von ihnen hatte wohl den Mumm, die Verantwortung bei einer öffentlichen Diskussion zu übernehmen und am Podium teilzunehmen. Lediglich zu Beginn der Gesprächsrunde meldete sich aus dem Publikum der indonesische Künstler und Kurator Ade Darmawan als Sprecher der documenta-Chefkuratoren Ruangrupa kurz zu Wort. Man sei hier, „um zu lernen und zuzuhören“. Mehr kam nicht.

Das klingt inzwischen nach einer routinierten Ausrede, um für die „Weltschau“ (Budget 42,2 Millionen Euro) nur dann Verantwortung zu übernehmen, wenn es einem passt. ­Ruangrupa hätte nun die Chance gehabt, mit zwei gebürtigen jüdischen Israelis wie Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden in Deutschland und Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank aus Frankfurt öffentlich zu diskutieren.

Wie der Leiter der früheren documenta 14, Adam Szymczyk, unterstützt Ruangrupa-Sprecher Ade Darmawan Aufrufe, die Israel als Staat pauschal denunzieren und sein Existenzrecht in Frage stellen. Sie stammen von der Israel-Boykottbewegung BDS und finden bei Kulturfunktionären weltweit rege Resonanz. Der Export von Waren aus Israel, aber auch generell der Austausch mit jüdischen Israelis, soll weltweit blockiert werden. Doron Kiesel vom Zentralrat zweifelte denn auch daran, dass es ein Zufall sei, wenn an dieser documenta bei 1.500 in Kollektiven beteiligten Künstlern sich keine jüdischen Israelis fänden. Auch Mendel befürchtete in diesem Zusammenhang einen „silent boycott“, den die documenta fifteen in Kassel praktiziere. Andere Diskutantinnen wie Professorin Nikita Dhawan fegten hingegen mit Fanon und Said über solch konkrete Fragen mit autoritärer Geste hinweg.

Man hätte zu gerne auch von Kulturmanagern aus documenta-Findungskommission und -Beiräten wie Ute Meta Bauer oder Charles Esche gehört, mit welchen Erwartungen sie 2019 Ruangrupa als Leiter auswählten. So hatte Charles Esche, BDS-Befürworter, mit Ruangrupa bereits zuvor zusammengearbeitet. Esche hat seit 2004 den üppig dotierten Postens des Direktors des Van Abbemuseums im niederländischen Eindhoven inne. Dort stellt parallel zu seinem documenta-Auftritt der australische Künstler Richard Bell aus. Das nennt man Synergie. Bell schimpft in den niederländischen Medien über eine angeblich islamophobe Kampagne gegen die documenta fifteen. So kann man die Dinge auch verdrehen.