Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes: Bedingt Erfolg versprechend

Bei der Aufarbeitung des Einsatzes in Afghanistan sind Auftraggeber und Untersuchungsobjekt identisch. Es sind die Ampelparteien und die Union.

Ein Mann mit Waffe auf einm Pick-Up

Kabul im September 2021: Die Bundeswehr ist weg, und die Taliban patrouillieren wieder Foto: Oliver Weiken/dpa

Eine Untersuchung der deutschen Beteiligung am Afghanistan-Einsatz könne „das gemeinsame Credo“ bekräftigen, dass „dieser Einsatz nicht vergebens“ gewesen sei. Das sagte Annalena Baer­bock am 28. Juni bei einer Konferenz der afghanischen Diaspora in Berlin. Der FDP-Abgeordnete Alexander Müller erklärte bei der ersten Debatte zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (UA) und einer Enquetekommission zum Thema Afghanistan im Bundestag am 23. Juni:

„Wir haben einer ganzen Generation von Afghaninnen und Afghanen ermöglicht, Bildung, Demokratie und Freiheit zu ­erleben.“ Was beide verschweigen: Deutsche Politik trug auch dazu bei, dass es am 15. August 2022, als die Taliban wieder die Macht in Afghanistan übernahmen, mit diesen Freiheiten wieder vorbei war.

Problematisch an beiden Äußerungen ist, dass sie bereits ein Ergebnis präjudizieren. Eine unvoreingenommene Aufarbeitung des Einsatzes ist damit von vornherein eingeschränkt. Baerbock und Müller spiegeln die Hoffnung einer sehr breiten Mehrheit im Bundestag: Die Parteien der Ampelkoalition und der nun oppositionellen CDU/CSU haben diesen Einsatz in unterschiedlicher Regierungszusammensetzung über den Zeitraum von 2001 bis 2021 getragen und immer wieder schöngeredet.

Zu Beginn des Einsatzes regierte Rot-Grün, gefolgt von der Großen Koalition, unterbrochen von Schwarz-Gelb, und aktuell die Ampel. Nun leiten sie gemeinsam die parlamentarische Aufarbeitung ein. Dabei wurden die Arbeitsaufträge für beide Gremien geschickt beschnitten. Laut SPDler Ralf Stegner soll der von ihm zu leitende Untersuchungsausschuss herausfinden, „warum diese Mission am Ende so gescheitert“ und insbesondere die Evakuierung der gefährdeten afghanischen Ortskräfte „in die Hose gegangen ist“.

Er behandelt also nur die letzte, zwar dramatische Phase des Einsatzes, als das Kind schon lange im Brunnen lag. Immerhin soll er unter anderem klären, inwieweit die Bundesregierung auf ein Friedensabkommen vor dem Abzug gedrungen hat – dessen Nichtzustandekommen letztlich zur ungehinderten Machtübernahme der Taliban führte. Deutschland steuerte mit dem sogenannten innerafghanischen Dialog in Katar nur das Beiprogramm zu den US-Verhandlungen mit den Taliban bei, ohne eigene Akzente zu setzen.

Enquetekommission politisch bedeutender

Trotzdem und trotz der brisanten und offenen Frage der Evakuierung der afghanischen Ortskräfte ist der Ausschuss unterm Strich politisch weniger bedeutsam als die Enquetekommission. Die nämlich soll den Gesamteinsatz unter die Lupe nehmen, also auch die Weichenstellungen deutscher Regierungen gerade in den Anfangs­jahren, die zum endgültigen Scheitern des Einsatzes beitrugen.

Immerhin konnten Bemühungen abgeschmettert werden, wohl aus dem Auswärtigen Amt, den Untersuchungszeitraum auf die Jahre ab 2013 zu begrenzen, als die Nato bereits den Truppenabzug beschlossen und damit die Mission de facto aufgegeben hatte. Allerdings darf die Kommission im Gegensatz zum Untersuchungsausschuss keine Zeugen vorladen und nicht die Herausgabe von Regierungsdokumenten verlangen.

Hier gilt es, genau darauf zu achten, wo sie ihre inhaltlichen Schwerpunkte setzen wird und wie die Bundesministerien kooperieren. Die Liste der offenen Fragen ist zu lang für diesen Kommentar, deshalb hier nur eine Auswahl: Inwieweit trug die finanzielle und personelle Bevorzugung der Bundeswehr zum Scheitern des zivilen Wiederaufbaus und damit zum Zusammenbruch der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen im August 2021 bei?

Warum setzte man sich nicht deutlich und im EU-Rahmen von der Militär-first-Strategie der USA ab? Warum blieb die Parteien- und Parlamentsförderung so begrenzt? Warum entschied sich die Bundesregierung bei der Nato-Truppenstationierung über Kabul hinaus Ende 2003 für Kundus und nicht den Süd­osten, traditionell Schwerpunkt westdeutscher Entwicklungsarbeit?

Unendlich viele Fragen

Trug die teils ostentative, teils einfach unkritische Kooperation mit Warlords in Kundus, Faisabad und Masar-i-Scharif sowie mit Milizen einer islamistischen Partei in Baghlan, die im Verdacht steht, Kriegsverbrechen begangen zu haben, zur Taliban-Expansion nach Nord-Afghanistan bei? Welche Rolle spielte Zuarbeit von BND und Bundeswehr zur Nato-Zielauswahl, der sogenannten Joint Prioritized Effects List? Gab es in der Folge dort mehr zivile Opfer?

Haben sich später ermittelte rechtsextreme Gesinnungen beim Kommando Spezialkräfte in Afghanistan gegenüber der Zivilbevölkerung ausgewirkt? Warum wurden Ende 2016 Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufgenommen, obwohl sich nach Ende der Nato-Kampfmission Isaf 2014 die Sicherheitslage erheblich verschlechterte? Und schließlich: Trugen geschönte Lageeinschätzungen zum Desaster im August 2021 bei?

Zwar betrachten viele afghanische oder aus Afghanistan stammende Ak­ti­vis­t:in­nen und Ana­lys­t:in­nen wie die schon länger in Deutschland lebende, aus Afghanistan stammende Hochschullehrerin Jasamin Ulfat die weitere „Existenz einer afghanischen Zivilgesellschaft, so rudimentär sie (nach der Taliban-Machtübernahme) auch sein mag“, als positives Ergebnis des Afghanistan-Einsatzes. Das allerdings klingt wie Pfeifen im nächtlichen Wald.

Die Taliban lassen zivilgesellschaftlichem, zumal öffentlichem Handeln keinen Spielraum, vor allem nicht, wenn es politisch zu werden droht. Nicht zuletzt die Niederschlagung der Frauenproteste und letzte Woche ihre Große Versammlung in Kabul, bei der sie ihren absoluten Herrschaftsanspruch untermauerten, machen das deutlich. Derweil hat sich der Westen – inklusive der Bundesregierung – mit seinem Scheitern in Afghanistan der Mittel beraubt, daran auf absehbare Zeit wirklich etwas ändern zu können.

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war von 2000 bis 2003 UN-Mitarbeiter in Afghanistan, dann dort Vize-Repräsentant der EU – und hat falsche politische Weichenstellungen dort nicht nur hautnah miterlebt, sondern oft kritisiert, was ihm den Ruf eines „Schwarzsehers“ einbrachte.

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