Reaktion auf explodierende Gaspreise: Zehn Stunden warmes Wasser

Die Genossenschaft Dippoldiswalde rationiert Warmwasser in hunderten Wohnungen. Die Anwohner bleiben gelassen.

Eine Badeente in schaumigem Badewassser

Kalt duschen statt warm baden: im sächsischen Dippoldiswalde bleibt man gelassen Foto: imago

DIPPOLDISWALDE taz | Manchmal hilft nur noch Galgenhumor: „Siehst ganz frisch aus fürs Kaltduschen“, ruft ein Senioren-Ehepaar einer Nachbarin zu, die gerade das Haus verlässt. Ein Blick auf die Uhr bestätigt: Es ist 14 Uhr, also herrscht seit einer Stunde „Kaltzeit“ in dem Wohnblock in Dippoldiswalde unten an der Goethe- und Talsperrenstraße. Per Aushang hat die Wohnungsgenossenschaft die Warmwasserversorgung limitiert: Warm duschen geht nur noch während dreier Zeitfenster, an insgesamt zehn Stunden pro Tag. Die Heizung wird erst im September wieder eingeschaltet.

Nun entdecken Kamerateams die Kleinstadt in Sachsen, weil erstmals in der Bundesrepublik ein Wohnungsanbieter vorsorglich auf die explodierenden Energiepreise reagiert. Die Vorauszahlungen der Genossenschaft an den örtlichen Energieversorger lagen im vergangenen Jahr noch bei etwa 100.000 Euro. In diesem Jahr werden sie sich voraussichtlich vervierfachen.

Mit der nächsten Betriebskostenabrechnung käme damit auch auf die Mieter eine drastische Steigerung zu. Genossenschaftsvorstand Falk Kühn-Meisegeier sieht keine andere Möglichkeit, als Warmwasser und Heizung zu rationieren: „Es geht nicht darum, die Mieter zu gängeln, sondern sich auf das einzustellen, was wir im nächsten Jahr vielleicht sonst nicht mehr bezahlen können“, sagte er dem MDR.

Die Warmwasser-Reduzierung für rund 600 Mieter ist nun Stadtgespräch. Das Rentner-Ehepaar in der sanierten und preisgünstigen Plattenbauwohnung an der Talsperrenstraße ist aber von Panik weit entfernt. „Da musste ja mal was passieren angesichts der globalen Entwicklung“, sagen die beiden verständnisvoll. Das Wasser werde auch nicht schlagartig kalt.

Schichtarbeitende haben es schwer

An jedem zweiten Hauseingang ist ein 300-Liter-Speicher installiert, der die Zeit bis zur nächsten Gas-Aufheizphase überbrückt. Das Paar denkt nicht einmal an eine Mietminderung, auf die sie durch diese Reduzierung der Wohnqualität Anspruch hätten. „Wir werden uns alle einschränken müssen!“

Für eine ältere Dame, die mit Krücken die Goethestraße entlangläuft, stellt das überhaupt kein Problem dar: „Ich bin Frühaufsteherin, ich kann mir den Wasserverbrauch einrichten“, bekräftigt sie, wiegt aber nachdenklich den Kopf bei der Frage, ob das Vorgehen der Genossenschaft rechtskonform sei. Immerhin hatte die Mitgliederversammlung die Warmwasser-Reduzierung beschlossen. Doch ob es ausreicht, die Mieter nur über einen Aushang in den Treppenhäusern zu informieren – daran zweifeln hier viele.

So auch zwei schwangere Frauen, die sich ohnehin stärker von der zeitweisen Abschaltung betroffen sehen als ihre pensionierten Nachbarn. Auch andere Befragte im Wohngebiet verweisen auf Mütter mit kleinen Kindern sowie Pflegebedürftige und Schichtarbeiter, die es nun schwerer haben.

Unweit der Geschäftsstelle der Wohnungsgenossenschaft befindet sich ihr Gästehaus, ein Neubau, dessen oberen drei Etagen aber vermietet sind. Hier trifft man einen 58-jährigen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), das in der Nachbarschaft eine Wohnsiedlung für Senioren betreibt. Wie alle gibt er bereitwillig Auskunft, möchte aber seinen Namen keinesfalls in der Zeitung sehen.

Auch Nazis mobilisieren

Genossenschaftschef Falk Kühn-Meisegeier sei umtriebig und habe viel in Bewegung gebracht. Aber er sei eben auch schwierig im menschlichen Umgang und habe gute Anwälte. „Faustdick hinter den Ohren“ habe es der hier so genannte „Mäusegeier“, heißt es einige Blöcke weiter.

Die Genossenschaft und ihr Geschäftsführer wollen sich auf taz-Anfrage nicht äußern, ebenso wenig wie die Oberbürgermeisterin von Dippoldiswalde, Kerstin Körner. Die Verantwortlichen werden derzeit im Netz und per Telefon angefeindet. Auch die rechte Szene versucht das Thema für sich einzunehmen. Etwa zeigen die rechtsextremen „Freien Sachsen“ auf ihrem Telegram-Kanal, wie sie vor dem angeblichen Privathaus von Falk Kühn-Meisegeier stehen, um diesen zu „konfrontieren“.

Die meisten Angesprochenen in Dippoldiswalde hingegen bekunden zumindest teilweise Verständnis. Kritik gibt es eher an der Art, wie die Rationierung beschlossen wurde: „Man hätte zuvor wenigstens mit den Mietern reden müssen“, meint der DRK-Mitarbeiter. Florian Bau, Sprecher des Mieterbundes Sachsen, vermisst eine Rechtsgrundlage für das Vorgehen. Die Wohnung müsse nun als mangelhaft gelten, eine Mietminderung von bis zu zehn Prozent wäre gerichtlich durchsetzbar. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) äußerte die gleiche Auffassung.

Hörerkommentare nach einem MDR-Bericht ziehen in apokalyptischer Lust schon Vergleiche mit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf den Straßen von Dippoldiswalde raunt man zumindest, dass dieser Testballon der Wohnungsgenossenschaft erst der Anfang war. „Euch in Dresden erwischt es auch noch“, ruft eine Passantin lachend dem Reporter zu.

Und siehe da: Am Donnerstag teilt das Immobilienunternehmen Vonovia mit, künftig in Wohnungen mit Gasheizung nachts die Heiztemperatur auf 17 Grad Celsius herunterzudrehen. So könnten bis zu 8 Prozent des Heizaufwands eingespart werden, erklärt Vonovia und stellt klar: Die Warmwasserversorgung sei davon nicht betroffen.

Vonovia besitzt rund 500.000 Wohnungen in ganz Deutschland, mehr als die Hälfte der Heizungen laufen mit Gas. Doch von den steigenden Preisen seien alle betroffen, warnt der Konzern – Rationierung hin oder her.

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