EZB unterstützt Südeuropa: Neue Eurokrise vorerst abgeblasen

Die Europäische Zentralbank hat mit der Zinswende für Entsetzen in Südeuropa gesorgt. Nach einer Feuerwehraktion ist man nun beruhigt.

Ein Hochhaus im frühen Morgenlicht

Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

ROM taz | Man konnte das Aufatmen förmlich hören, das am Mittwochabend durch alle italienischen TV-Nachrichten, am nächsten Morgen dann durch die Tageszeitungen ging. Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt Italien, lässt auch die anderen Staaten im Süden Europas wie Spanien oder Portugal nicht im Regen stehen: Dies war der Tenor, nachdem die EZB am Mittwoch eiligst ihr Direktorium zu einer Sondersitzung zusammengetrommelt und Stützungsmaßnahmen für die von Spekulationen besonders betroffenen Mitglieder der Eurozone in Aussicht gestellt hatte.

Genau besehen hatte die EZB diesen Feuerwehreinsatz selbst provoziert. Erst am Donnerstag vergangener Woche nämlich hatte deren Chefin Christine Lagarde bekanntgegeben, vom 1. Juli an werde nicht nur der Leitzins auf den Euro erhöht, sondern es würden auch die Stützungskäufe von Staatsanleihen der Euro-Mitgliedstaaten gestoppt. Damit wurde der gemeinsame Euro-Schutzschild quasi in die Ecke gestellt, und an den Finanzmärkten rückte wieder die Situation der einzelnen Euro-Staaten in den Fokus – mit besonderem Augenmerk auf die schwächelnden Länder.

Und dort steht Italien ganz oben auf der Liste. Es hat inzwischen Staatsschulden von 2,75 Billionen Euro angehäuft, das macht 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Die von der EU erlaubte Obergrenze liegt bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Die deutsche Schuldenquote lag 2021 bei 69,3 Prozent.

Vor der Corona-Pandemie hatten die Schulden noch bei – auch schon hohen – 135 Prozent des BIP gelegen. Der durch die Covid-Lockdowns verursachte tiefe wirtschaftliche Einbruch hatte zusammen mit den notwendig gewordenen staatlichen Abfederungsmaßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und der Einkommen einen weiteren rasanten Anstieg der staatlichen Verbindlichkeiten nach sich gezogen.

Eurozone in der Pandemie solidarisch

Doch auf die Zinsen Italiens, auf den Zinsabstand auch zum Stabilitätsprimus Deutschland hatte diese Tatsache zunächst keinen Einfluss. So musste das Land auf seine zehnjährigen Schuldverschreibungen noch im Februar 2021 nur 0,9 Prozent mehr Zinsen zahlen als Deutschland. Der Grund: Die EU zeigte sich solidarisch. Der Stabilitätspakt wurde ausgesetzt, die EZB kaufte eifrig Staatsanleihen ihrer Mitgliedsländer, die EU verabschiedete das Mega-Paket „Next Generation EU“, das allein Italien in den Jahren 2021 bis 2026 etwa 190 Milliarden Euro in die Kassen spült, als direkte Zuwendungen oder als Billigkredite.

Der nun von der EZB angekündigte Stopp der Anleihekäufe änderte vieles: Die Finanzmärkte verstanden ihn als Signal, dass es mit dieser unverbrüchlichen Solidarität erst einmal vorbei ist, dass in Zukunft jeder Staat in der Eurozone wieder auf eigene Rechnung wirtschaftet.

Für Italien eine ungemütliche Situation: Wie wichtig die Aufkäufe der europäischen Notenbank für das Land waren, zeigt sich daran, dass mittlerweile ein Viertel der Staatstitel des Landes von der EZB gehalten wird, ein weiteres Viertel liegt bei Italiens Banken.

Drohende „Fragmentierung“ der Euro-Zone

Die „Märkte“ reagierten prompt. Bis zum Dienstag schnellte der Zinsabstand („Spread“) zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen auf 2,5 Prozent hoch, italienische Bankentitel brachen an der Mailänder Börse regelrecht ein. Ähnlich erging es Griechenland und Spanien mit ihren Staatsanleihen. ExpertInnen sprachen schon wieder von einer drohenden „Fragmentierung“ der Euro-Zone in den armen Süden und den prosperierenden Norden.

Die Risikoaufschläge weckten vielerorts Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor etwa einem Jahrzehnt – damals lagen die „Spreads“ aber noch viel höher. Die deshalb enorm teure Tilgung der Staatsschulden vieler europäischer Länder drohte, viele Etats zu überfordern und so den Euro zu sprengen. Damals konnten die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als der einstige EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zentralbank werde alles innerhalb ihres Mandats alles tun, um den Euro zu retten („whatever it takes“).

Draghi, heute Italiens Regierungschef, schwieg zur verunglückten Zinswende der aktuellen EZB-Chefin Lagarde. Ungehalten äußerte sich Italiens Finanzminister Massimo Franco. Er sprach von „Irritationen“ und davon, dass die EZB „unnötige Spannungen“ verursacht habe. Mit der Sondersitzung am Mittwoch versuchte das EZB-Direktorium, die Investoren wieder einzufangen.

Angekündigt wurden „flexible“ Stützungsmaßnahmen, die zu hohe Zinsabstände zwischen den Euro-Mitgliedstaaten verhindern sollen. Worin die genau bestehen sollen, wurde noch nicht definiert. Doch schon die Ankündigung hatte einen ersten Effekt. Schon am Mittwoch ging Italiens Zinsabstand zu Deutschland wieder auf 2,2 Prozent zurück. Und die Banken des Landes legten an der Börse kräftig zu. Die Rendite der 10-jährigen italienischen Staatsanleihe sank zeitweise auf 3,92 Prozent. Ähnlich bei griechischen 10-jährigen Staatstiteln. Hier verringerte sich die Rendite auf 4,308 Prozent, ein Rückgang von 0,35 Prozentpunkten.

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