Ukrainische Kriegsgeschichte: Der Krieg im Donbas

Der Autor erlebt bereits den zweiten Krieg in seiner Heimat. Vor acht Jahren floh er vor Verfolgung aus seiner ostukrainischen Heimat.

Eine kleiner Junge wird von einer Frau am Kopf gestrichen, sie führt ihn von einem ausgebrannten Panzer weg

Mai 2014, ein ausgebrannter Panzer in Slawjansk Foto: Itar-TAss/imago

Eine sehr beliebte Formulierung der Befürworter von Russlands Krieg gegen die Ukraine ist „Wo waren Sie die letzten acht Jahre?“ Auf diese rhetorische Frage muss man nicht antworten. Denn sie zielt im Wesen darauf ab, dass die Ukraine acht Jahre lang Krieg gegen die Separatisten im Donbas geführt hätte, und es deshalb, so sagen sie, jetzt keinen Grund gebe, sich darüber zu empören, dass die russische Armee ukrainische Städte bombardiert.

Ich bin bereit, zu erzählen, was ich vor acht Jahren getan habe, als Russland meine Heimat überfallen hat.

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Kriegsbeginn 2014

Es war ein noch ziemlich kühler Frühlingstag, der 12. April 2014, der „Tag der Kosmonauten“. Ich bin zwanzig Jahre alt, ich habe lange lockige Haare und bin Student an der Pädagogischen Hochschule in Slawjansk. Mein Studium läuft schleppend, ich gehe selten in die Uni, weil ich noch zwei Jobs habe: tagsüber arbeite ich als Nachrichtenredakteur einer lokalen Tageszeitung und abends als Filmvorführer in einem kleinen Kino.

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An diesem Tag bat ich einen Kollegen, mich zu vertreten, aber trotzdem bin ich nicht zur Arbeit zurückgekommen. An diesem Morgen kam die Einheit des Rebellen-Kommandanten Igor Girkin, genannt Strelkow, ehemaliger Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB, und besetzte die städtische Polizeiwache. Und am Abend wehte über dem Rathaus von Slawjansk die russische Flagge.

Im Laufe des Tages wurden überall Kontrollposten errichtet, Hubschrauber kreisten über der Stadt und die Macht in der Stadt ging schließlich an Bewaffnete über.

Am fünften Tag nach der Einnahme der Stadt kamen sie auch zu mir. Ich war in mehreren Fernsehsendern zu sehen gewesen und das hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Gerettet hat mich einzig und allein, dass ich während der Haussuchung in einem anderen Wohnheimzimmer war. Der banale Wunsch, mit Freunden eine Tasse Tee zu trinken, hat meine Gesundheit und vielleicht sogar mein Leben gerettet. Am nächsten Morgen fuhr ich nach Lwiw, ans andere Ende der Ukraine.

Nach 2015 gab es keine größeren Zusammenstöße mehr und ungeachtet der Opfer unter der Zivilbevölkerung und den Streitkräften – schien der Krieg wirklich in Vergessenheit zu geraten. Ich selbst dachte, dass der Krieg zwar nicht aufgehört, aber doch zumindest in das Stadium eines eingefrorenen Konflikts übergegangen war.

Der aktuelle Krieg 2022

24. Februar 2022. Ich bin 28 Jahre alt, ich habe lockige Haare mit grauen Schläfen. Ich liege auf der Couch einer Kiewer Mietwohnung, vor meinen Fenstern hört man dumpfe Explosionen. Einer der ersten Gedanken, die mir in den Kopf kamen, war: für mich ist das schon der zweite Krieg in Folge. Ich habe den ersten überstanden, ich werde auch den zweiten überstehen. Koffer, Wohnungsschlüssel, Lwiw.

Ich war nicht bereit, weder für den ersten noch für den zweiten Krieg. Der zweite fühlte sich an, als habe es eine persönliche Verschnaufpause gegeben, die plötzlich vorbei war. Sowohl 2014 als auch 2022 wurde viel über die Möglichkeiten eines Krieges gesprochen, aber ich habe es geschafft, mir selber etwas vorzumachen. Und bin zweimal darauf hereingefallen.

Am fünften Kriegstag habe ich mir die Haare abgeschnitten, aber die grauen Schläfen wurde ich trotzdem nicht los. Werde ich mich in acht Jahren an diese Tage erinnern?

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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stammt aus der Ostukraine und war nach Beginn des Krieges im Donbass 2014 nach Kyjiw gekommen. Am ersten Kriegstag 2022 war er nach Lwiw geflohen, nach 100 Tagen ist er zurück in Kyjiw. Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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