Gedenken zum 9. Mai in Berlin: Tag der Gereiztheiten

Bei den Feiern zum Tag des Sieges kommen viele Putin-Fans und Verteidiger des Krieges. Streit mit Kriegsgegnern ist die Folge.

Vier Frauen, eine mit Russlandfahne stehen im Inneren der Soldatenstatuer im Treptower Park in dem sich Blumen stapeln

Blumen, Gedenken und russische Propaganda im inneren des Soldatendenkmals im Treptwoer Park Foto: Chrstian Mang

BERLIN taz | Es war kein freudiger Tag des Sieges über den deutschen Faschismus in Berlin. Stattdessen waren es spannungsgeladene Veranstaltungen, die vor allem an den sowjetischen Ehrenmalen im Treptower Park und auf der Straße des 17. Juni insgesamt Tausende anzogen. Zur ganz großen Propagandashow der Putintreuen wurde dieser 9. Mai entgegen vieler Befürchtungen aber nicht, ebenso wenig kam es zu größeren Störaktionen oder handfesten Auseinandersetzungen.

Verbale Streitereien zwischen Ver­tei­di­ge­r:in­nen und Geg­ne­r:in­nen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine waren dagegen allgegenwärtig. Insgesamt 1.800 Po­li­zis­t:in­nen begleiteten die Versammlungen und setzten dabei die umstrittenen Fahnenverbote, neben der russischen und sowjetischen Fahne war auch die ukrainische betroffen, um.

Einzig bei dem offiziellen Gedenken der russischen Botschaft zu Fuße der monumentalen Soldatenstatue im Treptower Park – und wenig später auch im Tiergarten – wehten einige russische Fahnen, hier war es von der Polizei erlaubt. Schon morgens kurz nach 9 Uhr war die Delegation von Ver­tre­te­r:in­nen des russischen Staates, der Streitkräfte und der russisch-orthodoxen Kirsche erschienen, dazu Abgesandte ehemaliger Sowjetrepubliken.

In Zehnerreihen traten die Anzug- und Kos­tüm­trä­ge­r:in­nen vor die aufgereihten Kränze und legten Blumen ab. Männer in Uniformen salutierten, ein Priester predigte. Bei ihrem Abzug ertönten auf der anderen Seite des Geländers bei der Statue Mutter Heimat einige „Schande“-Rufe.

Anti-Kriegs-Kundgebung

Dort veranstaltete die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) eine Antikriegs-Kundgebung, von der sich den ganzen Tag lang die Fans Putins und des russischen Krieges provoziert fühlten. 20 Jahre lang hatte die VVN-BdA ein Fest organisiert, mit Infoständen, Bratwürsten und Bier, Ska- und Punkmusik. „Wer nicht feiert, hat verloren“, lautete das Motto.

In diesem Jahr aber ist alles anders. „Feierlich ist uns nicht zumute“, sagte der Geschäftsführer Markus Tervooren zur taz; auch wäre ein Fest von „russischen Nationalisten überlaufen worden“. Eine Pro-Ukraine-Kundgebung ist die Versammlung gleichwohl nicht – zu groß ist seine Angst vor Relativierungen des Nationalsozialismus, etwa durch Hitler-Putin-Vergleiche.

Obwohl den Red­ne­r:in­nen antirussische Ressentiments fremd sind, vergeht keine Rede ohne Zwischenrufe. Die Stichworte und Beleidigungen sind oft die gleichen, der allgemeine Tenor: „Ihr seid gegen Russland, also seid ihr Nazis.“ Es sind viele Russ:innen, die ungehalten reagieren, aber auch Deutsche, oft mit dem Hang zu Verschwörungsthesen.

Einige der acht Mitglieder der russisch-nationalistischen Motorradgang Nachtwölfe mussten am Parkeingang ihre T-Shirts und Kutten abgeben. Weitere 15 Nachtwölfe trafen gegen 15 Uhr am westlichen Berliner Stadtrand ein und waren auf dem Weg in den Tiergarten, wo sie erst nach Redaktionsschluss eintreffen sollten.

Viel Spuk

Wie ein russisches Volksfest mit Spukcharakter kommt auch die Veranstaltung im Tiergarten daher, wo ein Zug mit Heldenfotos, Blumen und russischen Volksliedern zum Ehrenmal zog. Die rund 500 Frauen und Männer, angemeldet waren 1.300, kamen mit einer Stunde Verspätung. Sie waren von der Polizei aufgehalten worden, die zahlreiche Georgsbänder und russische Fähnchen entfernen ließ. Nachdem die De­mons­tran­t:in­nen den dort begrabenen Sol­da­t:in­nen „spasibo“ (Danke) zugerufen und Blumen abgelegt hatten, tanzten sie zu russischer Folklore, fertigten Fotos fürs Familienalbum und gaben Interviews.

„Ich bin gegen Krieg“, sagte etwa ein älterer Mann und er hatte auch eine Lösung, wie der Krieg in der Ukraine schnell beendet werden könne: „Die USA müssen aufhören, den Faschisten in der Ukraine Waffen zu liefern.“ Die Bilder aus Butscha? Für den Mann und seine An­hän­ger:­innen waren das einfach Fake News westlicher Medien. „So etwas tun unsere russischen Soldaten nicht. Es ist einfach eine Schande, wie im Westen so etwas erfunden wird.“

Die De­mons­tran­t:In­nen der exilrussischen Gruppe „Demokrati-Ja“ mussten ihren eigentlich vor dem Ehrenmal angemeldeten Infostand auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufbauen. Genauso wie dem VVN während des Besuchs der Botschafters war auch ihnen zeitweise das Abspielen von Musik untersagt. Die Polizei ordnete rigoros die Entfernung von Infomaterial mit aktuellem Bezug an, darunter fielen Losungen wie „Russen gegen den Krieg“ oder das in blau-gelben Buchstaben geschriebene „Den Opfern des Faschismus“.

„Wir wurden behandelt wie Tatverdächtige“, sagt Liza Wolfson von Demokrati-Ja. „Es ist ja 2022 gar nicht möglich, des Kriegsendes von 1945 zu gedenken, ohne den Ukrainekrieg zu thematisieren, denn Putin missbraucht dieses Narrativ.“

Der Stand der russischen Gegenöffentlichkeit, den seit Jahren in Deutschland lebende Russlanddeutsche und jüdische Kontingentflüchtlinge organisiert hatten, entwickelte sich zu einem Treffpunkt russischer Künst­le­r:in­nen und Journalist:innen, die erst in den letzten Tagen nach Berlin gekommen waren und sich herzlich begrüßten. Darunter war die Journalistin Marina Owsjannikowa, die im März live im russischen Staatsfernsehen mit einem Transparent gegen den Krieg demonstriert hatte.

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