Mails vom „Staatsstreichorchester“: Drohserie bleibt unaufgeklärt

Zwei Jahre lang verschickte ein „Staatsstreichorchester“ rechte Drohungen. Es gab auch einen Verdächtigen. Nun aber sind die Ermittlungen eingestellt.

Ein Mann verdeckt sein Gesicht, er ist von Gittern umgeben

Angeklagter André M. beim Prozessauftakt in Berlin Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Die Mails waren so vulgär wie brutal. Sie stünden jetzt „auf der Todesliste“, schrieb ein selbsternanntes „Staatsstreichorchester“ an Betroffene. Man werde sie „abschlachten und eure Gebetshäuser niederbrennen“. Und die Ermittler hatten auch einen Verdächtigen für die Schreiben, waren ihm zwei Jahre auf den Fersen: Emil A., ein 35-jähriger Italiener aus Berlin. Doch nun sind die Ermittlungen nach taz-Informationen eingestellt.

Zwei Jahre lang, von April 2018 bis April 2020, gingen die wüsten Drohschreiben des „Staatsstreichorchesters“ an Politiker:innen, Behörden oder Journalist:innen. Immer wieder wurden dabei horrende Geldbeiträge in Kryptowährungen gefordert, andernfalls würden Geflüchtete oder Prominente ermordet. Teils waren den Schreiben Bilder von Munition oder Kindesmissbrauch angehängt.

Die Berliner Staatsanwaltschaft gründete eine eigene Ermittlergruppe „Triangel“, um den Verfasser zu ermitteln. Der aber verschickte die Drohmails verschlüsselt über das Tor-Netzwerk, eine Identifizierung scheiterte. Bis es Hilfe von britischen Ermittlern gab. Denn im April 2020 hatte eine Person, in ganz ähnlichem Duktus, auch dem britischen Gesundheitsdienst NHS mehrere Bombendrohungen geschickt, mit einer Forderung von 10 Millionen Pfund in Bitcoin. Und die Briten identifizierten einen Berliner Telefonanschluss – den von Emil A.

Der Berliner wurde daraufhin im Juni 2020 festgenommen. Das Berliner Landgericht verurteilte ihn schließlich im Februar 2021 für die Bombendrohung gegen den NHS und räuberischer Erpressung zu drei Jahren Haft. Auf seinem Computer konnten an den NHS versandte Drohmails nachgewiesen werden. Emil A. geht aktuell gegen das Urteil vor.

Server beschlagnahmt, Darknet-User durchsucht

Offen aber blieb, ob Emil A. auch für die Drohserie des „Staatsstreichorchesters“ verantwortlich ist. Die Berliner Ermittler jedenfalls stuften ihn auch hierfür als Verdächtigen ein: wegen des zeitlichen Zusammenhangs und des ähnlichen Duktus wie in den NHS-Schreiben.

Nun aber gibt die Berliner Staatsanwaltschaft auf – und stellte die Ermittlungen nach taz-Informationen vor wenigen Tagen ein. Ein hinreichender Tatverdacht gegen Emil A., der vor Gericht Bestand hätte, konnte nicht erhärtet werden, heißt es in einem internen Schriftsatz. Es sei, aufgrund der Verschlüsselung, letztlich nicht gelungen, den Versender der „Staatstreichorchester“-Mails zu identifizieren.

Dabei hatten die Ermittler einiges probiert. So ließen sie nach taz-Informationen einen Server eines rumänischen Onlinedienstanbieters beschlagnahmen, der sämtliche Emailadressen hostete, von denen die „Staatsstreichorchester“-Mails verschickt wurden. Auch die dortigen Daten aber waren verschlüsselt und ließen sich nicht knacken.

Auch zwei Darknetnutzer, die mit Emil A. in Kontakt gestanden haben sollen und identifiziert wurden, wurden durchsucht – auch ihre IT-Geräte ließen sich nicht entschlüsseln. Klar ist: Seit der Festnahme von Emil A. gab es keine weiteren „Staatstreichorchester“-Drohungen mehr. Mit der Einstellung der Ermittlungen bleibt diese Serie nun aber unaufgeklärt.

Für zwei weitere parallele Drohserien gibt es dagegen Beschuldigte. Für die „NSU 2.0“-Serie, in der auch Polizeidaten auftauchten, muss sich derzeit der arbeitslose Berliner Informatiker Alexander M. vor dem Frankfurter Landgericht verantworten. Für die Serie der „Nationalsozialistischen Offensive“ wurde im Dezember 2020 der 34-jährige André M. zu vier Jahren Haft verurteilt. Auch in diesen beiden Serien waren Betroffene mit wüsten, rechtsextremen Gewaltandrohungen überzogen worden.

Drohschreiber standen miteinander in Kontakt

Und: Unter den Beschuldigten gab es offenbar Kontakte. So tauschte sich André M. in einem Darknetforum mit einem Nutzer namens „Wehrmacht“ aus – so nannte sich teils auch der „Staaststreichorchester“-Schreiber. Auch die Ermittler sehen hier eine Personenidentität. Und als André M. festgenommen wurde, forderte das „Staatsstreichorchester“ in Mails dessen Freilassung, inklusive voller Namensnennung.

Und auch Alexander M., der Beschuldigte für die „NSU 2.0“-Serie, behauptete in einer Mail an den Anwalt von André M., diesen „seit vielen Jahren persönlich sehr gut“ zu kennen. Schon kurz nach der Festnahme von André M. erklärte der „NSU 2.0“ in einer Mail an das LKA Berlin zudem, die Polizei habe „den Falschen“ festgenommen – inklusive Nennung seines Geburtsdatums und seiner Adresse, beides damals öffentlich nicht bekannt. Später wurde auch M.s Gefangenennummer und das Aktenzeichen seines Verfahrens benannt. Und zum Prozessauftakt gegen André M. verschickte der „NSU 2.0“ eine Bombendrohung an das Gericht.

In einem Drohschreiben der „Nationalsozialistischen Offensive“, für die André M. verurteilt wurde, hieß es wiederum, man sei eine rechtsterroristische Vereinigung aus mehreren Gruppen – „darunter die Nationalsozialistische Offensive, NSU 2.0 und Wehrmacht“. Auch dieses mögliche Zusammenspiel der Drohschreiber bleibt unaufgeklärt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.