N-Wort an Bremer Theater: Beschweren auf eigene Gefahr

Ein*e Azubi kritisiert ein rassistisches Wortes – und verliert die Ausbildungsstelle. Oft tragen Betroffene die Folgen von Diskriminierung allein.

Vor einem American-Football-Spiel im Oktober 2016 in Santa Clara knien Linebacker Eli Harold, Quarterback Colin Kaepernick und Safety Eric Reid währendi der Nationalhymne um auf Rassismus aufmerksam zu machen

Wer Rassismus anprangert, dessen Job ist gefährdet – das gilt nicht nur für Colin Kaepernick (M.) Foto: Marcio Jose Sanchez/dpa

BREMEN taz | Bei der Aufführung von „Riders on the storm“ im Bremer Schnürschuh Theater ist es plötzlich da: Das N-Wort, einfach so als Teil des Theaterstückes. „Das war ein Schlag ins Gesicht, ich konnte mich nicht darauf vorbereiten“, sagt Ahmed Ismail. Im Publikum dagegen gibt es keine Reaktion: Normal halt.

Ismail ist 23 und macht zum Zeitpunkt der Theateraufführung seit einigen Monaten eine Ausbildung im veranstaltungsgeschäftlichen Bereich des Theaters. Die Person ist nonbinär und schwarz – und damit selbst mehrfach diskriminiert. Das N-Wort ist ein Trigger: „Mit diesem Wort wurden meine Vorfahren beschimpft“, sagt Ismail.

Der Schock ist da, der Glaube an den guten Willen der Kol­le­g*in­nen aber auch. Der*­die Azubi spricht das Thema an – und stößt auf Unverständnis: Das Stück spiele in den 1960er-Jahren, heißt es von der künstlerischen Leitung des Theaters – da sei das halt so gewesen. Das Wort sei auch gar nicht diskriminierend gemeint. Und überhaupt: Das Theater sei doch ein Ort von Kunst und Kultur – und die seien nun einmal frei. Das Wort zu streichen jedenfalls, das komme nicht infrage.

Ismail lässt das Thema nicht los. Die junge Person steckt Energie hinein, versucht, das Problem zu erklären, bittet um eine Mitarbeitendenversammlung. „Es gibt um das N-Wort eine aktuelle Debatte in Deutschland“, sagt Ismail, „ich dachte, sie werden das verstehen können.“ Aber die Versuche führen ins Leere: Das Wort soll bleiben.

Ismail verliert den Ausbildungsplatz

Im Team der fünf Kol­le­g*in­nen ändert sich die Stimmung. Ismail meint, abschätzige Blicke festzustellen, „Othering“ nennt die Veranstaltungskaufperson das, also das bewusste Einordnen als Fremdkörper. „Bist du etwa gegen uns, oder was?“, fragt eine Kollegin, als im IT-System ein Fehler passiert, den sie Ismail unterstellt.

Der junge Mensch fühlt sich zunehmend schlecht – und macht sich Sorgen: Gut wäre es nicht, die Ausbildungsstelle zu verlieren. Aber realistisch erscheint es in diesem Moment schon. Als nach einigen Wochen die Ausbildung in der Probezeit beendet wird, ist Ahmed Ismail sogar einverstanden. „Da rauszugehen war für mich am Ende der einzige Weg. Und für die war der einzige Weg: Sie mussten mich loswerden, ich war problematisch für sie.“

Ob die Geschichte genau so stattgefunden hat, wie sie hier steht, lässt sich nicht bewerten. Das Theater möchte sich zum Fall nicht äußern. Man könnte es damit gut sein lassen: Es gab Unstimmigkeiten und beide Seiten trennen sich einvernehmlich voneinander. Dafür ist die Probezeit da.

Den Schaden haben die Diskriminierten

Doch die Geschichte erzählt Strukturelles über Machtverhältnisse: Sie ist individuell zu betrachten, aber kein Einzelfall. „Es gibt Gemeinsamkeiten, die auffallen, wenn man sich anschaut, wie umgegangen wird mit Beschwerden“, sagt Aretta Mbaruk von der Bremer Beratungsstelle zu Antidiskriminierung in der Arbeitswelt (ADA). „Egal ob die Beschwerde Rassismus oder Sexismus angeprangert hat: Es passiert relativ oft, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird.“

Aus ihrer Beratungspraxis fallen ihr mehrere Fälle ein, bei denen das aufgrund von sexistischer Diskriminierung der Fall war. „Die beschwerdeführende Person ist für die anderen immer der Troubleshooter, derjenige, der Unruhe in das Unternehmen gebracht hat“, erklärt sie die Dynamik. Ein Dilemma: Besser werden kann es nur, wenn man Diskriminierung immer wieder anspricht. Aber wer das tut, muss damit rechnen, sich unbeliebt zu machen und den Job zu verlieren.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll helfen, das Ungleichgewicht etwas auszubalancieren und Diskriminierten Waffen in die Hand geben. So muss eigentlich jeder Betrieb eine Beschwerdestelle einrichten; doch wie viele privatwirtschaftliche Unternehmen das seit 2006 getan haben, ist unbekannt; für Betriebe ohne Beschwerdestelle gibt es keine Sanktionen.

Dazu kommt: Nicht jede Diskriminierung, nicht jedes rassistische oder auch sexistische Verhalten ist rechtlich relevant. Bei den meisten Jobverlusten nach einer Diskriminierung, erzählt Mbaruk, werden die Ar­beit­neh­me­r*in­nen nicht rechtswidrig gekündigt. Stattdessen gingen die Betroffenen oft von selbst, weil die Beschwerde die Lage nicht verändert oder sogar verschlimmert hat – wie in Ismails Fall.

Externe Beratung kann helfen

Es wundert daher nicht: Viele Betroffene wehren sich nicht gegen Diskriminierungen. Am Beispiel der sexuellen Belästigung hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das in einer Studie 2019 herausgearbeitet: Nur 40 Prozent der Betroffenen haben das Thema im Betrieb angesprochen, nur 23 Prozent haben sich offiziell beschwert, etwa bei Vorgesetzten.

Mbaruk rät Betroffenen dennoch zur Beschwerde – aber nur mit Unterstützung. „Rassismus ist immer eine Frage von Machtgefälle, und als Azubi ist man ohnehin schon weit unten in der Hierarchie“, sagt sie. Wo es keine interne Beschwerdestelle gibt, kann eine externe Beratung durch die Antidiskriminierungsstelle oder andere Anbieter helfen.

Mehr niedrigschwellige Beratungsangebote wären eine Lösung. Am Theater Bremen etwa gibt es seit 2018 eine Referentin für interkulturelle Öffnung. Ferdaouss Adda soll helfen, die kulturelle Arbeit und die Stücke selbst diverser zu gestalten, aber auch nach innen für interkulturelle Sensibilität zu sorgen.

Sorgen um die Zukunft

Ismail wünscht sich jedenfalls, dass die Politik tätig wird und Betroffene schützt, aber auch, dass sich Kultur und Zivilgesellschaft mit dem Thema beschäftigen und sich mit Betroffenen solidarisieren. Das N-Wort würde Ismail am liebsten verboten sehen. Ganz ohne Vorbild wäre das nicht: In München hat der Rat der Stadt das Wort im Februar geächtet.

Eine neue Ausbildungsstelle wird Ismail finden: Beim Organisieren von Veranstaltungen bringt der*­die 23-Jährige mehr Erfahrung mit als die meisten: Ismail hat den Black History Month in Bremen mit ins Leben gerufen, die Initiative „Zukunft ist bunt“ gegründet und sitzt seit Kurzem auch im Vorstand des Bremer Rats für Integration.

Sorgen um die Zukunft macht sich die Veranstaltungskaufsperson in spe trotzdem: „Ich habe Angst, dass mir so was wieder passiert, bei der nächsten Ausbildung“, sagt Ismail. Mögliche Angriffspunkte gibt es genug: Ahmed Ismail ist nicht nur schwarz, sondern auch eine non-binäre queere Person.

Ein Freund aus der schwarzen Community hat Ismail geraten, lieber einfach den Mund zu halten. N-Wort? Egal, runterschlucken, weitermachen. „Ich kann das nicht und ich will das nicht“, meint Ismail.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.