Fotografin Carrie Mae Weems in Stuttgart: Die Geschichte komponiert mit

In den USA ist die afroamerikanische Fotografin Carrie Mae Weems legendär. Nun ist in Stuttgart ihre erste Retrospektive in Deutschland zu sehen.

Ausschnitt aus der Fotografie "Queen B" von Carrie Mae Weems

Carrie Mae Weems: „Queen B“, 2018–2019 (Ausschnitt) Foto: Carrie Mae Weems/Jack Shainman Gallery/Galerie Barbara Thumm

Eine zeitgenössische Fotografie, altmeisterlich inszeniert: Die Sängerin Mary J. Blige sitzt an einem opulent gedeckten Tisch, trägt Pelz zu Trainingsjacke und bewundert ihr Collier in einem Spiegel. Auf dem in Falten geworfenen Tischtuch steht ein mit Edelsteinen besetzter Becher, neben Perlen sind Käse, Brot und Obst angerichtet. Carrie Mae Weems nahm „Queen B“ für ein Modemagazin auf, nun hängt es im großen Format in der ersten Retrospektive, die in Deutschland zu ihrem Werk gezeigt wird.

Motiv, Komposition und Lichtsetzung greifen die niederländische Barockmalerei des Goldenen Zeitalters auf, doch die Künstlerin hat afrikanische Skulpturen und historische Büsten von Sklaven in das Set geschleust. Die ikonografische Ästhetik verkehrt Weems in eine Kritik an der kolonialen Ausbeutung, die diese Epoche in den Niederlanden erst ermöglichte.

Auch im transatlantischen Skla­v:in­nen­han­del erzielte die See- und Handelsmacht im 17. Jahrhundert ihre Gewinne. Dass an dem Tisch eine Schwarze Frau Platz nimmt, noch dazu eine Ikone der HipHop-Kultur, ist ein Bild für die Selbstermächtigung – für die eine in der Musik, für die andere in der Fotografie.

Wie die Geschichte der Malerei kennt auch die Geschichte der Fotografie vor allem diskriminierende Darstellungen Schwarzer Frauen. In ihrem legendären Zyklus „The Kitchen Table Series“ aus dem Jahr 1990 tritt Weems, die zuvor Theater gespielt hatte, selbst auf: Im Kegel des Lichts einer Pendelleuchte sitzt sie in wechselnden Konstellationen mit einem Mann, Freundinnen, einer Tochter am Küchentisch.

Carrie Mae Weems: „The Evidence of Things Not Seen“, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, bis 10. Juli 2022

Mal spielen sie Karten, mal wird getrunken und geraucht, mal gestritten oder gelacht. Texttafeln binden die minutiös arrangierten und schwarz-weiß fotografierten Szenen in eine emanzipatorische Erzählung über das Werden als Schwarze Frau in der US-amerikanischen Gesellschaft, die Enge einer Beziehung und den Wunsch des Ausbruchs aus patriarchalischen Zwängen ein.

Der Gewalt etwas entgegensetzen

Mit einem Porträt von Malcolm X im Hintergrund einer der Szenen erinnert Weems an die Bürgerrechtsbewegung in den USA der 1960er und 1970er Jahre und thematisiert so auch den Kampf von Frauen innerhalb dieser.

Im letzten Bild lehnt sich Weems selbstbewusst auf den Tisch und blickt uns direkt in die Augen, als wolle sie der Gewalt etwas entgegensetzen, die sich im Blick auf den Schwarzen Körper manifestiert, gerade auch im fotografischen. Für eine andere frühe Serie fotografierte sie Daguerreotypien Schwarzer Menschen mit entblößten Oberkörpern, vorgeführt zur ethnografischen Erfassung, durch einen roten Filter ab. Die Bilder versah sie mit kurzen Textfragmenten, die diese Gewalt benennen: „You Became a Scientific Profile“, „A Negroide Type“.

In der Zusammenschau ihrer Arbeiten aus drei Jahrzehnten werden die Verbindungslinien zwischen dem Ursprung und dem Andauern des antischwarzen Rassismus sichtbar, die Weems in „Queen B“ so meisterlich in einem Motiv verdichtet. Anfang der 1990er Jahre fotografierte sie Festungen in Ghana und Senegal, in denen Menschen interniert waren, bevor sie von Eu­ro­päe­r:in­nen auf Skla­v:in­nen­schif­fen nach Nordamerika deportiert wurden – bis ins 19. Jahrhundert hinein.

Spuren der Geschichte

Weems zeigt die menschenleeren kahlen Lehmbauten und führt den Blick durch deren schmale Fenster auf das Meer, das bei den Überfahrten auch zum Massengrab wurde – zahlreiche Tote und Sterbende wurden über Bord geworfen. Auf der Inselgruppe Sea Islands vor den südlichen US-Bundesstaaten folgte Weems den Spuren der Geschichte in der kreolischen Kultur, die sich dort unter den Angekommenen – Nach­fah­r:in­nen von überwiegend aus Sierra Leone verschleppten und zur Arbeit auf Reisplantagen gezwungenen Menschen – entwickelte.

In präzise kons­tru­ier­ten, ebenfalls von Texten begleiteten Bilderzählungen zeigt sie überlieferte spirituelle Bräuche, wie ein in Bäumen aufgehängter Metallfederrost, der vor bösen Geistern schützen soll, oder spielt auf die gängige sexualisierte Gewalt gegenüber Schwarzen Frauen an: Auf einer Fotografie prangt hinter ihr an einer Wand bedrohlich das Porträt eines Sklavenhalters.

In ihren jüngeren Bildserien, Videoarbeiten und Installationen klagt sie die Polizeigewalt an, der in den USA vor allem junge Schwarze Männer zum Opfer fallen. Das unscharfe Porträt eines Schwarzen Jungen im Kapuzenpulli hängt in verschiedenen Größen an einer Wand. Eine Andeutung auf das in den USA wie in Europa praktizierte Racial Profiling, das Menschen allein aufgrund ihres „Bildes“ zu Verdächtigen werden lässt.

Politische Aktualität

Ihre starken Kompositionen, die politische Aktualität ihrer Themen und ihre berührende Poesie machen Weems zu einer wichtigen Künstlerin der Gegenwart. In ihrer Mitte der 2000er Jahre entstandenen Serie „Museums“ steht Weems in einem schwarzen Kleid mit dem Rücken zur Kamera vor den berühmten Museen der Welt und zeigt sie als Räume, die Schwarze Körper vielfach ausschließen. 2014 war sie dann die Erste unter den afroamerikanischen Künst­le­r:in­nen überhaupt, der das Guggenheim in New York eine Retrospektive widmete.

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