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Flucht­hel­fe­r*innen in BerlinBehörden schaffen es nicht alleine

Uta Schleiermacher
Kommentar von Uta Schleiermacher

Bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine ist das Land auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen – wieder einmal. Ein Wochenkommentar.

Hel­fe­r*in­nen versorgen Flüchtlinge aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof mit Kleidung Foto: Michael Hanschke / dpa

E s ist beeindruckend, wie zuverlässig und effizient sich viele Ber­li­ne­r*in­nen zur Zeit als Flucht­hel­fe­r*in­nen engagieren. Am Hauptbahnhof etwa ist innerhalb weniger Tage ein inoffizielles Ankunftszentrum entstanden. Rund um die Uhr weisen Freiwillige den ankommenden Flüchtlingen aus der Ukraine den Weg.

Wer ankommt, um den Flüchtlingen zu helfen, bringt oft Snacks, Wasser oder so banale Dinge wie Ausdrucke mit Wegbeschreibungen mit. Die Freiwilligen verteilen Essensspenden, Hygieneartikel und heißen Tee; sie bieten Orientierung für alle, die in Berlin bleiben wollen und Informationen und Übersetzungen für diejenigen, die weiterreisen möchten.

Gleichzeitig ist es erschreckend, dass es erneut vor allem Ehrenamtliche sind, die die Erstversorgung der Hilfesuchenden übernehmen. Das weckt schnell Erinnerungen an die Bilder aus dem Jahr 2015 vor dem Lageso in der Moabiter Turmstraße, wo täglich hunderte Flüchtlinge unter unwürdigsten Bedingungen auf Unterkunft, Registrierung und Leistungen warten mussten – oft vergeblich, weil die Behörden komplett überfordert waren.

Auch damals gaben Ehrenamtliche Essen und Spenden aus und organisierten für die nachts ankommenden Menschen Schlafplätze. Entsprechend alarmiert ist der Ton denn auch in den Chatgruppen, über die sich die Hel­fe­r*in­nen organisieren, zum Beispiel wenn durchsickert, dass am offiziellen Ankunftszentrum des Landes in Reinickendorf Menschen warten müssen, die vorher eigens mit den Bussen dort hingebracht wurden.

Heute geben sie im Senat offen zu, dass das Land ohne Hilfe der Ehrenamtlichen komplett aufgeschmissen wäre

Doch Vieles ist aktuell auch ganz anders. Die meisten Strukturen sind besser: Als Konsequenz aus dem Behördenversagen 2015 ist die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen in einem eigenen Landesamt neu organisiert worden. Und die Haltung ist eine andere: Am Lageso 2015 herrschte der Eindruck vor, dass die Politik dort absichtlich abschreckende Bilder erzeugen wollte. Die Verantwortlichen behandelten die freiwilligen Un­ter­stüt­ze­r*in­nen häufig wie Gegner*innen.

Heute geben sie im Senat offen zu, dass das Land ohne die Ehrenamtlichen in der aktuellen Lage komplett aufgeschmissen wären – nicht zuletzt bei der Schlafplatzsuche. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) drückt den Ehrenamtlichen bereits wenige Tage nach Beginn der Krieges ihre Dankbarkeit aus. Ihre Verwaltung bemüht sich offenkundig, die Angebote der Ehrenamtlichen zu ergänzen – etwa, indem sie mit der BVG regelmäßige Busse zwischen den Bahnhöfen und dem Ankunftszentrum einrichten. Und am Donnerstagabend besuchte Kipping gemeinsam mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) das Ankunftszentrum der Freiwilligen am Hauptbahnhof, um sich deren Arbeit zeigen zu lassen.

Die Politik muss die Netzwerke der Ehrenamtlichen nutzen

Die Politik muss nun mit dem Engagement auch verantwortungsvoll umgehen. Sie sollte sie – weiterhin – auf Augenhöhe einbinden und das Wissen und die Netzwerke, die insbesondere seit 2015 entstanden sind, nutzen.

Die Vergabe privater Unterkünfte geschieht zur Zeit etwa, indem An­bie­te­r*in­nen mit Pappschildern zum Bahnhof kommen. Doch was, wenn Flüchtlinge, die schon eine Woche in Berlin sind, einen neuen Schlafplatz brauchen? Für sie müssen über Schlafplatzbörsen Strukturen geschaffen werden, über die An­bie­te­r*in­nen und Hilfesuchende zusammenfinden können.

Gleichzeitig muss die Politik gewährleisten, dass diejenigen, die sich engagieren, sich nicht selbst überfordern und ausbrennen. Denn allein am Donnerstag sind offiziell mehr als 6.000 Menschen in Berlin angekommen, inoffiziell waren es vermutlich mehr. Auch das Zahlen, die mit 2015 nicht zu vergleichen sind – damals kamen zu Hochzeiten rund 1.000 Menschen pro Tag in Berlin an. Das zeigt: auch diese Aufgabe ist immens.

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Uta Schleiermacher
Redakteurin für Bildung und Feminismus in der taz-Berlin-Redaktion
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4 Kommentare

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  • Auch wenn es sicherlich zu kritisieren sollte, dass die Organisation der Hilfe schlecht läuft, so denke ich, dass es in so einer solchen Situation immer der Hilfe von Ehrenamtlichen bedarf.



    Die Organisation der Menschen, die ehrenamtlich und mit viel Empathie helfen sollte jedoch schnellstmöglich von offizieller Stelle übernommen werden.



    Ich vermisse in den Medien - soweit bekannt und schon organisiert - eine Information über eine Anlaufstelle für Geflüchtete oder vielleicht können Ehrenamtliche hier auflisten was man mitbringen kann, was beachtet werden muss und wo man sich melden kann? Ich möchte nämlich auch helfen.



    Danke

  • Och, jetzt werden die Ehrenamtlichen von den Behörden umgarnt und gehätschelt.

    Da kann man sich als Behördenchef oder Politiker ja wunderbar mit deren Verdiensten schmücken, nicht wahr ?

    Und bei nächster Gelegenheit wird deren Engagement wieder durch nächtliche Abschiebungen zu Nichte gemacht.

  • Kleine Anmerkung: Fluchthelfer*innen verhelfen Menschen aus einer gefährdeten Situation zur Flucht. Die Helfer*innen in Dtld sind nicht in solcher Weise aktiv. Sie helfen den bereits Geflüchteten. Muss also ein anderes Wort her, oder eine Umschreibung.

  • Im Sommer 2015 haben wir in Moabit Wasser und Gummibärchen verteilt. Große Kinderaugen waren unser Lohn dafür. Drei Wochen lang wohnte auch ein syrisches Geschwisterpaar bei uns. Jetzt haben wir aus familiären Gründen leider keine Gelegenheit dazu.



    Unser Respekt und Dank gilt daher allen Freiwilligen, die diese anstrengende Arbeit nun unterstützen.



    Danke!!!