100 Jahre Museum Folkwang in Essen: Vordenker der kulturellen Teilhabe

Das Museum Folkwang in Essen feiert sein 100-jähriges Bestehen mit impressionistischer Kunst. Es zeigt zwei verblüffend aktuelle Sammlungskonzepte.

Ein Gemälde von Renoir und eine Skulptur von Rodin im Museum Folkwang.

Impressionisten: Links Renoirs „Lisa mit dem Sonnenschirm“, rechts „Johannes der Täufer“ von Rodin Foto: picture alliance/dpa | Oliver Berg

Morgens um zehn Uhr brummt es im Foyer des Museums Folkwang: Einzelbesucher und Gruppen passieren die obligatorische 2G-Kontrolle, warten auf Führungen oder den Einlass gemäß dem gebuchten Zeitfenster, jede halbe Stunde sind maximal 120 BesucherInnen erlaubt, pro Tag strömen bis zu 2.000 Menschen ins Museum. Die Ausstellung „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Zeit“ ist ein voller Erfolg, was keine Überraschung ist, denn Impressionisten ziehen immer.

Dabei dürfte ein Teil der präsentierten Werke dem Publikum bereits bekannt sein, sie sind Teil der berühmten Sammlung des Museums Folkwang, die in der Dauerausstellung seit 2015 bei freiem Eintritt zu sehen ist. Was in England selbstverständlich ist, nämlich die Museen ohne finanzielle Barriere jedem zugänglich zu machen, ist hierzulande leider immer noch die Ausnahme. Nicht zufällig aber ist das Essener Museum diesbezüglich Vorreiter, denn der Gedanke, Kunst einem breiten Publikum zu öffnen, war die Initial­zündung seines Gründers Karl Ernst Osthaus.

Osthaus verfolgte eine aus heutiger Sicht höchst aktuelle Agenda: Entliehen dem Begriff „Fólkvangar“ aus der altnordischen Mythologie, verstand er sein zunächst in Hagen eröffnetes Museum als eine Halle für das Volk. Kernidee des Folkwang-Gedankens war das, was heute als kulturelle Teilhabe bezeichnet wird, sowie die Öffnung des hergebrachten Museumskonzepts, das neben zeitgenössischer Kunst auch kunstgewerbliche Objekte zeigt.

Peter Gorschlüter, der heutige Direktor des Museums Folkwang, sagt dazu: „Das Konzept war sehr vorausschauend. Osthaus war zwar nah an den Avantgarden der Zeit, aber eben nicht elitär. Er glaubte fest an die gesellschaftsverändernde Kraft der Kunst und sagte: ‚Ohne die Mitwirkung der Kunst sind die wichtigsten Fragen des sozialen Lebens unlösbar.‘ Kern seines Konzeptes waren drei Aspekte: der Dialog der Künste, Kulturen und Epochen, das Museum als Ort des Austauschs und der Begegnung, und über allem steht die Einheit von Kunst und Leben. Diesen Gedanken fühlen wir uns heute noch verpflichtet, wir verstehen gerade die kulturelle Teilhabe als unsere Kernaufgabe.“

„Renoir, Monet, Gauguin. Bilder einer fließenden Welt. Die Sammlungen von Kojiro Matsukata und Karl Ernst Osthaus“, im Essener Museum Folkwang bis 15. Mai. Der Katalog kostet im Museumsshop 42,80 Euro, im Buchhandel 54 Euro.

Als Karl Ernst Osthaus seine Sammlung aufbaute und Impressionisten sammelte, waren französische Kunst generell und gerade die Impressionisten in Deutschland verpönt.

Ganz allein war Osthaus mit seiner Weitsicht jedoch nicht, denn – und das ist die Überraschung dieser Ausstellung – im fernen Japan gab es einen Bruder im Geiste: den ebenfalls schwerreichen Unternehmer Kojiro Matsukata, der seinerseits eine bedeutende Impressionisten-Sammlung aufbaute und ähnlich fortschrittliche Ideen wie Osthaus verfolgte. Die Berührungspunkte beider Sammlungen werden in Essen nun auf erhellende Weise gegenübergestellt.

Sammler in Form von Porträts zugegen

Die Sammler selbst, die sich im wirklichen Leben wohl nie begegnet sind, stehen sich in der Schau gleich zum Auftakt in Form von Porträts gegenüber: Ida Gerhardi porträtierte den Erben und Bankierssohn Karl Ernst Osthaus 1913 mit vergeistigtem Blick in seinem Arbeitszimmer, umgeben von Büchern, während der walisische Künstler Frank Brangwyn den Schiffbauunternehmer Matsukata sechs Jahrs später in der legeren Pose eines genießerischen Lebemanns zeigt.

Ungeachtet dieser unterschiedlichen Attitüden entdeckt die Ausstellung erstaunliche Parallelen der Sammler, die sich weit über das Geschmackliche hinaus in grundsätzlichen Ansichten manifestieren: Matsukata hatte vor, eine enzyklopädische Sammlung nach dem Vorbild des Victoria and Albert Museum in London aufzubauen, in dem nicht nur Kunst, sondern auch internationale angewandte Kunst und Kunstgewerbe zu sehen sein sollten.

Als Karl Ernst Osthaus seine Sammlung aufbaute, waren Impressionisten in Deutschland verpönt

Durch finanzielle Schwierigkeiten und nachdem ein Brand einen Teil seiner Sammlung vernichtet hatte sowie aus steuerlichen Gründen (Japan erhob auf Kunst eine Luxussteuer), weswegen Teile der Sammlung in Paris im Musée Rodin zwischengelagert wurden, konnte dieser Traum erst 1959 Realität werden.

Matsukata bewies als Unternehmer gesellschaftliche Verantwortung, indem er in Japan den Achtstundentag einführte und unabhängigen Journalismus unterstützte. Sein Ziel als Sammler war, die westliche Kunst der japanischen Bevölkerung zugänglich zu machen, denn die Kunst sei „Ausdruck der Seele eines Volkes“.

Bilder mit bewegter Geschichte

Eines der herausragenden Exponate der Schau ist Paul Signacs in leuchtenden Orange-Rosa-Tönen vibrierendes Bild „Der Hafen von Saint-Tropez“. Die bewegte Geschichte des 1901/02 entstandenen Ölbilds bringt die Dramaturgie der opulent bestückten Ausstellung gewissermaßen auf den Punkt: Signacs postimpressionistisches Bild war tatsächlich zunächst Bestandteil der Osthaus-Sammlung, die sich in Hagen im von Henry van de Velde ausgestatteten Neorenaissancebau befand (heute Osthaus Museum Hagen) und dann ab 1922 im neu erbauten Museum Folkwang in Essen.

Über Umwege in den 1970er Jahren gelangte das Bild nach Tokio und ist dort heute Teil der Sammlung des Museum of Western Art. Dass dieses und weitere Werke aus Tokio ins Ruhrgebiet geholt werden konnten verdankt sich auch der Tatsache, dass das Museum of Western Art derzeit umfangreich saniert wird und die Bilder somit zur Verfügung standen.

Kunstsammlungen sind dynamische Gebilde. Sie sind Kinder ihrer Zeit, Ausdruck persönlicher Leidenschaften und werden nicht selten auch zum Politikum. Auch die Sammlungen des Folkwang-Gründers und die von Kojiro Matsukata waren keinesfalls gefeit gegen Krisen und Verkäufe, aber sie blieben doch – in Essen dank der Gründung des Folkwang-Museumsvereins, der nach Osthaus’ frühem Tod die Sammlung inklusive der Rechte am Namen „Folkwang“ komplett für die Stadt Essen ankaufte – intakt.

Heute noch verblüfft das offenbar geschlossen vorgebrachte bürgerliche Engagement für die Folkwang-Sammlung, so Peter Gorschlüter: „Dass die Sammlung in Essen blieb, wäre ohne den Bergbau nicht möglich gewesen. Osthaus hatte die Arbeiter als Zielgruppe im Auge gehabt, und nach seinem Tod kam tatsächlich die größte Einzelsumme durch das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat zusammen, alleine 6,5 Millionen Mark! Und der Syndikatsdirektor hat weiter die Werbetrommel gerührt und weitere 4 Millionen zusammengetragen aus anderen Zechen. Es gab damals in der Region einen bemerkenswerten Sinn für das Zeitgenössische, denn wir dürfen nicht vergessen, dass diese Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts absolut noch nicht etabliert war. Das war alles andere als breiter Geschmack.“

Thematische Gegenüberstellungen

Rund 120 Gemälde, Plastiken, japanische Drucke sowie eigens in Auftrag gegebene Installatio­nen der japanischen Gegenwartskünstlerinnen Chiharu Shiota und Tabaimo bilden einen dichten Parcours, der die Entwicklung beider Sammlungen durch thematische Gegenüberstellungen nachvollziehen lässt. Während Osthaus etwa von Paul Gauguin Bilder aus der Reihe der späten, ikonischen Südseebilder sammelte, bevorzugte Matsukata das Frühwerk Gauguins, das in erdigen Tönen in der rauen Bretagne entstand.

Schon allein für die große Zahl an Werken der im Ausstellungstitel genannten drei Künstler Renoir, Monet und Gauguin, die aus Japan kommen und für die europäischen Augen sozusagen „neu“ sind – wie etwa Monets großformatiges, fulminantes Ölbild „Sur le bateau“ – lohnt der Weg nach Essen.

Darüber hinaus gibt es einen großen Raum mit Bronzen von Auguste Rodin, herausragende Porträts von Édouard Manet und van Gogh, Werke von Camille Corot, Gustave Courbet und Camille Pissarro zu sehen. Eine sinnlich präsentierte, in jeder Hinsicht erhellende Schau, die trotz der Fülle von Informationen nicht didaktisch über­laden ist.

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