israel und apartheid
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Ein Staat, nicht zwei

Im Nahostkonflikt wird zunehmend über den Begriff Apartheid diskutiert. Die Kontroverse findet vor dem Hintergrund einer Situation in Israel und Palästina statt, in dem allein die israelische Seite die Kontrolle hat

Donald Trump bestärkte viele in ihrer postkolonialen Lesart des Nahostkonflikts

Von Jannis Hagmann

Es ist einer der umstrittensten Begriffe im Israel-Palästina-Konflikt: Apartheid. Die Diskussion infolge des jüngsten Berichts von Amnesty International, in dem die Menschenrechtsorganisation Israel Apartheid vorwirft, war also zu erwarten. Neu ist die Debatte derweil nicht, ob der Apartheidsbegriff für die von Israel militärisch besetzten und teils annektierten Gebiete – und womöglich auch für Kernisrael – angemessen ist, oder ob es sich um einen Kampfbegriff handelt, mit dessen Hilfe Israel delegitimiert werden soll.

Dabei wird die Situation in Nahost nur teilweise mit dem einstigen Apartheidssystem in Südafrika parallel gestellt. Men­schen­recht­le­r*in­nen versuchen vielmehr, den Begriff vom südafrikanischen Kontext zu lösen. Hierbei greifen sie auf internationales Recht zurück, in dem Apartheid ein klar definierter Straftatbestand ist. Ver­fech­te­r*in­nen des Apartheidsbegriffs argumentieren, dass die Situation in Israel/Palästina zumindest teilweise die Kriterien der Definition des Römischen Statuts von 1998 erfüllt.

Die Kontroverse um den Begriff geht einher mit einer zunehmenden Abkehr sowohl der palästinensischen als auch der israelischen Seite vom jahrzehntelang verfolgten Ziel einer Zweistaatenlösung. Denn seit den gescheiterten Oslo-Verhandlungen in den 90er Jahren ist es immer unrealistischer geworden, dass die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen jemals in einem eigenen souveränen Nationalstaat leben werden.

Die Hoffnung auf zwei friedlich koexistierende Staaten verblasste vor dem Hintergrund eines äußerst komplizierten Status quo in Nahost, der in Fachkreisen als „Einstaatenrealität“ diskutiert wird. Diese ist der argumentative Ausgangspunkt etwa der israelischen Menschenrechtsorganisation B’TSelem, wenn sie schreibt: „Mehr als 14 Millionen Menschen, etwa zur Hälfte Juden und Palästinenser, leben zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer unter einer einzigen Herrschaft“ – nämlich der Regierung Israels. Aus dieser immer mehr auf Dauer angelegten Souveränität über das gesamte Territorium ergibt sich die Forderung vieler Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen nach gleichen Rechten für alle – was ihnen wiederum als Antisemitismus ausgelegt wird, da die Forderung das Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat infrage stellt.

Die Einstaatenrealität zeichnet sich dadurch aus, dass Israel die Land- und Seegrenzen sowie die Währungspolitik fast vollständig kontrolliert. Zudem gelten für Menschen in Israel und den palästinensischen Gebieten unterschiedliche Rechtssysteme abhängig von ihrer religiös-ethnischen Zugehörigkeit, dem spezifischen Wohnort und ihrer Staatsbürgerschaft. Außerdem ist im Westjordanland teils eine geografische Separation von Ara­be­r*in­nen und Sie­der*in­nen zu beobachten, die von israelischer Seite mit der Sicherheit begründet wird.

Von Palästinenser*innen, aber auch von internationalen Wis­sen­schaft­le­r*in­nen, wird die Einstaatenrealität mit zunehmender Tendenz durch die Perspektive des Postkolonialismus analysiert. Die anhaltende Siedlungspolitik spielt dabei eine zentrale Rolle, die de facto auf eine dauerhafte Aneignung von Teilen des Westjordanlands durch Israel hinausläuft. Offen kolonialistische Argumentationsmuster zeigten sich während der US-Präsidentschaft Donald Trumps, als eine offizielle Annexion von Teilen des Gebiets mit expliziter Unterstützung der USA erwägt wurde, was viele Beobachter*in­nen in ihrer postkolonialen Lesart bestärkte. Neben dem Begriff Apartheid wird von Kri­ti­ke­r*in­nen der Besatzungs- und Siedlungspolitik daher auch der ebenfalls umstrittene Begriff des „Siedlerkolonia­lismus“ verwendet.