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Prozess um Massenmord in KZ StutthofDas Schweigen der KZ-Sekretärin

Im Prozess wegen Beihilfe zum Massenmord im KZ Stutthof nimmt die Angeklagte ehemalige Sekretärin Zeugenberichte regungslos zur Kenntnis.

Zeigt im Prozess keine Gemütsregung: die frühere KZ-Sekretärin Irmgard Furchner Foto: Marcus Brandt/dpa

Itzehoe taz | Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gerochen: Irmgard Furchner gibt sich vor der 3. Großen Jugendkammer am Landgericht Itzehoe unwissend. Seit dem 19. Oktober vergangenen Jahres muss sich die ehemalige Sekretärin des Lagerkommandanten des KZ Stutthof, Paul Werner Hoppe, wegen der Beihilfe zum Mord an mehr als 11.000 Menschen verantworten. Zu Beginn des Verfahrens hatte ihr Rechtsbeistand Wolf Molkentin erklärt, dass seine Mandantin nicht den Holocaust leugne, doch sie erkenne keine persönliche Schuld und wolle schweigen.

Im Verhandlungssaal auf dem Gelände des China Logistic Center, wo das Gericht tagt, wirkt Furchner, im Rollstuhl sitzend, unbeteiligt. Als 18- und 19-Jährige war sie von Juni 1943 bis April 1945 Zivilangestellte der Lagerkommandantur. Unberührt schien die 94-Jährige auch am Dienstag vom Schicksal des Überlebenden Abraham Koryski. Per Video wurde der ebenfalls 94-Jährige aus Haifa in Israel zugeschaltet

Schon bei der Ankunft habe er den Geruch von verbranntem Fleisch wahrgenommen, berichtete Koryski. „Ihr werdet zu diesem Geruch“, soll ein Wachmann angekündigt haben. Korys­ki war als Jugendlicher von September 1944 bis Ende Januar 1945 in dem Lager bei Danzig inhaftiert. Er habe Hinrichtungen und Prügel erlebt, sagt er. Die meisten Inhaftierten seien Hungers gestorben. Jeden Tag seien die Leichen der in der Nacht Verstorbenen aus den Baracken getragen worden. Viele Menschen seien in dem KZ vergast worden, andere seien von Hunden zerfleischt worden. „Das war Sadismus pur“, sagte Koryski.

Der Zeuge erzählte, wie ein SS-Mann einen Stuhl zerbrach. Er ging dann zu einem Vater und dessen Sohn und forderte, dass einer von ihnen den anderen mit einem Stuhlbein erschlagen solle. Wenn nicht, würde er beide erschießen. Der Vater entschied, dass der Sohn ihn erschlagen solle. „Er tat es“, sagte Koryski. Dieses Geschehen hatte der Zeitzeuge auch im Verfahren gegen den SS-Wachmann Bruno D. vor dem Hamburger Landgericht im Dezember 2019 geschildert. Am Ende sei der Sohn erschossen worden.

Die Angeklagte fand die Ermittlungen „lächerlich“

Den Unwillen, sich der eigenen Geschichte zu stellen, hatte die ehemalige KZ-Sekretärin Furchner gleich zu Verfahrensbeginn demonstriert. Die Rentnerin war zum geplanten Prozessauftakt aus ihrem Seniorenwohnheim in Quickborn verschwunden. Ihre Flucht konnte die Polizei nach wenigen Stunden in Hamburg beenden.

Vor Gericht berichteten ein Staatsanwalt und ein Polizeibeamter, dass die Angeklagte bei einer Durchsuchung vor fünf Jahren unwirsch und mit „Bockigkeit“ reagiert habe. Die Ermittlungen seien lächerlich, soll sie gesagt haben. Der historische Sachverständige Stefan Hördler wies an einem Verhandlungstag darauf hin, dass die Angeklagte sowohl ihren ehemaligen Chef Hoppe als auch den ehemaligen SS-Rapportführer Arno Chemnitz nach 1945 in ihrer Wohnung in Schleswig getroffen habe und warf die Frage auf, woher die Männer ihre ­Adresse hatten.

Chemnitz habe zu den Mordspezialisten in Stutthof gehört, berichtete der Historiker. Unter Hoppes Führung diente auch der Ehemann der Angeklagten als SS-Mann. Dieser sei mit dem Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse mit Schwertern ausgezeichnet worden. Diesen Orden hätten vor allem SS-Männer für ihre Beteiligung an Massenerschießungen erhalten, erläuterte Hödler. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.

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