Prozess gegen frühere KZ-Sekretärin: Menschen und Brennholz, geschichtet
Per Video sagte ein Zeuge im Verfahren gegen die KZ-Sekretärin Irmgard F. aus. Er schilderte die systematische Vernichtung von Juden detailliert.
Itzehoe taz | Die Worte fallen leise – und hallen nach. „In meinem Herzen, in meinem Kopf, in meiner Seele gibt es das Lager immer noch“, sagte Marek Dunin-Wasowicz. Im Verfahren vor dem Landgericht Itzehoe gegen die die ehemalige Sekretärin des Kommandanten, Irmgard Furchner, berichtete der Überlebende – wegen „meines Rechts und meiner Pflicht gegenüber den Ermordeten“. Er wolle auch ein mahnendes „Zeugnis“ ablegen „wegen des wiedergekommenen Nationalismus“ und „der imperialistischen Attacke Russlands“ gegen die Ukraine.
Von weit her aus einem Amtsgericht in Warschau sprach er am Dienstag via Videoschaltung zu dem Landgericht. Gut 900 Kilometer entfernt, 77 Jahre nach der gelungenen Flucht. Entfernung und Zeit gehen bei den Schilderungen des 96-Jährigen aber in Nähe und Gegenwart über. „Der Geruch von verbrannten, menschlichen Leichen war überall.“ Die schwarze Rauchsäule der Öfen habe über dem Lager gestanden. Der Schornstein sei „der einzige Weg zur Freiheit“ gewesen, sagte Dunin-Wasowicz.
Dieser Gestank wurde noch stärker, als die SS wegen der vielen toten jüdischen Frauen Scheiterhaufen errichtete. Eine Schicht Holz, eine Schicht Menschen, eine Schicht Holz, eine Schicht Menschen, erinnert sich der Pensionär im dunklen Anzug und hellen Hemd.
Er erzählte auch von der allgegenwärtigen Gewalt und den ständigen Selektionen, von Vernichtung durch Gas oder Arbeit. Im Wald musste er zuerst arbeiten, verletzte sich selbst einen Fuß schwer, um zu überleben. Er kam in die Krankenstation, später arbeitete er als Lagerist.
Die letzten Lebenden mussten auf einen Todesmarsch
Im Januar 1944 zwang die Gestapo die noch Lebenden zum „Todesmarsch“, einzelne Menschen wollten ihnen Essen geben, das Wachpersonal aber schmiss es in den kniehohen Schnee, schilderte Dunin-Wasowicz. Mit seinem älteren Bruder war er im Mai des Jahres 1944 in das KZ gekommen. Sie hatten den Widerstand gegen die Wehrmacht unterstützt – wie die Eltern.
Dass es für ihn anstrengend war – auch nicht zu „emotional zu werden“, wie er einwarf – war ihm deutlich anzumerken. Am 30. Oktober 2019 wirkte Dunin-Wasowicz noch körperlich gesünder, da hatte er schon einmal als Zeuge ausgesagt – gegen den SS-Wachmann Bruno Dey im KZ Stutthof. Vor dem Landgericht schilderte er damals sehr genau, wie Tausende jüdische Menschen im Herbst 1944 streng bewacht ankamen, aber „nicht registriert“ wurden. Sie „bekamen keine Nummer wie andere Inhaftierte, sie blieben anonym, nur gekennzeichnet durch einen Davidstern“. „Auf einmal“ seien sie „weg“ gewesen. Und er beklagte eine „Krankheit“: „Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Leid anderer, froh zu sein, nicht selbst misshandelt zu werden.
2020 hatte das Gericht Dey wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. In Itzehoe erschien Dey nun als Zeuge. Dass in der Kommandantur „Zivilangestellte“ tätig waren, wollte der 95-Jährige nicht gewusst haben.
Seit dem 19. Oktober 2021 muss sich Irmgard Furchner wegen Beihilfe zum Mord in 11.380 Fällen zwischen 1943 und 1945 in dem KZ vor Gericht verantworten. Die 97-Jährige, die vor Prozessauftakt fliehen wollte, hatte sich zu Beginn des Verfahrens gebrechlich gegeben. Den Worten von Dunin-Wasowicz aber hörte sie konzentriert zu.