Gemeinschaftstaxis im Realitätstest: Aufs eigene Auto verzichten
Ruf-Kleinbusse können ein Beitrag zur Mobilitätswende sein. Aber nur, wenn die Politik gleichzeitig das Autofahren unattraktiver macht.
Sie tragen Namen wie Berlkönig oder Moia und sind eine Mischung aus Taxi und öffentlichem Nahverkehr. In etlichen Orten gibt es mittlerweile ein Angebot von digital vernetzten Ruf-Kleinbussen, in denen Fahrgäste mit unterschiedlichen Zielen einen Teil des Wegs gemeinsam zurücklegen. Ridepooling nennt sich das. Mobilitätswissenschaftler:innen untersuchen, ob die Angebote sinnvoll sind – oder ob sie für noch vollere Straßen sorgen.
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels geht es natürlich um mehr als nur Stauvermeidung: Der Verkehrssektor ist mit rund 20 Prozent CO2-Austoß der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen in Deutschland. Daran ist zu über 90 Prozent der Straßenverkehr schuld.
Beim Ridepooling buchen mehrere Nutzer:innen eine Fahrt in einem – in der Regel – Elektrokleinbus per App und zahlen digital. Ein Algorithmus berechnet, wer wo zusteigt, außerdem die Fahrroute und den Preis. Pooling bedeutet bündeln: Durch das Sammeln mehrerer Fahrten entfallen Wege mit dem Pkw, das ist zumindest die Idee. Wird das tatsächlich erreicht, ist Ridepooling ein Beitrag zur Verkehrswende – der Abkehr von der Dominanz des individuellen Autofahrens hin zu einer nachhaltigen Mobilität. Ersetzt es aber lediglich Fahrten mit Bus oder Bahn oder fahren die Sammeltaxis leer herum, ist das nicht sinnvoll.
In rund 40 deutschen Städten gibt es mittlerweile ein Ridepooling-Angebot, sagt Mobilitätsforscher Thorsten Koska vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Er wertet im Auftrag der Landesregierung und des „Zukunftsnetzes Mobilität NRW“ zehn Modellvorhaben zum innovativen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im ländlichen Raum aus.
Kommunen in NRW konnten sich 2020 für die Teilnahme bewerben, die Ergebnisse sollen 2024 vorliegen. Die meisten Projekte haben ein Ridepooling-Angebot, etwa die Stadt Gütersloh das „Shuttle“ oder die Gemeinde Roetgen bei Aachen den „Netliner“. Auch in Großstädten gibt es Rufbusse, in Berlin etwa den „Berlkönig“, in Hamburg „Moia“.
Eine Lücke schließen
„Ob Ridepooling einen Beitrag zur Verkehrswende leistet, hängt von den Rahmenbedingungen ab“, sagt Koska. „Ich bin optimistisch, dass diese Rahmenbedingungen geschaffen werden.“ Ruf-Sammelbusse können nach seiner Einschätzung eine Lücke schließen, die Zu-Fuß-Gehen, Radfahren, Bus und Bahn sowie Mietangebote, etwa für Räder oder Scooter, bisher lassen. Vor allem in Randlagen von Städten oder in ländlichen Regionen könne Ridepooling sinnvoll sein, um Fahrzeiten zu verkürzen – oder überhaupt ohne Auto oder Taxi ans Ziel zu kommen.
Rufbusse können Bürger:innen erstmals mit dem öffentlichen Verkehr in Kontakt bringen. Vergangenen Herbst hat Koska 347 Fahrgäste des „Shuttles“ in Gütersloh befragt. 40 Prozent davon hatten zuvor nie oder fast nie den ÖPNV genutzt, berichtet er. Die drei wichtigsten Gründe für die Befragten, Ridepooling zu buchen, waren die schnelle Verbindung, geringe Kosten und die gute Verfügbarkeit.
„Das System wird überwiegend für Freizeitwege genutzt“, sagt er. 36 Prozent hätten ohne Shuttle das Auto genommen, andere Bus, Bahn, Rad oder Taxis. „Es gibt viele Möglichkeiten, Ridepooling mit dem öffentlichen Nahverkehr zu kombinieren“, sagt Koska. „Wird beides klug verbunden, kann Ridepooling die Verkehrswende unterstützen, weil es Menschen ermöglicht, auf ein eigenes Auto zu verzichten.“
Damit ist es allerdings nicht getan. „Autofahren muss unattraktiver werden“, fordert Koska. Maßnahmen etwa zur Stärkung von Fußgänger:innen, Radler:innen und dem ÖPNV würden nicht oder viel zu langsam umgesetzt.
Wissenschaftler:innen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sind ebenfalls zum Ergebnis gekommen, dass Ridepooling ein Beitrag zur Verkehrswende sein kann, wenn zugleich Autofahren unattraktiver wird. „Ridepooling kann ein Baustein für die Verkehrswende sein, aber nicht alleine“, sagt Martin Kagerbauer vom Institut für Verkehrswesen am KIT, der in Rufbussen eine Art „individuelles öffentliches Verkehrsmittel“ sieht.
Der Schlüssel zum Erfolg
„Wir müssen zuerst sinnvolle und gute Alternativen anbieten und im zweiten Schritt regulatorische Maßnahmen gegen Pkw ergreifen“, sagt er. Sonst sei es schwer, die nötige Akzeptanz für Änderungen zu erreichen, fürchtet der Verkehrsforscher. Und: Haben Bürger:innen die Gelegenheit, einfach mal was Neues auszuprobieren, sind sie offener dafür. „Die Menschen müssen die verschiedenen Optionen kennen, nutzen und verstehen“, sagt er. „Das ist der Schlüssel zum Erfolg: etwas ausprobieren zu können in einem Reallabor.“
Kagerbauer und sein Team haben in Zusammenarbeit mit der TU München zwei Jahre lang untersucht, welche Auswirkungen der Shuttleservice von Moia in Hamburg hat. Moia ist ein Angebot des Autobauers Volkswagen. Die Elektrokleinbusse haben Platz für sechs Mitfahrer:innen, in der Coronakrise ist die Anzahl auf fünf begrenzt.
Befragungen zufolge nutzen Fahrgäste den Service vor allem als Ersatz für fehlende öffentliche Nahverkehrsverbindungen, weil sie mit anderen zusammen fahren wollen, die Fahrt mit dem eigenen Auto nicht möglich oder das Wetter schlecht ist. Die Auslastung liegt bisher im Schnitt bei 1,33 Nutzer:innen pro Fahrt. „Dabei haben wir auch die Leerfahrten vom und zum Depot mitberechnet“, sagt Kagerbauer.
Die Wissenschaftler:innen haben einen sogenannten Mixed-Method-Ansatz genutzt. Zunächst führten sie eine Online-Erhebung mit 12.000 Teilnehmenden durch, um das Verhalten von Nutzenden und Nichtnutzenden vergleichen zu können. Darüber hinaus arbeiten sie mit dem von ihnen entwickelten Simulations-Tool mobiTopp. „Damit können wir in die Zukunft schauen und sehen, was neue Angebote bringen“, sagt Kagerbauer. Für die Simulation wurden unter anderem Daten der Wege und Aktivitäten von 4 Millionen Menschen in Hamburg und Umgebung plus Besucher:innen erhoben.
Ihr Ergebnis: Bei einer flächendeckenden Verfügbarkeit von autonom fahrenden Ridepooling-Angeboten, einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr und gleichzeitigen Einschränkungen für Pkws ließe sich der Autoverkehr in Hamburg um 8 Prozent reduzieren. Bei den Berechnungen sind die Forscher:innen davon ausgegangen, dass sich die Fahrtzeiten für Autos etwa durch Parkplatzabbau oder Streckensperrungen um 50 Prozent verlängern.
Autonomes Fahren ist dabei keine Utopie: Pilotprojekte laufen bereits, bis 2025 will Moia ein entsprechendes Fahrsystem entwickeln. „Der Rückgang der Fahrzeugkilometer um etwa 15 Millionen Kilometer pro Woche wäre beachtlich“, sagt Kagerbauer. Die Simulation berücksichtigt den ganzen Baukasten der Verkehrswende, also auch Carsharing, Fahrrad- und E-Scooter-Leihangebote.
Kritiker:innen fürchteten, dass durch das neue Angebot Fahrgäste aus dem ÖPNV umsteigen würden. Das hat sich den Wissenschaftler:innen zufolge nicht bestätigt.
Auch der öffentliche Nahverkehr profitiert
„Wenn neue Verkehrsmittel hinzukommen, werden zwar Wege von den bereits vorhandenen Verkehrsmitteln auf das neue Mobilitätsangebot verlagert, aber durch den sogenannten Toureneffekt und die bessere Erreichbarkeit von Haltestellen profitiert der öffentliche Verkehr durch Ridepooling“, sagt Gabriel Wilkes, der ebenfalls am Institut für Verkehrswesen des KIT forscht. Fahre jemand von zu Hause ins Kino und zurück, werde auf dieser Tour mit zwei Wegen oft nur einer mit Ridepooling zurückgelegt, der andere fast immer per öffentlichem Nahverkehr. Insgesamt ergäben sich für diesen somit positive Effekte.
Eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung stellt Ridepooling ebenfalls ein positives Zeugnis aus. Das Verkehrsforschungsteam um Andreas Knie und Lisa Ruhrort hat Daten des Mobilitätsdienstleisters CleverShuttle von 2019 aus Berlin, Leipzig, München und Dresden analysiert und rund 3.500 Nutzer:innen befragt.
„Solche Angebote sind eine sinnvolle Ergänzung zu Bussen und Bahnen“, heißt es in der Studie. Genutzt wurde das Ridepooling vor allem in den Abend- und Nachtstunden. Etwa die Hälfte der Nutzer:innen wäre zwar sonst Bus oder Bahn gefahren, aber rund 10 Prozent hätten den privaten Pkw gestartet.
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