: Angebliche Aufwertung
Das Obdachlosencamp in der Rummelsburger Bucht ist lange geräumt. Jetzt mussten auch ein Club und zwei kleine Wagenplatzkollektive verschwinden. Coral World will dort eine umstrittene Touristenattraktion errichten
Von Darius Ossami
Vor rund einem Jahr, in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 2021, wurde in einer umstrittenen Aktion das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht geräumt. Verantwortlich für dessen Auflösung waren das Lichtenberger Bezirksamt und der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Soziales, Kevin Hönicke (SPD). Dieser hatte stets betont, es habe sich um eine kurzfristige „Evakuierung“ aufgrund des damaligen Kälteeinbruchs gehandelt.
Doch schon vor der Räumung stand Hönicke mit dem Unternehmen Coral World in Kontakt, das einen Großteil des Geländes besitzt. Das geht aus der Akte des Bezirksamts hervor, die taz und Tagesspiegel einsehen konnten. Bereits am Morgen nach der Räumung schickte Hönicke eine E-Mail an das zuständige Architekturbüro: Da nun der „Zustand, den Sie haben wollten“, hergestellt sei, erwarte er „unmittelbares und unverzügliches Handeln“. Gemeint war eine Umzäunung des Geländes, um die Obdachlosen zukünftig fernzuhalten. Erst im Mai stellte Coral World einen Bauantrag.
Die meisten der knapp 100 Bewohner wurden zunächst in einer Notunterkunft und dann vorübergehend in einem Hotel untergebracht. „Wo sich die Menschen seit Sommer befinden, ist mir nicht bekannt“, teilt Hönicke auf taz-Anfrage mit. Der Journalist Robert Klages gab sich etwas mehr Mühe. Für seinen Tagesspiegel-Newsletter sprach er mit einigen ehemaligen Bewohnern: Mehrere schlugen sich in Obdachlosencamps durch, einer lebte im Tegeler Forst; ein ehemaliger Bewohner starb in einem leerstehenden Haus an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
Coral World will an der Rummelsburger Bucht eine umstrittene Touristenattraktion mit einem Aquarium, Hotel und Park errichten. In einer Regenwaldlandschaft und einem Korallengarten sollen Meereslebewesen gezeigt werden, so die Pläne. „Mit dem öffentlichen Wasserpark bringen wir ein bisher vernachlässigtes Areal in eine naturnahe, gepflegte und öffentliche Nutzung“, freute sich Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) noch 2017 anlässlich der Vertragsunterzeichnung. Die Bucht erfahre eine „Aufwertung“.
Doch momentan sieht es eher dystopisch aus. Insgesamt fünf Unternehmen haben hier investiert. Auf dem Gelände des ehemaligen Obdachlosencamps drehen sich Baukräne für das Büro- und Gewerbeprojekt „AXIS Offices“, das mit einer „stimmigen Work-Lake-Balance“ wirbt. Der 300 Meter lange Büroriegel „B:HUB“ parallel zur Ringbahntrasse ist bereits fertiggestellt. „My Bay“ verkündet den Bau von 60 teuren Eigentumswohnungen – etwa eine Dreizimmerwohnung für 900.000 Euro. Aber auch Mietwohnungen sollen von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge errichtet werden, zum Teil auch von der Padovicz-Unternehmensgruppe; diese wird jedoch hauptsächlich Eigentumswohnungen bauen.
Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb fragen wir noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich …?“ rund um den Jahreswechsel 2021/22 erzählen wir einige Geschichten weiter.
Teil 6 und Schluss: Kurz nach dem Jahreswechsel und mitten in der Pandemie wurden die obdachlosen Bewohner*innen der Rummelsburger Bucht geräumt. Auf dem Gelände sollen ein Aquarium und Wohnhäuser entstehen.
Alle Texte der „Was macht eigentlich ...“-Serie sind online auf unserer Webseite: taz.de/berlin nachzulesen. (taz)
Die beiden markanten graubraunen Häuser an der Hauptstraße stehen mittlerweile leer, werden entkernt und warten auf ihren Abriss. In der Nacht auf den 16. Dezember 2021 fand dort eine symbolische Besetzung statt, „um ein Zeichen gegen den Bebauungsplan und die Verdrängungen von alternativen, selbstverwalteten Orten zu setzen“, wie es in einer Erklärung auf der linken Internetseite Kontrapolis heißt.
Auf dem Garagenhof hinter den Häusern befanden sich bis zum Sommer der Club „Rummels Bucht“ sowie zwei kleine Wagenplatzkollektive. Während die „Wagenkunst Rummelsburg“ bis November ausharrte, hatte die queere Gruppe „Mollies“ eine Duldung bis Mitte Januar. Vom Senat wurde ihnen Unterstützung bei der Suche nach einem Ersatzgrundstück zugesichert, doch das ist einmal bereits gescheitert. „Sie haben keine gesellschaftliche Relevanz“, habe Bezirksstadtrat Martin Schaefer (CDU) zu ihm gesagt, erinnert sich ein Bewohner, der sich Luca nennt. Unterstützt wird die Gruppe von Hendrikje Klein (Linke), die sich seit Jahren für Wagenplätze einsetzt. Tatsächlich haben die „Mollies“ nun doch ein Ersatzgelände in Marzahn in Aussicht und bereiten gerade den Umzug vor.
Auf dem Gelände von Coral World haben inzwischen die Arbeiten begonnen. „Mit dem Bauvorhaben sind wir im Zeitplan“, teilt das Unternehmen auf taz-Anfrage knapp mit. Allerdings hat Coral World gerade Befreiungen vom B-Plan beantragt, das heißt, das Unternehmen will das Projekt größer und massiver bauen, als es der Bebauungsplan eigentlich vorsieht. Dieser wurde erst 2019 vom Bezirk unter Protest von Anwohnern und Umweltschutzgruppen beschlossen. Nun soll das Gebäude noch einmal 1,50 Meter höher und die Geschossfläche um etwa sieben Prozent überschritten werden.
Antonio Leonhardt (Linke), Lichtenberger Sprecher für Stadtentwicklung und Verkehrspolitik, lehnt diese Änderungswünsche ab: „Letztlich wird eine Bebauung realisiert, zu der wir nicht unsere Zustimmung gegeben haben und diese auch nicht gegeben hätten. Es ist bedenklich, wenn dadurch die gemachten Versprechen der Bezirkspolitik schon nach etwas mehr als zwei Jahren Makulatur sind.“ Doch noch ist das nicht entschieden, der Vorgang befinde sich in Bearbeitung, schreibt der zuständige Stadtrat Hönicke. „Das Verfahren ist jedoch so weit fortgeschritten, dass ich davon ausgehe, dass die Baugenehmigung und die erforderlichen Befreiungen in absehbarer Zeit erteilt werden können.“
Während die Tierschutzorganisation Peta zu einer Online-Petition gegen die von Coral World geplante Haltung von Meerestieren aufruft, hat die Initiative „Bucht für Alle“ mit den Naturfreunden Berlin e. V. bereits im April ein Eilverfahren gegen den Bebauungsplan beim Oberverwaltungsgericht eingereicht. „Wir warten immer noch darauf, dass das Gericht endlich über die Sache entscheidet. Weiter sind uns die Hände gebunden“, schreibt ein Mitglied der Initiative resigniert. „Die Situation an der Rummelsburger Bucht ist für mich ein Mahnmal der Unfähigkeit, Berlins Räume klug für alle Menschen zu planen“, kritisiert Hendrikje Klein.
„Warum entstehen vor allem Wohnungen für die Mittel- und Oberschicht und nicht für alle Berlinerinnen und Berliner?“, fragte Bezirksbürgermeister Michael Grunst bei einer Einweihung von Straßenschildern an der Rummelsburger Bucht am 30. September. Es gebe hier viele schöne Geschichten zu erzählen, „aber auch viele von Ungerechtigkeit und auch traurige Geschichten, von politischen Fehleinschätzungen und Schönfärberei“.
Trotz dieser Selbstkritik hat sich in der Lichtenberger BVV eine bemerkenswerte Zählgemeinschaft aus Linkspartei, SPD und CDU im Dezember darauf verständigt, dass Grunst Bezirksbürgermeister bleibt. Martin Schaefer (CDU) behält das Ressort für Ordnung und Verkehr. Und Kevin Hönicke, der ursprünglich selbst Bezirksbürgermeister werden wollte und dem in einer Petition vorgeworfen wird, „für eine Politik der großen Firmen, SPD-Baufilz, Prestige, Ellenbogen und Macht“ zu stehen, ist weiterhin stellvertretender Bürgermeister. So bleibt in Lichtenberg alles beim Alten.
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