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Die Politik fordert mehr Härte gegen den Hass im Messengerdienst Telegram. Doch der Betreiber reagiert nicht. Nun sind strengere Maßnahmen im Gespräch

Was lässt sich konkret tun, wenn Telegram weiterhin nicht reagiert? Foto: Rafael Henrique/picture alliance

Von Konrad Litschko

Das Schreiben des Bundesamts für Justiz im Frühjahr ging an die Telegramzentrale in Dubai – und es war deutlich. Als Anbieterin eines sozialen Netzwerks in Deutschland sei das Unternehmen nach dem hiesigen Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet, strafbare Inhalte zu melden und zu sperren. Dem aber komme Telegram nicht nach. Auch habe das Unternehmen bis heute keine Zustellungsbevollmächtigten und keinen Meldeweg benannt – deshalb drohe nun ein Bußgeld in Millionenhöhe.

Eine klare Ansage. Das Problem nur: Telegram soll bis heute nicht darauf geantwortet haben. Genauso wenig wie auf andere offizielle Schreiben aus Deutschland. Das schürt nun zunehmend den Unmut der deutschen Politik. Denn im Messengerdienst tobt derzeit der Hass von Coronaleugnern und Rechtsextremen. Am Montag schaltete sich nun auch die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in die Debatte ein. „Gegen Hetze, Gewalt und Hass im Netz müssen wir entschlossener vorgehen“, sagte Faeser der Funke Mediengruppe. Dass Telegram nicht auf das Bundesamt für Justiz reagiere, „wird diese Bundesregierung so nicht hinnehmen“.

Bei dem Dienst gebe es inzwischen öffentliche Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern, die dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz unterlägen wie Facebook oder Twitter, so Faeser. „Das bedeutet, dass offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden müssen, rechtswidrige Inhalte innerhalb von sieben Tagen.“ Zudem gelte für die öffentlichen Kanäle die Meldepflicht an das Bundeskriminalamt.

Zuvor hatte auch Neu-Justizminister Marco Buschmann (FDP) betont, dass das Bundesamt für Justiz „aus gutem Grund“ gegen Telegram vorgehe. Morddrohungen und Beschimpfungen wie jüngst wieder aus der Coronaprotestszene seien „inakzeptabel“. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), in dessen Bundesland die Coronaproteste gerade wieder aufbranden, hat ein härteres Vorgehen gegen Telegram gefordert. „Es kann nicht länger angehen, dass die Betreiber von Dubai aus tatenlos zuschauen, wie in ihrem Netzwerk Morddrohungen verbreitet werden.“ Und auch Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sagte am Montag der taz: „Telegram ist ein Brandbeschleuniger für Radikalisierungen, gerade der Coronaproteste. Die Gefahr ist sehr groß, dass aus dem Hass dort auch Gewalt wird. Wir müssen hier dringend handeln.“

Tatsächlich ist Telegram inzwischen ein zentrales Medium für Hass von Rechtsextremen und Coronaleugnern derzeit. Von Beginn an mobilisieren „Querdenken“-Gruppen oder aktuell die „Freien Sachsen“ zu Demonstrationen. Letztere oder Einpeitscher wie Attila Hildmann oder Oliver Janich haben oder hatten dort mehr als 100.000 AbonnentInnen. Und nicht nur die beiden fielen immer wieder mit Gewaltaufrufen auf. Immer wieder kommt es in den Kanälen zu Bedrohungen bis hin zu Mordaufrufen. Zuletzt hatte das ZDF eine Telegramgruppe aufgedeckt, die Mordpläne gegen Kretschmer besprach.

Telegram selbst war 2013 in Russland von den Brüdern Pawel und Nikolai Durow gegründet worden. Ersterer hatte zuletzt schon das Netzwerk Vkontakte gegründet. Er trat bewusst mit dem Ziel an, nicht mit staatlichen Behörden zu kooperieren und Inhalte weitgehend nicht zu moderieren oder zu löschen. Putins Regierung wollte den Dienst deshalb mehrmals einschränken. Nach mehreren Umzügen des Entwicklerteams, nach eigener Auskunft auch nach Berlin, liegt der Firmensitz nun in Dubai. Den würde man aber auch wieder verlassen, „wenn sich die dortigen Vorschriften ändern sollten“, verkündet das Unternehmen.

Zu illegalen Inhalten in den Kanälen bietet Telegram Nut­ze­r:in­nen an, diese per Mail zu melden. Zugleich wird aber betont, dass die Chats „Privatsache“ der Schreibenden seien. Man entferne nur Kanäle oder Bots, die Pornos, Verletzungen von geistigem Eigentum oder terroristische Inhalte enthielten. Sonst gelte die „Freiheit der Meinungsäußerung“. Tatsächlich finden Löschungen bei Telegram aber nur höchst selten statt – weshalb sich der Dienst auch unter deutschen Rechtsextremen weiter Beliebtheit erfreut.

Die Frage für die Politik ist nun: Was lässt sich konkret tun, wenn Telegram weiterhin nicht reagiert? Faeser ließ am Montag offen, welche Maßnahmen ihr hier vorschweben. Sie werde sich dazu mit Experten und am Dienstag mit den Chefs der Sicherheitsbehörden beraten, sagte ein Sprecher am Montag. Mit der Frage beschäftigte sich vor gut einer Woche aber bereits die Innenministerkonferenz. Dort forderten vor allem die Unions-Länder, Anbieter von Online-Kommunikationsdiensten zu verpflichten, dass sie bei Straftaten Inhalte auch unverschlüsselt zur Verfügung stellen können. In einer gemeinsamen Erklärung forderten alle MinisterInnen zudem, gesetzliche Regelungen für „eine eindeutige Identifizierbarkeit von Straftäterinnen und Straftätern im Internet“ zu schaffen. Auch in Messengerdiensten müssten „Hass und Hetze konsequent unterbunden und geahndet werden können“. Zudem brauche es zentrale Meldestellen für Hasskriminalität im Internet.

Zuletzt war jedoch nicht mal klar, ob es sich bei Telegram wirklich um ein soziales Netzwerk handelt – oder nicht doch nur um einen Messengerdienst, der nicht unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz fiele. Eine Sprecherin von Justizminister Buschmann stellte am Montag klar, dass man es als soziales Netzwerk sehe. Das sieht auch Thüringens Georg Maier so. „Es muss jetzt klargezogen werden, dass Telegram kein reiner Messengerdienst ist, sondern längst ein Social-Media-Dienst.“ Zudem müsse der Druck auf das Unternehmen erhöht werden. „Wir müssen die politischen Daumenschrauben gegen Telegram anziehen, auch über diplomatische Kanäle“, so Maier zur taz. „Es muss klar werden, dass wir dieses sehr ernste Problem nicht einfach so laufen lassen werden.“

„Telegram ist ein Brandbe­schleu­niger für Radi­kali­sierungen“

Georg Maier, SPD

Auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer baut Druck auf. „Wenn sie ihre Dienste weiter auf dem deutschen Markt anbieten wollen, müssen sie gegen diese Hetze vorgehen“, erklärte er. „Andernfalls muss die EU, muss die Bundesregierung, müssen Apple und Android die Nutzung einschränken.“ Justizminister Buschmann fordert zudem „einheitliche europäische Vorgaben für soziale Netzwerke“, wie man sie mit dem Digital Services Act plane. Er wolle sich dazu „konstruktiv“ einbringen.

Experten sehen die Politik durchaus in der Pflicht. „Das Beispiel Russland zeigt, dass Staaten durchaus Handlungsmöglichkeiten haben“, so Miro Dittrich von Cemas, einer Monitoringstelle für Verschwörungsmythen. Dort löschte Telegram wegen einer drohenden Sperre in den Appstores im September mehrere regierungskritische Kanäle. „Die Sperrung ist ein brachialer Schritt, der mit Blick auf regierungskritische Stimmen in anderen Ländern durchaus bedenklich ist“, so Dittrich zur taz. „Aber wenn sich ein Unternehmen partout nicht an geltendes Recht halten will, könnten ihm als letzter Schritt auch so die Grenzen aufgezeigt werden.“

Im Fall von Attila Hildmann etwa waren die App-Anbieter von sich aus so verfahren. Nach öffentlichem Druck hatten An­droid und Apple Hildmanns Kanal in der jeweiligen App gesperrt. Über die Telegram-Webseite war dieser indes weiter abrufbar. Dittrich fordert aber auch mehr Engagement der Ermittlungsbehörden. „Telegram ist mitnichten rein anonym. Die Nutzer hinterlassen dort etliche Daten oder geben sich auf anderen Portalen zu erkennen. Hier sind Ermittlungen durchaus möglich und auch viel stärker nötig, wenn es zu Straftaten kommt. Nur darauf zu verweisen, dass Telegram keine Nutzerdaten rausrückt, ist eine Ausrede. So arbeitet die Polizei auch in anderen Bereichen nicht.“

Für Georg Maier könnte ganz am Ende auch eine andere drastische Maßnahme stehen. „Wenn gar nichts mehr hilft, könnte man Telgram auch geoblocken.“ Mit der Technik werden in bestimmten Regionen Internetinhalte gesperrt. „Das wäre aber wirklich der allerletzte Schritt, und so weit sind wir noch nicht.“