Ampelkoalition und Menschenrechte: Grüne Staatsraison

Einige verstehen unter radikalem Klimaschutz neue Weltbürgerlichkeit und Abbau weißer Privilegien. Die werden von der Ampel frustriert sein.

Ampel mit Reichtagskuppel

Die Ampel im Regierungsviertel Foto: Christoph Soeder/dpa

Dieser Tage habe ich einen neuen Begriff gelernt: Erwartungsmanagement. Gemeint ist damit, die Wähler und Wählerinnen der Grünen darauf vorzubereiten, welchen Verdruss ihnen die künftige Regierung bereiten wird. Ich will mich hier ein wenig am Management beteiligen, und zwar in einem Bereich, über den wenig gesprochen wird, die internationale Politik.

Die Regierungsgrünen werden eine transatlantische Pro-Nato-Partei sein, die Nato ist ihnen unverzichtbar, so steht es im Sondierungspapier, dem Vorvertrag der Koalitionäre. Wer das unterschreibt, der weiß natürlich, dass die Allianz dabei ist, sich neu auszurichten; sie steht künftig nicht nur wie bisher gegen Russland, sondern auch gegen China. Und zu einer atomwaffenfreien Welt möchte das Bündnis keinesfalls beitragen.

Bewaffnete Drohnen: Die Sozialdemokraten haben sich zum Umfallen viel Zeit gelassen. So viel Zeit haben die Grünen nicht. Ich las in einem Zeitungskommentar, wer diese Drohnen nicht wolle, sei als Mi­nis­te­r:in bei der Truppe untragbar. Das stellt zwar das Prinzip der zivil geführten Armee auf den Kopf, aber ähnlich schallt es nun von allen Seiten. Die Weichen sind längst gestellt, Personal wird in den USA und Israel ausgebildet.

Die Regierungsgrünen sehen also einer Zukunft als Killerdrohnen-Partei entgegen, verbitten sich aber ebenso wie die SPD solche Polemik. Denn gezielte Tötungen von Menschen dürfe es nicht geben. Nun waren die sogenannten gezielten Tötungen vonseiten der US-Kriegsführung derart ungezielt, dass Tausende Unbeteiligte dabei ums Leben kamen, und gerade dies war Teil der Niederlage in Afghanistan.

Unschuldige Opfer bei gezielten Tötungen

Womöglich ist das Falsche an der Drohne nicht (allein) die Waffe, sondern der Einsatz, für den sie verlangt wird: nicht gewinnbare Kriege gegen irreguläre, diffuse Feinde. Warum ist es so schwer, dazu Nein zu sagen? „Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsraison.“ Da macht sich die Ampelkoalition das Merkel’sche Postulat vom März 2008 zu eigen, um zu signalisieren: Alles weiter wie bisher!

Tatsächlich ist der Merkel-Satz erratisch, denn zur Sicherheit, wie Israel sie definiert, gehört eben jene Besatzungspolitik, die von der Europäischen Union verurteilt wird. Dieser Tage flog die Luftwaffe bei einer deutsch-israelischen Übung, den veröffentlichen Fotos zufolge, über besetztes Gebiet. Eine gemäß der offiziellen deutschen Position völkerrechtlich nicht erlaubte Handlung wurde von der Bundeswehr als Zeichen der Freundschaft beworben, deutsche und israelische Jagdflugzeuge „Flügel an Flügel“.

Habe ich die Kritik der Grünen überhört? Die Angelegenheit, später eilig zum „Kulturaustausch“ herabgestuft, wäre eine Gelegenheit gewesen, für eine neue, an Bürgerrechten orientierte Nahostpolitik zu werben. Zumal sich die US-Regierung gerade besorgt über den erneuten Siedlungsausbau im West­jor­dan­land äußert. Und Siedlungsbau heißt: noch weniger Land, weniger Wasser für Palästinenser, weniger Straßen, die sie benutzen können – heißt: die Zwei-Staaten-Lösung unmöglich machen.

Zweistaatenlösung ist Illusion

Der Philosoph Omri Boehm schreibt, nicht wahrhaben zu wollen, dass dieses Modell nur noch eine ­Illusion sei, ähnele dem Leugnen der globalen Erwärmung. Warum also nicht mehr Mut zu Realismus? Das Problem mit den Erwartungen an die Grünen ist: Sie selbst haben sie hochgejazzt, als sie eine Kanzlerkandidatin aufstellten und den Eindruck erweckten, in einem neuen, diversen und klimabesorgten Deutschland seien sie die Gestaltungsmacht der Stunde.

Und dann gelingt es ihnen noch nicht einmal, ein Tempolimit durchzusetzen? Und dabei immer schön cool und elegant vor den Mikrofonen stehen, als brauche hier um nichts gekämpft zu werden, als sei Leidenschaft keineswegs am Platze und als messe der Abstand zum aus der Zeit gefallenen Ordoliberalismus des Herrn Lindner kaum eine halbe Armlänge. Dabei ist ohne die Grünen keine Regierung möglich. Warum also so wenig Debatte? Woher rührt die Ruhe, die Vorsicht, der Kleinmut?

Die Organisation „Seebrücke“ stellt immerhin ein Mailtool bereit, damit wir die Verhandelnden daran erinnern, dass Menschenrechte von Geflüchteten „unverhandelbar“ seien. Sonst kaum öffentlicher Druck, kaum Begleitmusik durch die Zivilgesellschaft. Wir haben uns angewöhnt, die Grünen als Partei der Menschenrechte anzusehen; das ist ja auch nicht falsch – Menschen wie Claudia Roth haben diesem Anliegen in schwierigen internationalen Kontexten ein Gesicht gegeben.

Aber die Grünen in der Regierung werden uns das Gleiche wie alle anderen Regierungen lehren: Menschenrechte sind eine relative Größe. Grüne Minister und Ministerinnen werden sich künftig Demonstrationen gegenübersehen, wie es sie gerade in Rom und Glasgow gab, und sie werden dem Vorwurf ausgesetzt sein, dass sie als Deutsche – global betrachtet – das eine Prozent vertreten und nicht die Neunundneunzig.

Olaf Scholz sagte beim G20-Gipfel, die Länder Europas hätten sich bisher darauf verlassen, leistungsfähiger zu sein als andere, aber das werde sich in 30 Jahren geändert haben. Ignorieren wir an dieser Aussage, dass es historisch nicht ganz state of the art ist, die Stellung Europas allein auf „Können“ zurückzuführen. Interessanter ist: Man versteht hier, was der Kern der Scholz’schen „Fortschrittskoalition“ sein wird: den Abstand aufrechterhalten.

Durch einen technokratischen Modernisierungsschub dafür sorgen, dass die deutsche Wirtschaft, die deutsche Gesellschaft und damit unsere Lebensweise ihre privilegierte Stellung nicht verliert. Das ist nun auch grüne Staatsraison – und damit ziemlich weit entfernt von dem, wie radikaler Klimaschutz von anderen gedacht wird: Als un­doing dominance. Weil alle das gleiche Recht an dieser Erde haben.

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hat sich als Reporterin vor allem mit muslimischen Gesellschaften befasst. Ihr letztes Buch: „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“.

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