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Von Rädern und Büchern

Das Prinzip „Nutzen statt Besitzen“ gilt als wichtiger Teil einer nachhaltigen Wirtschaft. Doch nicht alles, was heute dazu gezählt wird, ist wirklich neu – oder ökologisch sinnvoll

Sinnvoll teilen: Ein Lastenrad ist nur selten vonnöten, um den eigenen Pkw zu ersetzen Foto: Florian Pelj/SZ Photo Creative/mauritius images

Von Bernward Janzing

Es war eine Diskussion, so aufgeregt, wie Diskussionen heute oft sind. Da hatten die Grünen die Idee in die Welt gesetzt, den Kauf privater Lastenfahrräder mit jeweils 1.000 Euro zu fördern, und schon lief – zumal es um eine Million Räder gehen sollte – das Thema im Netz und anderen Medien heiß. Die einen polemisierten gegen das „Arschgeweih des Alnatura-Adels“ (so die Welt), die anderen hoben hervor, wie elegant ein Lastenrad Autofahrten ersetzen kann.

In solch aufgeregter Debatte über ein grünes Symbol hatte die pragmatische Sicht keine Chance mehr: Allemal sinnvoller als ein Kaufzuschuss ist eine Unterstützung von Leihsystemen. Denn die meisten Menschen brauchen ein Lastenrad nur gelegentlich. Eine Anschaffung wäre für sie – auch angesichts der stolzen Preise – kaum sinnvoll. Zumal viele Stadtbewohner nicht einmal den Platz haben, ein solches Gefährt unterzustellen.

Dass Leihsysteme in dieser Diskussion kaum eine Rolle spielten, überrascht – weil das Prinzip „Nutzen statt Besitzen“ (NsB) ansonsten stets als Teil der Ökowirtschaft gepriesen wird. Das Lastenrad ist dafür perfekt geeignet, denn gelegentlich kann es jeder brauchen, der Autofahrten vermeiden will. Ein solches Gefährt – unkompliziert und wohnortnah – zum Verleih anzubieten wäre „Sharing Economy“ von ihrer besten Seite.

Vielerorts gibt es bereits solche Angebote; die Firma cargobike.jetzt listet in Deutschland 122 Kommunen auf. Offenbar sind die Initiativen vor Ort schon weiter als die Debatten bei den Grünen, die mit ihrem Kaufanreiz wohl ihre gutsituierte Wählerklientel im Blick hatten – statt ein attraktives Angebot für alle anzustreben.

Dass das Konzept NsB vor allem bei Mobilitätsangeboten gut ankommt, zeigt sich längst beim Carsharing: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Fahrzeuge in Deutschland verfünffacht, die Zahl der Nutzer verzehnfacht.

In anderen Sektoren hingegen werden die Schlagworte „Sharing Economy“ und „Collaborative Consumption“ oft nur genutzt, um dem uralten Prinzip der gemeinschaftlichen Güternutzung ein modernes Image zu verpassen. Bibliotheken gibt es schließlich schon lange (neudeutsch: „Book-Sharing“), auch Waschsalons sind beileibe nicht neu.

Ebenso sind Flohmärkte für Kleidung, Kindersachen und Haushaltsutensilien eine von jeher praktizierte Form der ressourceneffizienten Wirtschaft – mit dem einzigen Unterschied, dass heute Käufer und Verkäufer auch im Internet zusammenfinden können. Dort haben sich zwischenzeitlich auch viele kommerzielle Anbieter von Leihware mit einem breiten Spektrum vom Kinderspielzeug bis zum Campingbedarf etabliert.

Nur: Eine furchtbar revolutionäre Idee ist das alles nicht. Auch in der analogen Welt nutzten die Menschen von jeher Arbeitsgeräte gemeinsam. Denn auch für sie war es attraktiv, zum Beispiel den Gartenhäcksler mit dem Nachbarn zu teilen. Oder man denke nur an die Maschinenringe, die es seit 1958 gibt. Darüber schließen sich landwirtschaftliche Betriebe zusammen, um gemeinsam Land- oder Forstmaschinen zu nutzen. Sie sind ein historischer Teil der „Sharing Economy“; sie praktizierten das Konzept schon, als es den Begriff zumindest im deutschen Sprachraum noch gar nicht gab.

Bibliothek? Neudeutsch sagt man dazu heute Book-Sharing

Neue Ausprägungen des Teilens gibt es freilich schon. Bestes Beispiel dafür sind die öffentlichen Bücherschränke, die landesweit – gerne in alten Telefonzellen – entstanden sind. Sie haben sich binnen weniger Jahre zum Kulturgut entwickelt.

In wissenschaftlichen Studien über gemeinschaftliche Nutzungsformen wird mitunter selbst die Mehrwegflasche in diesen Kontext gestellt. Was insofern konsequent ist, als auch diese von einem Nutzer zum nächsten wandert. Zugleich ist die Mehrwegflasche aber ein gutes Beispiel dafür, dass es auch Konsumbereiche gibt, in denen das viel gelobte Prinzip NsB von der Gesellschaft ungeniert in die Tonne getreten wird. Denn die Mehrwegquote bei Getränken sinkt immer weiter – während man andernorts die „Sharing Economy“ zelebriert.

Andererseits darf man das Prinzip NsB aber auch nicht verklären – zumal dann nicht, wenn man den Begriff weit fasst. So kam einst das Wuppertal Institut zu dem Fazit, dass „das Feld der Sharing Economy nicht per se die Ziele einer ressourcenleichten Gesellschaft“ fördert. Denn es seien sogar „NsB-Angebote auszumachen, die zu deutlich höherem Ressourcenverbrauch führen können“. Etwa dann, wenn günstige Übernachtungsoptionen, wie sie etwa das Netzwerk Couchsurfing bietet, zu zusätzlichen umweltbelastenden Reisen führt.

Was also tun? Um explizit jene Sharing-Angebote zu fördern, die ökologischen Mehrwert bringen, seien „ökologisch wahre Preise“ hilfreich, schlussfolgert das Wuppertal Institut. Denn diese könnten, wenn sie die Umweltbelastung des Energie- und Rohstoffverbrauchs widerspiegeln, „als übergreifende Leitplanken wirken“.

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