FFF-Aktivist über Wahlen und Protest: „Jo, euer Programm reicht nicht“
Keine Partei hat eine gescheite 1,5-Grad-Strategie, kritisiert Aktivist Quang Paasch. Warum ihm die anstehenden Koalitionsverhandlungen wenig Hoffnung machen.
Es ist noch etwas früh für ein Interview mit einem Vollzeitstudierenden, aber der Holzmarkt in Berlin ist an einem Dienstagmittag weniger von Zugezogenen überrannt als sonst, erklärt Quang Paasch, Sprecher von Fridays for Future, bei der Begrüßung. Ein Gespräch über die Bewegung, mögliche Protestformen derer und wie eine klimagerechte Zukunft aussieht.
taz: Quang, die Wissenschaft sagt, wir müssen jetzt sofort handeln. Klimagerechte Politik, die Deutschland auf einen 1,5-Grad-konformen Pfad bringt wird es wohl aber nach den Ergebnissen der Bundestagswahl nicht bis 2030 geben. Dann lieber erst das Klima und danach soziale Gerechtigkeit?
Quang Paasch: Wir können Klimaschutz nur mit sozialer Gerechtigkeit erreichen. Es bringt uns nichts, Emissionen zu senken und auf Technologien zu setzen, wenn weiterhin Arbeiter:innen des Globalen Südens und auch die Natur dafür ausgebeutet werden. Sei es, weil Teile des Globalen Südens unbewohnbar werden oder Menschen hierher fliehen. Natürlich sind auch hier im Land soziale Perspektiven wichtig. Gebäudesanierung, klimapolitische Bildung oder Mobilität und all diese anderen Bereiche, die Klima mit drinhaben, betreffen am Ende alle Bürger:innen.
Eine andere Sache, die alle Bürger:innen betrifft, ist die Bundestagswahl. Die Würfel sind gefallen. In die richtige Richtung?
Es gibt ja jetzt schon keine Tendenz für eine „ordentliche Koalitionsbildung“. Keine Partei hat eine gescheite 1,5-Grad-Strategie oder kann Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit ordentlich verbinden. Am Ende ist es immer eine Koalition, wo klimafreundlichere Parteien Zugeständnisse machen müssten, und deswegen sehe ich wenig Hoffnung in der nächsten Regierung.
Glaubst du, der globale Klimastreik kurz vor der Bundestagswahl hatte trotzdem eine große Auswirkung auf die Wahl?
Wir machen das nicht nur, damit alle am Ende die Grünen oder eine andere progressive Partei wählen. Unser Ziel ist es auch, allen Parteien zu zeigen: Jo, euer Programm reicht einfach gar nicht aus. Wir werden auch drei Wochen nach der Wahl noch laut sein. Demokratie bedeutet für mich nicht, nur zur Bundestagswahl zu gehen, weil viele in der Klimabewegung minderjährig sind, also gar nicht wählen durften.
Die Aktivistin Carola Rackete warf Fridays for Future unlängst in einem Gastbeitrag in der taz vor, stur an der Protestform des Streiks festzuhalten, obwohl die Streiks allenfalls noch symbolische Bedeutung hätten. Wie positioniert sich Fridays for Future künftig zu Organisationen wie „Ende Gelände“, die für radikalere Proteste wie Massenblockaden stehen?
Auch ziviler Ungehorsam ist demokratischer Protest und wir sind solidarisch mit diesen Organisationen. Wir können aber schlecht sagen, wir besetzen jetzt auch Bagger. Die Kindergarten- und Grundschulkinder, die davor auf den Streiks waren, werden dadurch ausgeschlossen. Wir sind eine Plattform für Menschen, die gar nicht erst von der Gesellschaft als Entscheidungsträger:innen oder politische Subjekte wahrgenommen werden. Und deswegen nutzen wir die Form von Bündnissen und Allianzen, damit wir uns als Bewegung nicht unser Framing verwässern, aber auch zu anderen Protestformen aufrufen.
Wäre es aber theoretisch möglich, dass es in Zukunft auch stärkeren zivilen Ungehorsam von Fridays for Future geben wird? Das eine schließt das andere ja nicht aus.
Ich glaube schon. Das gibt es ja bereits von einzelnen Ortsgruppen.
Die Fridays-for-Future-Bewegung, die du vertrittst, wird kritisiert, zu weiß und elitär zu sein. Passiert intern wie extern etwas?
Soziale Bewegungen sind auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und wenn eine Gesellschaft, so wie wir sozialisiert werden, diskriminierend ist, dann ist es leider nur natürlich, dass eine Bewegung wie Fridays for Future weiß-bürgerlich ist. Aber wir haben auch eine Verantwortung, Strukturen zu schaffen, die Menschen sensibilisieren intern sowie extern Barrieren abzubauen. Gleichzeitig sehe ich die Eigenverantwortung irgendwo auch gestoppt, weil uns das System so viele Hürden setzt.
Was für Hürden?
Wenn eine weiße Schülerin zum Streik geht, wird ihr per se mehr geglaubt, als wenn ein migrantischer Schüler das macht. Bei dem wird direkt gesagt, er würde eh schwänzen und sei kriminell oder sonst was. Eine junge Person of Color, die auf dem Land lebt, hat viele strukturelle Hürden, um überhaupt erst mal politisch gebildet zu sein. Und dann auch noch die Kraft und Zeit zu haben, sich politisch zu engagieren und sich dann für Fridays for Future zu entscheiden. Das sind alles Faktoren, die mit reinspielen. Fridays for Future macht aber auch viel zu wenig dafür, um selbstkritisch zu sein.
Wie bist du selbst Aktivist geworden?
Ich hab aufgrund meiner eigenen Lebensrealität, die nie frei von Diskriminierung war, von Anfang an gemerkt, ich bin anders als die Mehrheitsgesellschaft. Mir stellte sich dann die Frage: Werd ich still und lass mich so behandeln? Oder lehne ich mich dagegen auf und werde laut? Durch das Internet hab ich mich dann selbst ermächtigt und aufgeklärt. Ich hab das in die Schule getragen und dort drüber diskutiert, bin aber angeeckt, weil meine Mitschüler:innen sehr unpolitisch waren.
Das Wahlcamp
Zum ersten Mal konnte die taz für diese Bundestagswahl ein Wahlcamp einrichten, bestehend aus fünf Journalistinnen und Journalisten zwischen 19 und 27. Der Arbeitsauftrag: Themen, Leute, Perspektiven, Benachteiligungen einbringen, die in der regulären Berichterstattung möglicherweise sogar der taz entgehen, speziell die Sicht von unter 30-Jährigen auf Politik und Gesellschaft und ihre Ansprüche und Bedürfnisse. Möglich gemacht haben dieses Wahlcamp die taz Panter Stiftung und die Spenden von Menschen, denen die Förderung von unabhängigem Journalismus wichtig ist.
Wie gehen deine Eltern damit um?
Ich komme aus einer typischen migrantischen Arbeiterklasse. Meine beiden Eltern sind kurz vor und nach der Wende aus Vietnam nach Deutschland migriert. Für sie stand immer im Fokus, ökonomisch abgesichert zu sein. Deshalb bin ich am Anfang auf viel Angst und Unverständnis gestoßen: Angst davor, nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert zu werden, weil sie ein Kind haben, das plötzlich selbstbestimmt und politisch auftritt. Erst nach mehreren meiner Medienauftritte wurde es leichter, dafür Verständnis zu erlangen.
Die Linke, die ja eigentlich für die Arbeiterklasse steht, ist nur mit viel Glück in den Bundestag eingezogen. Sahra Wagenknecht, die wohl prominenteste Politikerin der Partei, bezeichnet die Linke, aber auch Fridays for Future als Lifestyle-Linke, weil sie sich in sinnloser Identitätspolitik verlören. Stimmt das?
Ich glaube, Identitätspolitik ist wichtig, aber nur mit der Verbindung von Klasse und Ökonomie, sprich Macht und Geld. Und wenn es keine materialistische Analyse gibt und Menschen nur allein auf ihre Identitätskonstruktionen und der Aneignung dieser Identitäten beruhen und es dabei belassen, dann ist es gefährlich.
Inwiefern?
Liberale Identitätspolitik, die rein auf Diversität abzielt, ist für mich nicht das Mittel auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft. Wir müssen auch die unterdrückenden Strukturen hinterfragen und verändern. Genauso ist die Diskussion über Sprache wichtig, weil Sprache Wahrnehmung konstruiert und Machtstrukturen reproduziert.
Also zielt Wagenknecht in die falsche Richtung?
Sie ist die echte Lifestyle-Linke, weil sie so tut, als sei diese vermeintliche Arbeiterklasse nur eins. Auch queere Menschen können Arbeiter:innen sein. Auch Arbeiter:innen können migrantisch sein. Sollte man dann nicht Politik machen, die alle einschließt? Und nicht nur für den vermeintlichen bürgerlich-weißen Arbeiter, der so wenig Bildung hat, dass er anscheinend nicht mehr mit den ganzen Sprachdiskursen klarkommen kann? Zu behaupten, es würde sie nichts angehen und sie würden es nicht verstehen, ist einfach bevormundend und zeugt von einem schlechten Menschenbild.
Quang Paasch, 20, studiert Politikwissenschaften und Sonderpädagogik an der Freien Universität und neuerdings auch Genderstudies an der Technischen Universität in Berlin. Er setzt sich außerdem aktiv gegen Rassismus und andere Diskriminierungs- und Machtstrukturen ein und ist Pressesprecher von Fridays for Future Deutschland.
Wie sollte Identitätspolitik dann aussehen?
Als Linke sind wir in der Verantwortung, alltagstaugliche Projekte zu haben, die mehr soziale Gerechtigkeit mit sich bringen. Und das aber mit der Perspektive der Identität. Ein ostdeutscher schwuler Arbeiter ist anders als ein ostdeutscher heterosexueller Arbeiter. Aber in der Vielfalt dieser Identitäten eint sie eins und das ist der Kampf um Gerechtigkeit.
Wie sinnvoll sind dahingehend konkrete politische Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Frauenquote?
Quoten, wie sie Liberale oft fordern, bringen leider wenig. Auch unter einer weiblichen CEO arbeiten viele andere Arbeiter:innen, die in diesem System ausgebeutet werden. Wieso sollte man nicht über Pflegekräfte reden, über Erzieher:innen, über Putzkräfte, die weibliche Care Arbeit verrichten? Wieso werden die nicht von einer sozialen feministischen Politik mitbetrachtet? Wieso wird immer nur das Ziel gesehen, dass Menschen nach oben kommen?
Apropos nach oben kommen: Was hast du eigentlich gewählt?
Das möchte ich nicht beantworten.
Eine Maßnahme, die die nächste Regierung sofort umsetzen sollte?
Eine gezielte Umverteilung von Reichtum und diese Gelder werden dann genutzt für Klimaschutz- und Demokratieprojekte.
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