Superwahljahr in Berlin: Mr. Wahl organisiert's

Wahlen sind eine logistische Herausforderung. Uwe Weise sorgt in Charlottenburg-Wilmersdorf dafür, dass sie laufen – mit Stofftier und Digitalwaage.

Ein Mann liegt auf einer Reihe schwarzer Rollkoffer.

Uwe Weise fühlt sich wohl zwischen Urnen und Koffern, die für die Wahl­vor­ste­he­r*in­nen gepackt sind Foto: Julia Baier

BERLIN taz | Bei einer Wahl kommt es auch auf die kleinen Dinge an. Uwe Weise hat in seiner Hand Büroklammern in drei verschiedenen Größen liegen. Die mittelgroßen, rund doppelt so lang wie normale Büroklammern, bekommen die Wahlhelfenden zum Auszählen der Stimmen. „Davon lasse ich in jedes Wahllokal 50 Stück mitgeben“, sagt er. „Wenn die zählen, dann sollen die 10er-Packen machen. Immer nach 10 SPDs, klack, immer nach 10 CDUs, klack“, macht er die Bewegung vor.

Weise – weißes Hemd, fünfeckige Metallbrille, wache Augen mit dunklen Augenringen – hat es selbst 30 Jahre lang so gemacht. Als Leiter des Jugendclubs Heckerdamm im Norden Charlottenburgs war Uwe Weise auch immer Vorsteher des Wahllokals, das im Jugendclub unterkam. Er schmiss es zusammen mit den Jugendlichen.

Landeswahlleiterin Petra Michaelis bittet alle Wahlberechtigten, die Briefwahlunterlagen erhalten haben, diese nun umgehend auszufüllen und an ihr Bezirkswahlamt zurückzuschicken. Wenn es zu knapp werde, solle man sie selbst dort vorbeibringen. Wer am Wahltag nicht im Wahllokal wählen kann und noch keine Briefwahl beantragt hat, sollte in dieser Woche möglichst selbst zur Briefwahlstelle gehen und gleich dort vor Ort wählen.

Wahlbriefe müssen spätestens am Wahltag bis 18.00 Uhr im Bezirkswahlamt eingegangen sein. Nur dann können sie bei der Stimmenauszählung berücksichtigt werden. Alle Wahlbriefe, die nach dem 26. September, 18.00 Uhr, eintreffen, dürfen nicht mitgezählt werden. (taz)

Heute ist er für das Wahlamt Charlottenburg-Wilmersdorf tätig. Weise organisiert die Wahl in dem Bezirk im Westen Berlins. Eines Montagabends vor fünf Jahren bekam er einen Anruf von der damaligen Bezirksstadträtin.

Ob er die Leitung des Wahlamts übernehmen wolle, er sei ihre beste schlechteste Variante. Denn Weise kenne sich aus – aber er ist kein ausgebildeter Verwaltungsbeamter, sondern Sozialarbeiter. Von der Arbeit im Feld in die Verwaltung. Weise nahm sich einen Abend Bedenkzeit, redete mit seiner Frau, am nächsten Morgen stand seine Entscheidung: Er wollte. Auch in Hinblick auf die nahende Rente, „dass ich aus dem Jugendclub altersmäßig mal rauskomme“, sagt er.

Stofftier Fauli hebt den Teamgeist

Deswegen sitzt er jetzt im Rathaus Charlottenburg, Raum 127a. An der Wand seines Büros hängt ein Bambi-Bild aus Mini-steck, im Schrank eine neongelbe Warnjacke, falls er mal einspringen und im Lkw Wahlmaterial von A nach B fahren muss. Neben seinem Computer lehnt ein Kuscheltier, er stellt es als „Fauli“, ein Faultier, vor. Manchmal setzt er es in Besprechungen an den Tisch, das hebe den Teamgeist.

Weise leitet die „Koordination Ehrenamt und Freiwilli­gen­agentur“. Die organisiert das Anwerben und Verteilen von Ehrenamtlichen im Bezirk. Er redet darüber mit mindestens so viel Begeisterung wie von den Büroklammern – und Weise redet viel.

Während des Gesprächs kommt eine junge Wahlhelferin ins Büro, weil sie noch keine Informationen zu ihrem Einsatz am 26. September bekommen hat. Weise stellt Fragen, sucht nach der Ursache des Problems, kritzelt ihr schließlich mit seinem rosafarbenen Füllfederhalter eine Telefonnummer auf seine Visitenkarte.

Aber nicht ohne ihr ein Dutzend Flyer zum Thema Ehrenamt in die Hand zu drücken und ihr auch dazu einen kleinen Monolog zu halten. „Man entkommt mir nicht!“, sagt er. Jeder im Rathaus kenne ihn. In der Pressestelle nennt man ihn Mr. Wahl.

Von A wie Abgeordnetenhauswahl bis S wie Seniorenvertreterwahl

Als Sozialarbeiter hat Weise nicht die Beamtenlaufbahn, die es braucht, um auf der Stelle eines Verwaltungsbeamten zu arbeiten. Deswegen kann er nicht dauerhaft im Wahlamt angesiedelt sein. Aber wenn Wahlen anstehen, wird er abbeordert. Von A wie Abgeordnetenhauswahl bis S wie Seniorenvertreterwahl – „alles was mit Kringelchen und Kreuzchen im Rathaus zu tun hat, da spricht man mich an“, sagt er.

Obwohl es seit vergangenem Jahr endlich wieder eine Leiterin des Wahlamts gibt, Andrea Dorn, ist er immer noch dabei. „Man möchte gerade in diesem Superwahljahr nicht auf mein Wissen verzichten“, sagt Weise. Denn 2021 treffen in Berlin vier Wahlen – Bundestag, Berliner Abgeordnetenhaus, Bezirksverordnetenversammlung, Volksentscheid – auf ein – coronabedingt – nie da gewesenes Ausmaß an Briefwähler*innen.

Zusammen ergibt das einen immensen logistischen Aufwand: Neun Tage vor der Wahl haben berlinweit fast 300.000 Menschen mehr per Briefwahl abgestimmt als bei der Bundestagswahl 2017 insgesamt.

180.000 rote, blaue und graue Briefumschläge hat Weise für die Briefwahl in Charlottenburg-Wilmersdorf bestellt. Bei der Europawahl vor zwei Jahren waren es noch 75.000. Im leerstehenden Charlottenburger Ratskeller lagern die 30.000 Umschläge, die Weises Mit­ar­bei­te­r*in­nen noch nicht vorbereitet haben, in Kisten, die ihm bis zur Hüfte reichen.

Nichts soll schiefgehen, passieren tut es trotzdem

Desinfek­tions­mittel, Einweghandschuhe, Atemschutzmasken, alles ist palettenweise da, auch Schnelltests für die 1.500 Mitarbeiter*innen, die in den Hallen des Messezentrums die Briefwahlstimmen auszählen werden.

Eine verpflichtende 3G-Regel für Wahlhelfende soll es in Berlin nun doch nicht geben, aber: „Wahlamt heißt lange, lange vorplanen!“, sagt Weise, während er an den vollen Paletten vorbeigeht. „Eine Wahl, richtig geplant, fängt 14 Monate vorher an“ – wegen Corona in diesem Jahr mit extra vielen Eventualitäten.

Da werden Materialien bestellt, Wahlbenachrichtigungen verschickt, Briefwahlunterlagen gepackt, Wahllokale vorbereitet, Wahlhelfende geschult. Eine logistische Großaufgabe, bei der nichts schiefgehen sollte. In einigen Berliner Bezirken ist das trotzdem passiert. Einige Dutzend Menschen bekamen ihre Briefwahl­unterlagen ohne den Stimmzettel zum Volksentscheid. „Es kann natürlich immer mal sein, dass jemand falsch packt“, sagt Weise dazu.

Im Festsaal des Rathauses Charlottenburg zeigt sich, welchen Ursprung solche Fehler haben: den Menschen. Dort packen Mit­ar­bei­te­r*in­nen die Briefe per Hand, die Stimmzettel liegen wie auf einem Buffet auf Tischen.

Bei Weise wiegt man jeden Brief per Digitalwaage

Ein bis zwei Personen bearbeiten einen Wahlkreis. Am Ende wird, sagt Weise, nochmal kontrolliert: „Wir wiegen jeden Brief, der rausgeht, um zu sehen, ob was fehlt.“ Auch die Stimmzettel für die Wahllokale zählen die Mit­ar­bei­te­r*in­nen per Digitalwaage.

Das ist laut Weise allerdings nicht in jedem Bezirk so. Offenbar hängt es von Schlüsselpersonen wie ihm ab, ob an Details gearbeitet wird, die zum Gelingen der Wahl beitragen. Eine andere Weiß’sche Idee ist der Verschluss der Wahlurne aus den Briefwahllokalen, wo man schon vor der Wahl seine Stimmzettel abgeben kann.

Ein Mitarbeiter rollt die Urne am Abend in Weises Büro, ein hoher dunkelgrauer Kasten aus Hartplastik, gefüllt mit den Briefwahlstimmen des Tages. Weise steckt eine Türklinke mitsamt Türschloss in den Schlitz und schließt wie bei einer normalen Tür ab – seine Konstruktion. In die Wahlurne kann so niemand etwas werfen, wenn er*­sie nicht soll.

Dann stellt Weise die Urne auf ein Rollbrett und schiebt sie durch die breiten Flure des Rathauses in einen geheimen Raum. Dort warten die Wahlbriefe darauf, am 26. September aufgeschlitzt und ausgezählt zu werden.

Briefwahl mit LKA-Siegel

Sicherheit spielt bei jeder Station des Briefwahlprozesses eine wichtige Rolle, auch das LKA war zur Überprüfung mal da – schließlich wird gerade das aus der rechtspopulistischen Ecke angezweifelt. Weise klingt genervt, wenn er darüber redet: „Wenn jemand meint, die Briefwahl ist nicht sicher, kann ich ihn nicht überzeugen. Irgendwann ist da auch bei mir das Basisdemokratische zu Ende.“

Am Ende ist bald auch sein Berufsleben, in 23 Monaten geht Weise in Rente. Dann packt er sein Fauli und seinen Füllfederhalter ein. Vielleicht arbeitet er noch freiwillig bei den Wahlen mit, „weil das hier so viel Spaß macht“.

Die 70 Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Wahlamts, die immer extra für die Wahl rekrutiert werden, werden Weises Struktur dann kennen. Sie wissen, wie wichtig darin Büroklammern sind, die kleinen, großen und mittelgroßen.

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