Das Verhältnis von Kopf und Hand

Die Ausstellung „Good Copy/ Bad Copy“ gilt der Kopie als Technik der Aneignung. Xiaopeng Zhou und das Duo Lydia Hamann & Kaj Osteroth reflektieren dabei die Bedeutung von Repräsentation, Pflege und Vergänglichkeit

Ausstellungsansicht, links Malerei von Lydia Hamann & Kaj Osteroth, rechts Zeichnungen von Xiaopeng Zhou Foto: Eva-Christina Meier

Von Eva-Christina Meier

Über ein Jahr lang erteilte der Künstler Xiaopeng Zhou einer Alzheimer-Patientin wöchentlichen Zeichenunterricht. Gemeinsam besuchten sie für erste Pflanzenstudien den Botanischen Garten. Mit Beginn des Lockdowns trafen sie sich zum Zeichnen in der Wohnung der über achtzigjährigen Dame. In der bildungsbürgerlichen Umgebung arrangierten sie Stilleben oder wählten Reproduktionen der europäischen Kunstgeschichte als Vorlage für die an Demenz erkrankte Schülerin aus.

In äußerst präzisen, aber luftigen Reportagezeichnungen dokumentierte der chinesische Künstler in Ausschnitten und mit hohem Weißanteil die regelmäßigen Zusammenkünfte. Seine Beobachtungen und die Gespräche mit der vielseitig interessierten Dame verwandelten die als Lohnarbeit begonnenen Treffen für ihn in ein inspirierendes Wechselspiel aus Lehren und Lernen. Entstanden ist eine vielschichtige künstlerische Auseinandersetzung mit Verlust, Sehnsucht und Vergänglichkeit.

Daraus entwickelte Xiaopeng Zhou für die Gruppenausstellung „BPA Exhibition 2021“ im KW Institute for Contemporary Art (die am 19. September zu Ende geht) eine Installation mit Videoprojektion. In der aktuellen Doppelausstellung „Good Copy/ Bad Copy“ im Ausstellungsraum „After the Butcher“ zeigt er nun eine größere Auswahl der Originalarbeiten – darunter Porträts der zeichnenden alten Dame, Bücher und Gegenstände in ihrer Wohnung, Blüten und Stillleben. Auch einige ihrer Zeichnungen finden sich unter den gleichmäßig als Block gehängten Blättern.

Doch es geht nicht um einen Vergleich von Können oder Kunstfertigkeit. Besonders deutlich wird dies in der ebenfalls gezeigten sehr persönlichen Videoarbeit des Künstlers. Darin reflektiert er das Verhältnis von Kopf, Hand und Linie beim Zeichnen, die Herausforderungen der Patientin wie auch seine eigene künstlerische Entwicklung. Vor seinem Abschluss an der Kunsthochschule Weissensee in Berlin 2014 hatte Xiaopeng Zhou die klassische Zeichenausbildung an der chinesischen Kunstakademie in Guangzhou durchlaufen.

Hände, Augen, Stoffe, Kleidung, Blumenbouquet und Stillleben

Einen spannenden Kontrapunkt setzt die Doppelausstellung in dem ehemaligen Ladenlokal im Stadtteil Lichtenberg mit den Arbeiten des feministischen Künstlerinnenduos Lydia Hamann & Kaj Osteroth. Ihr Medium ist die Malerei, das sie als Künstlerinnen und Kunsthistorikerinnen seit 2007 gemeinsam erforschen. 2018 veröffentlichten sie „Radical Admiration“, ein Buch, das aus der 2014 begonnenen Bildserie über elf sie inspirierende Künstlerinnen hervorging. Im selben Jahr waren sie auch auf der 10. Berlin Biennale vertreten.

Nun zeigen die Malerinnen in „Good Copy/ Bad Copy“ unter dem Titel „Glamshots“ eine Serie handlicher, in Öl auf Leinwand gemalter Formate, die Bezug nehmen auf die kaum repräsentierten weiblichen Künstlerinnen im umfassenden Sammlungsbestand der Berliner Gemäldegalerie – 20 von insgesamt 3.500 Bildern. Durch ihr beherztes Kopieren von Ausschnitten, Blicken und Gesten jener Gemälden treten Lydia Hamann & Kaj Osteroth in einen lebendigen Dialog mit den Werken von Anna Therbusch, Elisabeth Vigee-Lebrun, Angelika Kauffmann, Marie Latour, Anne Vallayer-Coster und Sofonisba Anguissola. Hände, Augen, Stoffe, Kleidung, Blumenbouquet und Stillleben. Unprätentiös in der Umsetzung und mit leuchtenden Farben richten Hamann und Osteroth malend den Blick auf die Leerstellen der Kunstgeschichte und eröffnen gleichzeitig Spielraum für Neuinterpretationen.

Auf der gegenüberliegenden Raumseite präsentiert das Duo eine frühere kleinformatige Gemäldegruppe mit der Anmutung von „Schnappschüssen“ aus den Florentiner Uffizien, die während des gemeinsamen Stipendienaufenthalts dort in der Villa Romana 2020 entstanden sind. Mutig und transparent geben Lydia Hamann & Kaj Osteroth mit ihrer eher flüchtigen, nicht um Perfektion bemühten Maltechnik wertvolle Einblicke in den dynamischen Entstehungsprozess ihrer Kunstproduktion. Die begreifen sie als kritischen Dialog und widerständige Praxis.

„After The Butcher“, Spittastr. 25, 10317 Berlin-Lichtenberg. Geöffnet nach Voranmeldung: www.after-the-butcher.de, bis 3. Oktober