Preisgekrönter Comic „Anna“: Vom Großsein als Frau

Mia Oberländers Comic „Anna“ erzählt mit feinem Humor von drei Frauen, die größer gewachsen sind, als es die gesellschaftliche Norm erlaubt.

Eine Zeichnung zeigt Alexander den Großen auf einem Pferd.

Immerhin metaphorisch ist Größe ja eine super Sache: Alexander der Große in „Anna“ Foto: Mia Oberländer/Edition Moderne

Ein riesiges Baby wird in Bad Hohenheim geboren und „Anna 2“ genannt. Doch auch wenn das merkwürdig klingt, lautet doch bereits die Überschrift des ersten Kapitels: „So ist es leider gewesen!“ Gleich zu Beginn ihre Comics „Anna“ stellt Künstlerin Mia Oberländer aus Hamburg in Wort und Bild klar, worum es auf den folgenden knapp 200 Seiten gehen wird: um ein ernstzunehmendes Größenproblem.

Bad Hohenheim, wo „die Kuh zufrieden auf der Weide schmatzt“ und „der Metzger den Kindern Lyoner schenkt“, ist eben klein und Anna 2 riesig, womit sie die gegenderte Größenordnung eines konservativen Bergdorfs Anfang der 1970er-Jahre sprengt.

Der Comic „Anna“ hat drei Protagonistinnen, die alle Anna heißen. Sicher nicht nur der Übersichtlichkeit halber hat Oberländer sie durchnummeriert: Anna 2 ist das Kind von Anna 1 und wird später selbst eines bekommen: die Anna 3. Während Nummer 1 in den 1960er-Jahren noch sehr unmittelbar mit ihrem auffällig langgliedrigen Kind zu kämpfen hat, schlägt sich Anna 2 auch noch Jahre später mit ihrer „schrecklichen Unproportionalität“ herum. Sie verlässt das Dorf und kommt doch wieder, mit Baby im Gepäck.

Doch die Zeiten ändern sich immerhin ein bisschen: Gut fünfzehn Jahre später profitiert Teenie-Anna-3 zumindest manchmal von ihrer Größe. So hat sie etwa kaum Probleme, in die Dorfdisco Tropico zu gelangen. Hier wagt sie erste Flirtversuche, um wenig später verliebt festzustellen, in Bademeister Marco endlich jemanden auf Augenhöhe gefunden zu haben. Und damit erst mal genug vom Plot.

Ungewolltes Auffallen

Der Comic ist irgendwas zwischen Portrait gleich mehrerer Generationen, Familienaufstellung und Coming-of-Age-Story. Schön ist, dass er sich auf nichts davon richtig festlegen lässt. In jedem Fall aber steht „Anna“ auch metaphorisch fürs Nicht-ganz-Reinpassen, für ungewolltes Auffallen, aber auch vermeintliches Drüberstehen.

Die Vorteile des Großseins einer Heidi Klum oder eines Alexanders des Großen stellen sich schnell als nichtig heraus, wenn man als vermeintlich zu große Frau den anderen Dorf­be­woh­ne­r:in­nen theoretisch auf den Kopf spucken könnte.

„Anna“ ist zwar durchaus eine Kritik am normativen Blick auf weiblich gelesene Körper, wächst zugleich aber über diese Kritik hinaus: weil der narrativ wie bildlich schnörkellose Stil Oberländers diese Erzählung, die die Künstlerin selbst als „graphischen Essay“ bezeichnet, sehr offen auf verschiedenste Aspekte einer zutiefst normativen Gesellschaft beziehen lässt. Als „Lehrstück“ und „Groteske mit Tiefgang“ lobte Andreas Platthaus den Comic in seiner Begründung für den Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung, mit dem „Anna“ kurz vor dem Erscheinen ausgezeichnet wurde.

Apropos schnörkellos, gezeichnet ist „Anna“ angenehm klar: viel weiße Fläche, Bleistift und reduzierter Farb­einsatz wirken nicht zurückhaltend, sondern entschieden. Gleichzeitig markieren die unterschiedliche Farbgebung und Stile die verschiedenen Jahrzehnte, durch die Oberländer in den zwölf Kapiteln nicht immer chronologisch springt.

Klug gestaltete Bildebene

So ist die Kindheit von Anna 1 in Schwarz-Weiß gehalten und die piefigen Spätfünfziger in Rostbraun, während Anna 3s Gegenwart farblich deutlich leichter daherkommt. Und auch ansonsten geht Oberländer ihr Thema auf der Bildebene klug an: Wenn etwa die Gliedmaßen von Anna 2 regelmäßig an die Ränder der Panels stoßen und Anna 3s lange Beine vom Berggipfel bis ins Tal reichen, zeugt das von mal schrägem, mal trockenem und immer feinem Humor, der diesen Comic einmal mehr lesenswert macht.

Und diese Komik zieht sich auch sprachlich durch. Da treffen Kalauer auf Lakonismen und beim Wort genommene Redewendungen auf ironische Kommentare, mit dem die Le­se­r:in­nen subtil adressiert werden.

Mia Oberländer: „Anna“, Edition Moderne, 220 Seiten, Flexcover mit Leseband, 25 Euro

„Wie eventuell aufgefallen ist, ist für große (!) Emotionen bislang nicht viel Platz gewesen …“, schreibt Oberländer und lässt durchscheinen, dass sie sehr genau über die Nüchternheit Bescheid weiß, die ihren Witz so besonders macht.

„Anna“ ist Mia Oberländers Debüt und im Rahmen ihrer Abschlussarbeit entstanden, mit der sie ihr Illustrationsstudium an der HAW in Hamburg beendet hat, wo sie bei Comiczeichnerin und Illustratorin Anke Feuchtenberger studierte. „Ich bin so froh, dass du mich lustig findest“, bedankt Oberländer sich im Impressum bei ihrer Professorin. Und ja, danke! – Da will man sich als Le­se­r:in gleich anschließen.

Erschienen ist „Anna“ diese Woche beim Schweizer Verlag Edition Moderne und ist dort mehr als gut aufgehoben. Bleibt nur zu hoffen, dass Oberländers Debüt nicht lange allein bleibt. Das Warten allerdings lässt sich übrigens bald auf dem Hamburger Comicfestival vertreiben, das vom 1. bis 3. Oktober stattfinden wird und das Mia Oberländer in diesem Jahr gemeinsam mit Helena Baumeister, Sascha Hommer und Ricarda Rowold leitet.

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