Mehr Steuergerechtigkeit: Reiche wollen zahlen

Zwei Organisationen fordern höhere Abgaben für Vermögende – und erhalten Zuspruch von Millionären.

Demonstrierende halten ein Transparent mit der Aufschrift: Wer hat, der gibt

Demo für Umverteilung im August in Hamburg: Reiche sollen mehr zahlen Foto: dpa

BERLIN taz | Wenn laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung Berlin nur ein Prozent der Deutschen 35 Prozent des Vermögens besitzen, läuft etwas falsch. Das scheinen nun selbst Mil­lio­nä­r:in­nen erkannt zu haben und fordern, endlich richtig besteuert zu werden. Vermögen, Erbschaften, Finanztransaktionen, nichts soll ausgelassen werden.

Zehn Steuerprivilegien für Reiche haben zwei Organisationen und und einige Dutzend Mil­lio­nä­r:in­nen ausgemacht. 80 Milliarden Euro entgehen dem Staat jährlich, verkünden Finanzwende, Netzwerk Steuergerechtigkeit und #taxmenow. Hinter dem Hashtag stecken 47 Millionär:innen, die gerne mehr Steuern zahlen würden. Darunter ist Stefanie Bremer, die einen mittelständischen Betrieb geerbt hat. „Unternehmen können nicht ständig Steuern vermeiden, nur um dann in Krisenzeiten gerettet zu werden“, sagt sie. Auch Bremers Betrieb hat von Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer profitiert.

Mit solchen Steuerfragen sollte sich die kommende Bundesregierung befassen. Denn 2019 wurden laut Finanzwende und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit de vererbten Betriebsvermögen über einem Wert von 20 Millionen Euro im Schnitt mit weniger als einem Prozent Abgaben belegt. Auch das Bundesverfassungsgericht findet das Erbschaftsrecht in seiner jetzigen Form falsch, schon seit einem Urteil 2014. Geändert hat sich seitdem aber nichts.

Oft argumentieren Ar­beit­ge­be­r:in­nen und Lobbyist:innen, dass es Ausnahmen brauche, um Arbeitsplätze zu sichern. Erbt jemand eine millionenschwere Firma und muss viel Erbschaftsteuer zahlen, ginge das nicht, ohne den Betrieb zu verkaufen und Arbeitsplätze zu gefährden. Doch die Steuer lässt sich stunden, und die vererbten Firmen erzielen in der Regel auf Dauer Gewinne.

Ungleichheit spaltet

Auch bei Wohnungen gibt es absurde Regeln. Mehr als 300 Wohnungen gelten als Betriebsvermögen. Hier schont der Fiskus die Besitzer:innen. Aber: Bei drei geerbten Wohnungen gilt die volle Erbschaftsteuer. „Das war eine regelrechte Lobbyschlacht“, erinnert sich Gerhard Schick von der Organisation Finanzwende, der das Aushandeln dieser gesetzlichen Regelung noch als Abgeordneter für die Grünen erlebte.

Allerspätestens seit Thomas Pikettys Ungleichheitsbibel „Kapital im 21. Jahrhundert“ wissen wir, dass global das Matthäus-Theorem gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Die reichsten 10 Prozent in Deutschland besitzen 65 Prozent des Vermögens. Das Nettoeinkommen der ärmeren 50 Prozent der Deutschen sinkt seit 20 Jahren real. Laut Vermögensverwalter Flossbach von Storch stiegen die deutschen Vermögenswerte allein von Anfang 2020 bis Anfang 2021 um satte 11,7 Prozent.

Das sind nur Fragmente. Feststeht: Ungleichheit spaltet. US-Präsident Ronald Reagans erfolglose Trickle-down-Politik, von Joe Biden 40 Jahre zu spät verdammt, hat die USA verschuldet und ungleicher gemacht. Die An­hän­ge­r:in­nen dieser Politik glauben: Je reicher die Reichen werden, desto mehr fällt für die unteren Schichten der Gesellschaft ab.

Eine Abkehr vom neoliberalen Zeitgeist wäre mal ganz nett. Dafür braucht es mehr Mil­lio­nä­r:in­nen wie Stefanie Bremer.

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