2G-Regel beim FC St. Pauli: 2G-eht gar nicht! Oder doch, Oke?
St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich geht konform mit den strengen Zugangsregeln des Hamburger Senats. Kann das wirklich wahr sein?
L ieber Oke, moin nach Hamburg. Lange nicht gesehen. Lange nichts gehört voneinander, eigentlich schade. Nach Deinem taz-Praktikum haben wir uns aus den Augen verloren. Du hast in Hamburg Karriere gemacht in der Musikbranche, bist sogar Präsident von St. Pauli geworden. Wow. Ich habe weiter Sport gemacht. Erst in der Berliner Zeitung, dann in der taz.
Klar haben wir damals blöde Namenswitze auf Deine Kosten gemacht und sind dann trotzdem zusammen Falafel essen gegangen. Ein „göttlicher“ Text, das. Du hast es sportlich genommen und weitergemacht, wenngleich es erkennbar nicht Dein Ding war, das journalistische Hackeln in einem Großraumbüro.
St. Pauli, wer wüsste das besser als Du, ist etwas Besonderes, ein fußballerischer Mythos. Da werden Dinge anders angepackt. Man setzt auf Inklusion, hasst Diskriminierung. Da findet man viele Sticker mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“. Der FC St. Pauli ist quasi der Fußballverein aller Alt-68er, die ihre Vision von einer besseren Welt in die Institutionen getragen haben.
Der FC St. Pauli ist ein „Weltpokalsiegerbesieger“, ikonografische Größe in der Republik und Vielfalts-Prahler. Wir kennen sie alle, die Geschichten vom Alternativ-Klub, und ich gebe zu, dass ich als Ostpflanze keinen großen Bezug zu den Erzählungen habe. St. Pauli ist mir fern und doch nah. Es reicht, Dich an der Spitze des Klubs zu wissen, um Signale aus Hamburg zu empfangen, niederschwellig zwar, aber egal, sie sind wahrnehmbar.
Der Druck auf Ungeimpfte steigt
Deswegen hat es mich getroffen, dass Dein Klub seine Fortschrittlichkeit, die in meinen Augen einen liberalen Touch haben muss, beim Thema Corona auf Wiedervorlage gepackt hat. Du hast die Hamburger 2G-Regel begrüßt. Am öffentlichen Leben kann nur noch teilnehmen, wer geimpft oder genesen ist. Gesunde sind raus, also gesunde Ungeimpfte. Sie können nicht mal mehr per Test den Nachweis erbringen, dass sie gesund sind und dann auf Einlass hoffen.
Normalerweise würde ja eine Fiebermessung reichen, aber gut. Gesunde werden jetzt von Ethikräten als Trittbrettfahrer bezeichnet und im Netz als unsolidarisches Pack verunglimpft. Die Inzidenz bei Geimpften, hast Du gesagt, zeige im Vergleich zu der bei Ungeimpften, „dass ein 2G-Modell ein logischer und sinnvoller Weg ist, die Normalität und Existenz vieler Veranstalter:innen in unserem Stadtteil größtenteils wieder herzustellen“.
Lieber Oke, Normalität wollen wir doch alle, schnell und umfassend, volle Stadien auch. Aber hier liegst du falsch: Es ist ein Gebot der Logik, dass die Inzidenz in einer Gruppe, die sich testen lassen muss, höher ist als in einer, die darauf verzichten darf. Diesen Unterschied als Argument für die Ausgrenzung von Ungeimpften anzuführen, ist mindestens unredlich.
Es gibt mittlerweile viele Hinweise, dass die Inzidenzen bei gleichem Testumfang ähnlich wären; sogenannte Impfdurchbrüche häufen sich. Es handelt sich ja eh um eine nicht sterile Impfung, die sicherlich ältere und vulnerable Gruppen schützen mag. Aber was sie nicht tut: Übertragungen verhindern.
Glaubst Du, dass es trotzdem geboten ist, eine Gruppe, die gute Gründe haben mag, sich nicht impfen zu lassen, auszusperren? Weil es gerade opportun ist, nicht zuletzt in Kreisen, die St. Pauli zugeneigt sind? Hast Du dabei nicht ein mulmiges Gefühl? Könnte das nicht grundsätzlich falsch sein? Ich finde es falsch. Es spaltet. Es treibt einen Keil in eine ohnehin zerklüftete Gesellschaft. Der Impuls reicht hinein ins Private, in Freundschaften und Beziehungen.
Ich war wohl naiv, ich dachte, St. Pauli würde gegen Sortierversuche aufbegehren. Stattdessen willst Du, lieber Oke, Stadion-Areale schaffen nur für Ungeimpfte. Sonderzonen. Ernsthaft? Ich mag das nicht glauben. Sei herzlich gegrüßt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen