piwik no script img

Die Wohlfühlzone ist weg

Die Autos kehren zurück auf die Martinistraße – über den Erfolg des zweiwöchigen Events wird gestritten. Dass hier jemals die Tram entlang fährt, wird immer unwahrscheinlicher

Alles so schön grün hier! Aber so durfte die Martinistraße nur zwei Wochen aussehen Foto: Sina Schuldt/dpa

VonJan Zier

Nicht alle haben das Experiment auf der Martinistraße überhaupt schon verstanden: „Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus?“, ruft der ältere Herr, der am Montagmorgen auf seinem Rad die Straße entlang rollt. Dort wird gerade die Surfwelle abgebaut, der Rollrasen wieder eingerollt, der Sand zusammengekehrt. Die Liegestühle sind schon weg. Der eigentliche Verkehrsversuch in der Innenstadt kann beginnen. Menschen wie jener ältere Herr sollen am Ende profitieren – und die Autos schrittweise von der Straße verdrängt werden.

„Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus?“, ruft der ältere Herr auf dem Rad

Das offizielle Bremen und auch die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen des zweiwöchigen Events sind freilich zufrieden: „Als sehr positiv“ bewertet etwa die grüne Stadtentwicklungssenatorin Maike Schaefer die Aktion. „Es ist gelungen, viele Menschen an die Martinistraße zu locken, um diese mal ganz anders zu erleben – eben nicht als lärmumtosten Straßenraum.“ Zugleich sei die Innenstadt von einem jungen Klientel belebt worden. Auch der Verein „Sternkultur“, der die Aktion für das grüne Ressort organisiert hat, spricht von einem „vollen Erfolg“ – die Surfwelle auf der Martinistraße war vollkommen ausgelastet, 650 Menschen durften hier einmal mitten in der Stadt Wellen reiten. Die Einnahmen daraus kommen den Schwimmkursen der bremischen Schwimmvereine zugute. Sternkultur spricht von einer „guten Stimmung“ bei den Teilnehmenden und den Zu­schaue­r:in­nen und „entspannten Momenten“ im temporären Stadtgarten auf der Kreuzung Heimlichenstraße/Pieperstraße. Die neugeschaffenen, bewusst konsum­freien Flächen seien von den Gastronomiebetrieben entlang der Straße „als ein Mehrwert erfahren worden“. Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) spricht von einem „Erfolg“ – auch wenn ein paar autofreie Tage alleine „noch gar nichts“ brächten, wie VCD-Sprecher Malte Halim sagt.

Der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Jens Eckhoff sprach auf Facebook dagegen von einem „Fehlstart bei der autofreien Innenstadt“ und auch die Handelskammer findet das Ergebnis „bestenfalls dürftig: Das kann man nicht schönreden“, sagt der Innenstadtbeauftragte Olaf Orb. Die Gewerbetriebe entlang der Martinistraße seien „eher enttäuscht“, die Belegung des Parkhaus sei „deutlich reduziert“ gewesen, ohne dass die Autofahrer deswegen woanders geparkt hätten – es seien also weniger Menschen mit dem Auto in die Innenstadt gekommen, so Orb. Zwar sei der Verkehr in der Innenstadt „nicht zusammengebrochen“. Orb hält die 1,3 Millionen Euro, die der Verkehrsversuch insgesamt kostet, für „rausgeworfenes Geld“. Bremen habe wertvolle Zeit verloren – denn wie es auf der Martinistraße weitergeht, wird erst im kommenden Jahr entschieden. Die Handelskammer fordert einen Rückbau der vier auf zwei Spuren und Tempo 30, dazu einen breiten Fuß- und Radweg.

So sieht erst einmal die Zukunft auf der Martini­straße aus: ein Fahrstreifen für Autos, daneben einer für Räder Foto: Jan Zier

Diese Änderung kommt jetzt auch ab Mittwoch – ist aber bis September befristet, und die Geschwindigkeit wird sogar auf 20 Stundenkilometer beschränkt. Bis Ende November wird die Martinistraße dann zur Einbahnstraße in Richtung der Bürgermeister-Smidt-Brücke. Von November bis April gilt zwar wieder: zwei Spuren, zwei Richtungen, aber für einzelne Aktionen wird die Martinistraße auch dann wieder für Autos gesperrt.

Unwahrscheinlich ist indes die von der CDU geforderte und vom VCD abgelehnte Verlegung der Straßenbahn aus der Obern- in die Martinistraße: Sie würde laut Verkehrsressort 50 Millionen Euro kosten, auch ohne Klage mindestens acht Jahre dauern, den Autoverkehr stauen und der Barrierefreiheit schaden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen