Umgang mit rechter Gewalt: Eine Frage der Verantwortung

Rechte Gewalt geht nicht nur von jenen aus, die sie ausführen, sondern auch von denen, die das Klima für sie bereiten. Ein Umgang damit fehlt bislang.

Rauchschwaden bei einer eskalierten Coronademo in Berlin.

Risse im Korpsgeist: Polizisten einer Einsatzhundertschaft bei einer Demonstration in Berlin Foto: Theo Heimann

Es gibt eine neue Gewissheit hierzulande. Die Gewissheit, dass kein Monat ohne einen rechtsradikalen Polizeiskandal vergeht. Mitte Juli war es eine Berliner Poli­zis­t:in­nengruppe. Erneut. Ein Dutzend Be­am­t:in­nen soll rechtsradikale Chatnachrichten ausgetauscht haben. Es ist das dritte Mal in anderthalb Jahren, dass diese Berliner Zustände publik werden. Und im Zuge der Aufarbeitung der rechtsextremen SEK-Zustände in Hessen schaffte man es Mitte Juni, gleich für den nächsten Vorfall zu sorgen. Der Wiesbadener Polizeipräsident Stefan Müller, der das SEK eigentlich neu aufstellen soll, begann seine Arbeit mit dem rassistischen Spruch, es müsse niemand von den Be­am­t:in­nen fürchten, dass nun „das Spiel der zehn kleinen N****“ starte.

Zu diesen Normalzuständen bei deutschen Ordnungskräften – skandalös als Einzelfälle ausgegeben – gesellt sich das Bestreben, bereits ausgeführte rechte rassistische Gewalt nicht nur als Akte von Einzeltätern zu deuten, sondern auch den Beweggrund dazu im Individuum zu verorten.

Der Hanauer Attentäter ermordete am 19. Februar 2020 zehn Menschen, neun davon aus rassistischen Gründen, die zehnte Person, seine Mutter, aus mutmaßlich antifeministischer Motivation heraus. Das BKA spricht von einer „eindeutig rechtsextremistischen“ und rassistischen Tat, der Täter habe aber keine typisch rechtsextreme Radikalisierung durchlaufen. Immer wieder werden sein Hang zu Verschwörungstheorien und seine krankhaften Wahnvorstellungen herangezogen.

Auch das von der Bundesanwaltschaft in Auftrag gegebene psychologische Gutachten attestiert dem Täter eine paranoide Schizophrenie als Grundlage für sein Handeln, auf die eine „rechtsradikale Ideologie“ aufgesetzt gewesen sei. Und der Psychiater Manfred Lütz schrieb am 5. Juli in der FAZ: „Denn sowenig jemand, der vor hundert Jahren unter dem Wahn litt, der Kaiser von China zu sein, ein Monarchist war, so wenig war der Hanauer Täter genuin rechtsradikal und ausländerfeindlich.“

Gekränkte Männlichkeit

Die Reaktionen auf den Anschlag verdeutlichen also in vielerlei Weise den aktuellen Umgang mit rechter Gewalt. Die Strukturen, in denen die Täter sich bewegen und von denen sie beeinflusst werden, darunter staatliche Institutionen oder parteipolitische Programme, finden kaum Beachtung. Doch es ist nicht so, dass der Hanauer Attentäter schizophren war und dann rassistisch handelte. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit trägt immer einen Wahn in sich.

Blumen, Kreuze und Kerzen auf der Straße erinnern an die Opfer von Hanau

In Hanau tötete ein Täter 2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven Foto: Patrick Scheiber/imago

Es ist auch kein Zufall, dass jene, die die Taten ausführen, fast allesamt Männer sind. Eine gewalttätige gekränkte Männlichkeit charakterisiert sie. Solche Männer fühlen sich als Verfechter der guten Sache, und indem sie Selbstjustiz üben, sehen sie sich als die Gerechten ihrer Zeit. Sie sind Durchschnittsbürger. Sie sind einer unter Unzähligen, einer, der all diejenigen heimsucht, „die nicht unschuldig sind, das heißt diejenigen, die nicht weiß“ und nicht männlich sind, wie es die französische Philosophin Elsa Dorlin in ihrem Buch „Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt“ benennt.

Dass seit geraumer Zeit die Zustände bei Polizei, Bundeswehr, Berufsfeuerwehr publik werden, verweist neben dem strukturellen Rassismus auch auf eine intern veränderte Wahrnehmung. Wäre das nicht so, würden dort gängige Verhaltensmuster kaum öffentlich werden. Der Korpsgeist bekommt Risse, gebrochen ist er nicht.

In die gleiche Richtung tendiert das Bemühen der staatlichen Stellen, gezieltere Schläge gegen rechte bewaffnete Strukturen umzusetzen. Im Zuge dessen gab es Razzien, Festnahmen und Verbote, von der Gruppe Freital bis Gruppe S, und sogar das längst überfällige Verbot von Combat 18. Keineswegs agiert der starke Staat hingegen rigoros, wie erst jüngst ein Bericht der antifaschistischen Rechercheplattform Exif über das international verbundene Neonazinetzwerk Hammerskins darlegte. Obwohl ausreichende Informationen für ein Verbot vorlägen, so die Plattform, bestehe „weder der Wille, die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren, noch das Handeln der Gruppe zu unterbinden“.

Dass staatliche Stellen gegen andere staatliche Stellen und rechte Strukturen vorgehen, hat, neben einer zumindest verkündeten neuen Sensibilität, auch etwas mit dem Erfüllen einer grundlegenden Funktion zu tun: dem Beweis von Handlungsfähigkeit. In etwa ist das auch die Aufforderung der Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on zur Polizei in Hessen. Deren Vizevorsitzender Jerzy Montag sagte: „Noch sind es Einzelne und organisierte Minderheiten, aber es gilt, den Anfängen zu wehren.“

Kein weitsichtiges Vorgehen

Wie stark diese Handlungsfähigkeit eines geforderten starken Staates tatsächlich in die Organe hineinwirken wird und ob dies zu internen Machtkämpfen führt, bleibt abzuwarten. Die höchsten staatlichen Stellen im Land haben kein Interesse an einer Umsetzung der Bürgerkriegsfantasien der organisierten Rechten. Die Frage ist also vielmehr, ob sie den institutionellen Mittelbau und lokale Akteure in den Griff bekommen oder ob diese bei einer Nichtzerschlagung ihrer Strukturen Schauplätze rechter Gewalt entstehen lassen.

Noch gibt es keine 180-Grad-Wende, kein umfassendes und weitsichtiges Vorgehen gegen rechte Gewalt. Dazu müssten zuallererst neue Fragen gestellt werden.

Rechte Gewalt geht nicht nur von jenen aus, die sie ausführen, sondern auch von denen, die das Klima für sie schaffen. Es besteht eine kommunikative Beziehung zwischen dem, was in der Öffentlichkeit diskutiert oder von Einzelpersonen wie Po­li­ti­ke­r:in­nen in sie hineinkommuniziert wird, und dem, was letztlich auf virtuellen Plattformen, in Polizeizusammenhängen, in Häusern von Burschenschaften besprochen wird. Diese Orte der internen Debatte schweben nicht im Vakuum, sie sind die Fortführung und nicht die Absonderung des gesellschaftlichen Raums.

Um diesen Zusammenhang und der im Anschluss erfolgten Gewalt in ihrer Komplexität gerecht zu werden, ist das in den USA entwickelte Konzept des „stochastischen Terrorismus“ nützlich. Massenkommunikationsmittel werden demnach verwendet, um indirekt Einzelpersonen zu terroristischen Akten zu bewegen. Das Zur-Tat-Schreiten ist dann „statistisch vorhersehbar, aber individuell unvorhersehbar.“

Als stochastischer Terrorist gilt dabei nicht der, der zur Tat schreitet, sondern die Person, die die entsprechenden Signale über die Medien sendet. Und weil es keine direkte Verbindung zwischen dem stochastischen Terroristen und seinem Zielobjekt, dem Gewalttäter, gibt, kann Ersterer auch jegliche Verantwortung abstreiten. Die angesprochene Person kann dann für eine Ausdifferenzierung rechter Gewalt stehen – wie bei Halle und Hanau, wo der Täter nicht unmittelbar Teil einer organisierten Struktur vor Ort war – oder für die Fortdauer traditioneller rechter Gewalt – wie im Falle des NSU oder im Fall Kassels, wo sich die Täter in einem lokalen, regionalen und bundesweiten Netz bewegten.

Anschub für Radikalisierungsprozesse

Auf eine Kleine Anfrage der FDP, ob und inwiefern die Bundesregierung das Phänomen des stochastischen Terrorismus gesondert untersucht, antwortete diese Ende Mai 2020, dass die Begrifflichkeit „keine Anwendung“ findet, da „sämtliche Tatfolgen“ bereits jetzt schon „eindeutig eingeordnet und bearbeitet werden“.

Selbstverständlich findet der Begriff keine Anwendung. Täte er das, müsste gefragt werden, wer hierzulande als stochastischer Terrorist gilt. Träfe das allein auf die AfD zu? Oder würden auch ein Bis-zur-letzten-Patrone-Horst-Seehofer, ein Nein-zur-doppelten-Staatsbürgerschaft-Roland-Koch oder gar das komplette Gesetzespaket zur Untergrabung des Rechts auf Asyl Anfang der 1990er Jahre mit darunter fallen?

Wird dem Umstand Beachtung geschenkt, dass genau in solch einem durch die Politik aufgeladenen Kontext das spätere NSU-Kerntrio seinen Radikalisierungsprozess durchschritt und auch die Morde von Kassel, Halle und Hanau zu einer Zeit erfolgten, in der nicht nur der rassistische Diskurs als salonfähig gilt, sondern gleichermaßen die rassistische Abschottungspolitik im europäischen Mittelmeerraum ihre Hochphase erlebt, kommt unweigerlich die Frage auf, welche zukünftige Generation an Mördern durch die stochastischen Ter­ro­ris­t:in­nen unserer Gegenwart die Bestätigung und den Anschub für ihren Radikalisierungsprozess erfährt.

Für eine tatsächliche Problembekämpfung bedarf es neben dem Blick auf die materiellen (ausführenden) und intellektuellen (befehlsgebenden), ebenfalls den auf die diskursiven (legitimierenden) Täter:innen. Das macht das Problem nicht einfacher behebbar: Aber Lösungsansätze wären konsequenter und angemessener als es jetzt der Fall ist.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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