EU-Gipfel in Brüssel: „Das betrübt mich etwas“

Der deutsch-französische Vorstoß zu einem Treffen mit Putin ist gescheitert. Annäherung gibt es mit der Türkei: Ankara darf auf Milliarden hoffen.

Mark Rutte, der niederländische Premierminister in Brüssel

Foto: Jonas Roosens/ANP/imago

BRÜSSEL taz | Die Europäische Union hat einem Gipfeltreffen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin eine Absage erteilt. Ein deutsch-französischer Vorstoß zu direkten Gesprächen mit Putin ist nach zweitägigen, hitzigen Beratungen beim EU-Gipfel in Brüssel gescheitert. Kanzlerin Angela Merkel reagierte enttäuscht. „Das betrübt mich etwas“, sagte sie. Selbst zur Zeit des Kalten Krieges habe es stets Gesprächskanäle mit Russland gegeben, betonte Merkel.

Für die Kanzlerin war es wohl das letzte EU-Treffen ihrer Amtszeit, die mit der Bundestagswahl im September endet. Gemeinsam mit Staatspräsident Emmanuel Macron wollte sie US-Präsident Joe Biden nacheifern, der Putin Mitte Juni in Genf getroffen hatte. Es reiche nicht aus, sich von Biden „briefen“ (informieren) zu lassen, sagte sie. Die EU müsse selbst das Gespräch mit Putin suchen. Dies sei auch eine Frage der viel beschworenen Souveränität.

Doch der Plan, der offenbar schlecht vorbereitet war, stieß auf heftigen Widerstand. Polen, die baltischen Staaten und sogar die Niederlande lehnten direkte Gespräche ab. Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins warnte, Zugeständnisse ohne Gegenleistung sehe der Kreml nicht als Zeichen von Stärke. Vielmehr könnten sie als Belohnung verstanden werden. Merkel wies das zurück. Bidens Treffen sei auch keine Belohnung gewesen.

Die Gespräche mit Putin sollten sich nach den deutsch-französischen Plänen vor allem um Themen drehen, bei denen die EU Russland braucht – etwa den Klimaschutz, das Atomabkommen mit Iran oder Syrien und Libyen. Gleichzeitig haben Paris und Berlin vorgeschlagen, neue, auch wirtschaftliche Sanktionen vorzubereiten. Diesen offensiven Teil hat der EU-Gipfel beschlossen, der Dialog wurde verworfen.

Erdoğan darf mit neuen Milliarden aus Brüssel rechnen

Damit geht von dem EU-Treffen, anders als von Merkel erhofft, kein Entspannungs-Signal aus. Vielmehr dürften sich die Beziehungen zu Russland weiter verschlechtern.

Eine Annäherung zeichnet sich dagegen mit der Türkei ab. Präsident Recep Erdoğan darf sogar mit neuen Milliardenhilfen aus Brüssel rechnen. Für die Versorgung von Flüchtlingen und einen verstärkten Grenzschutz sind weitere drei Milliarden Euro vorgesehen. Im Zuge des umstrittenen Flüchtlingsdeals, den Merkel 2016 mit Erdogan ausgehandelt hatte, sind bereits sechs Milliarden Euro geflossen. Dieser Deal soll nun verlängert werden – er wird zu Merkels Vermächtnis in der Flüchtlingspolitik.

Überschattet wurde der EU-Gipfel von einem heftigen, ungewöhnlich emotionalen Streit mit Ungarn. Regierungschef Viktor Orban wurde von Merkel, Macron und den meisten anderen Staats- und Regierungschefs beschuldigt, LGBT-Menschen zu diskriminieren und damit die Grundwerte der EU zu verletzen.

„Das war keine diplomatische Diskussion, das war ziemlich konfrontativ“, sagte Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo. Er habe eine derartige Auseinandersetzung bei einem EU-Gipfel noch nicht erlebt. Lediglich Polen habe Ungarn unterstützt – und Slowenien (das am 1. Juli den EU-Vorsitz übernimmt) „ein wenig“.

Selbst zur Zeit des Kalten Krieges habe es stets Gesprächskanäle mit Russland gegeben, betonte Merkel

Die Niederlande brachten dagegen einen Ausschluss Ungarns aus der EU ins Spiel. Der wegen diverser Affären angeschlagene niederländische Premier Mark Rutte rief Orban auf, wie Großbritannien ein Austrittsverfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags einzuleiten, wenn er die europäischen Werte nicht achten wolle.

Allerdings kann Rutte Ungarn nicht zum Exit zwingen. Das EU-Recht sieht keinen Rauswurf aus der Union vor. Der EU-Gipfel kann auch kein Vertragsverletzungsverfahren wegen der umstrittenen ungarischen Gesetzgebung einleiten. Dies will nun die EU-Kommission tun. Das Verfahren kann aber nur zu Geldstrafen führen, nicht zum Ausschluss.

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