Leben nach den Lockdowns: Völlig aus der Übung

Unser Autor muss wegen Corona soziale Interaktion wieder üben. Obwohl er seine Freunde vermisst hat, merkt er auch, dass er intoleranter geworden ist.

Verschiedene Menschengruppen sitzen im Park

„Schon körperlich brauchst du eine Mordskondition, um auf Kommando sozial derart zu explodieren.“ Foto: Catlin Ochs

Neulich las ich, wie schwer es uns nun fallen dürfte, den ganz normalen Umgang miteinander wieder auf das Level vor der Pandemie zu bringen. Dass man simpelste soziale Skills völlig neu erlernen müsse.

Das wundert mich überhaupt nicht. Gerade Jüngere – ich seh das ja von meinem Balkon aus – ziehen bei jeder Begegnung eine irre Show ab. Ich stelle mir das anstrengend vor, wie sie da schrill – „hey!“ und „nein!“ und „is nicht wahr!“ und „toll!“ – quiekend Begeisterung faken; im Anschluss folgt so eine Art Affentanz aus rituellem Rubbeln, Power Hugs und Liebkosungen aus dem ganzen weiten Reich der Liebe.

Ich denke mir dann oft, dass die sich in Wahrheit wahrscheinlich weder besonders mögen, noch gut kennen, doch das ist nur mein Bauchgefühl. Beweisen kann ich es nicht. Es dürfte jedenfalls nicht so leicht sein, das nun wieder auf ein dermaßen exaltiertes Niveau hochzufahren.

Also schon allein körperlich brauchst du da ja eine Mordskondition, um auf Kommando sozial derart zu explodieren. Seilspringen, Karate, Stimmübungen, Adrenalinspritzen und dazu noch einen Guru oder Mentalcoach – anders kommt man doch nie wieder auf das Leistungsvermögen vor den Lockdowns. Aber selbst ich habe mich gefreut, meine Leute wiederzusehen. Das gebe ich zähneknirschend zu, weil ich tu ja immer gerne so, als bräuchte ich niemanden. Brauche ich aber doch, sehr sogar.

Noch „rechts“ oder schon „rechtsextrem?“

Leider fällt mir im analogen Life noch mehr auf, wie rechts die meisten eigentlich sind. Ich mag sie ja gern, aber genervt bin ich trotzdem, nicht zuletzt von meiner eigenen, im Netz konditionierten Intoleranz, die ich nun wohl wieder zu bändigen lernen muss, da ich es mit echten Menschen zu tun habe.

Unter „rechts“ verstehe ich übrigens old school einfach nur „nicht links“. Zu meiner Zeit, sprich im vorigen Jahrtausend, sprach man von „rechts“, wenn man CDU/CSU oder FDP meinte, und heute bezöge das sicher noch die SPD sowie den völkisch-rationalen Schwabenflügel der Grünen mit ein. Wer hingegen „rechtsextrem“ meinte, sagte auch „rechtsextrem“.

Jedenfalls fällt am Tisch einmal mehr erschreckend un­ironisch das Modebegriff „Cancel Culture“, dieser eitle Popanz, den inzwischen jeder alte Knalldepp „Känzel Kaltscher“ krächzend heraufbeschwört, sobald nur irgendwo jemand andeutet, er habe nicht so richtig Bock auf gemeinsamen Fun von und mit Arschlöchern. Ich muss jedes Mal versuchen, bei dem Quatsch nicht auszurasten, sonst habe ich am Ende gar keine Freunde mehr.

In der Öffentlichkeit Pfoten vom Puller

Überhaupt müssen auch wir Älteren die zivilen Abläufe erst wieder üben. So will ich meinem lieben Kollegen die Hand geben, sause aber glatt vorbei, und treffe mit Schwung den Solarplexus. Peinlich. „Oh, sorry“, sage ich, „ich bin total raus, ich muss das alles erst wieder lernen.“

Wie ging das denn gleich noch mal: in der Öffentlichkeit Pfoten vom Puller, Zeitung ins Altpapier, und was noch? Ich nehme mir vor, einen Riesenteddy vom Rummel zu besorgen, wenn der endlich wieder aufmacht. Und mit dem trainiere ich dann die Basics. Von der Pike auf und bis zum Erbrechen. Erst verbale Begrüßung, „hallo“, „guten Tag“, „wie geht’s?“, „schon geimpft?“

Dann die dazugehörige Choreo wie aus der Ferne zunicken, nur so kurz winken, Hand geben, umarmen, Küsschen, Luft, Wange, Mund, Zunge und Klaps auf’n Po; danach Sprechcoaching: Smalltalk, Themenwahl, Diskussion, Streit, Flirt und am Ende eigentlich immer Geschlechtsverkehr, bis der Teddy brummt. Da will ich irgendwann natürlich wieder hinkommen.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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