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Kompetenz für jüdische Baukultur

Die Forschungsstelle Bet Tfila in Braunschweig forscht seit den 1990ern zu sakraler und säkularer jüdischer Architektur. Dabei kooperiert sie eng mit dem Center for Jewish Art in Jerusalem und mit dem Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Bedarf an der Expertise gibt es genug: Für die Planung jüdischer Gemeindezentren liefert Bet Tfila das rituelle Basiswissen

Von Bettina Maria Brosowsky

Unter den coronabedingten Einschränkungen leidet auch das Programm zum laufenden 1.700-jährigen Jubiläum jüdischen Lebens in Europa und Deutschland, Veranstaltungen finden meist digital statt. So konnte man etwa, durchaus originell, mit „Star-Koch Tom Franz“ gemeinsam per Zoom kochen und historische Rezepte der deutschen Jüdinnen und Juden ausprobieren.

Der jüdischen Kultur, besonders ihrer sakralen und säkularen Architektur, gilt seit den 1990er-Jahren das wissenschaftliche Interesse der Forschungsstelle Bet Tfila an der Technischen Universität Braunschweig, Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umwelttechnik. Ihr Name bedeutet „Haus des Gebetes“, sie entstand aus seminaristischer Arbeit am Institut für Baugeschichte und wird nun durch sogenannte Drittmittel und einen Förderverein getragen.

Ursprünglich sollten während der NS-Pogrome 1938 geschändete und später abgerissene Synagogen in Deutschland zeichnerisch dokumentiert werden, auf Vorschlag Studierender wurden sie, wie auch internationale Referenzbauten, dann als großmaßstäblich detaillierte Modelle in Holz gebaut. So ist ein Fundus von über 30 Exemplaren herangewachsen, alle im identischen Maßstab 1:50. Sehr augenfällig wird so der immense Größenunterschied der Gebetshäuser deutlich. Er reicht von der kleinen Synagoge der Jacobsonschule in Seesen, einem Nukleus reformjüdischen Ritus in Europa, bis zum gigantischen Tempel Emanu-El in New York, dessen Modell mehr als einen großen Arbeitstisch beansprucht. Die Stücke sind beliebte Ausstellungsobjekte, demnächst etwa in Gelsenkirchen im Rahmen des Jubiläumsjahres.

Enge Kooperationen

Seit langem dabei ist die promovierte Architektin Katrin Keßler. Neben bauhistorischen Themen interessiert sie sich aktuell für die „Jüdische Topographie Niedersachsens“ die Person Emilie Esther, genannt Galka, Scheyer (1889–1945). Die gebürtige Braunschweigerin aus gut situiertem Hause ging 1924 in die USA, sie gehört, ähnlich Peggy Guggenheim, zu den großen Kunstmäzeninnen des 20. Jahrhunderts. Ein digitaler Rundgang wird ihre Lebensstationen in Braunschweig nachzeichnen.

Keßlers Kollegin Kamila Lenartowicz widmet sich jüdischer Baukultur in Ostpreußen, mit den Architekten wie Bauhistorikern Ulrich Knufinke und Mirko Przystawik ist das wissenschaftliche Team, ergänzt um studentische Hilfskräfte, auch schon komplett.

Seit 2005 als bilaterale Forschungsstelle gemeinsam mit dem Center for Jewish Art an der Hebrew University of Jerusalem geführt, besteht seit mehr als zehn Jahren eine enge Kooperation mit dem 1966 gegründeten Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) der Universität Hamburg, nach Selbstdarstellung die älteste und lange Zeit einzige wissenschaftliche Einrichtung dieser Art in Deutschland.

Die Bandbreite der Forschungsthemen spiegelt sich in der aktuellen digitalen Vortragsreihe „Jüdisches Bauen – Architekten und Architekturen“. Dort berichtete Keßler mit Alexandra Klei über Bauten sozialer Daseinsvorsorge – etwa Schulen, Kultur- und Sporteinrichtungen –, die zum Programm jüdischer Gemeinden zählen. Przystawik rekapitulierte die Geschichte der 1906 eingeweihten Synagoge am Bornplatz, deren rekonstruierender Neubau derzeit kontrovers diskutiert wird, sowie die Vita des Hamburger Architekten Semmy Engel. Ihm gelang 1938 die Emigration nach England. Am 1. Juli ging die Reihe mit einem Werkbericht der Architekturprofessorin Andrea Wandel zu Ende, deren Büro Synagogen-Neubauten in Dresden und München verantwortet hat.

Lebenswege im Exil

Am Hamburger Institut forschen Keßler und Przystawik zu jüdischen Architekt:innen, ihren Ausbildungs- und Professionalisierungswegen bis zur Verfolgung und Emigration nach 1933. Zwar wurde im Zuge des Bauhausjubiläums 2019 ein Wirken, aber auch Scheitern, jüdischer Ar­chi­tek­t:in­nen im Exil – in Palästina, später Israel, oder den USA – partiell thematisiert, eine systematische Untersuchung steht aber noch aus.

Mit Ulrich Knufinke wiederum ist Keßler im Vorstand des 2016 in Braunschweig ins Leben gerufenen Israel Jacobson Netzwerkes institutioneller, kommunaler wie privater Mitglieder, das sich der Geschichte des humanistisch aufgeklärten, liberalen Judentums zwischen Harz und Heide widmet. Das wären aber nur einige Verflechtungen der Forschungsstelle.

An der TU Braunschweig wird die Bau-Expertise des Bet-Tfila-Teams auch interdisziplinär angewandt. Wenn, wie derzeit am Institut für Entwerfen und Raumkomposition unter der Leitung von Volker Staab, sowohl als Bachelor- als auch Masterarbeit jüdische Gemeindezentren entworfen werden, liefert die Forschungsstelle das nötige rituelle Basiswissen. Standorte sind historische Stellen in Hildesheim, Berlin und Hamburg, in der Hansestadt ist es sowohl die Poolstraße als auch der Bornplatz.

Bedarf für Kompetenz

Wünschenswert, so die Bauforscher:innen, wäre natürlich eine Vertiefung, etwa in einen baugeschichtlich typologischen vor dem entwurflichen Teil, denn die Auslegungen des jüdischen Glaubensbekenntnisses sind so vielfältig wie in den christlichen Religionen.

War das liberale Judentum, herausgebildet im 18. und 19. Jahrhundert, bis zum Holocaust die vorherrschende Richtung in Deutschland, so wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg die orthodoxe, sie ist heute wohl die dominante. Durch die Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der zerfallenden Sowjetunion zu Beginn der 1990er-Jahre stieg zwar die Zahl nichtorthodox Gläubiger, seit 2007 schwinden jedoch überall die Mitgliederzahlen. Der Mediendienst Integration schätzt die jüdische Gesamtbevölkerung in Deutschland auf etwa 225.000 Personen, der Zentralrat der Juden zählt knapp 100.000 in gut 100 Gemeinden organisierte Jüdinnen und Juden.

Anders als die baulich gut versorgten christlichen Kirchen, die mit überzähligen Gotteshäusern zu kämpfen haben, herrscht in jüdischen Gemeinden Nachholbedarf. In Dessau wird in Kürze mit dem Bau der kleinen Weill-Synagoge mit 90 Plätzen begonnen, in Magdeburg soll bis 2023 ein weiterer Neubau in Sachsen-Anhalt folgen. In München überraschte im letzten Sommer die 600 Mitglieder starke liberale Gemeinde Bet Shalom mit einem Entwurf des US-amerikanischen „Star-Architekten“ Daniel Libeskind: ein Gemeindezentrum wie ein bayerischer Bergkristall.

Aber keiner dieser Neubauten wird auch nur annähernd die Dimension der geplanten Synagoge am Hamburger Bornplatz erreichen, ihr 40 Meter hoher Kuppelbau bot einst mehr als 1.000 Gläubigen Platz. Wie beurteilen also Katrin Keßler, Ulrich Knufinke und Mirko Przystawik das Vorhaben? Diplomatisch enthält sich die Forschungsstelle eines offiziellen Kommentars. Przystawik betont jedoch die mediokre Architektur im Geiste des 19. Jahrhunderts, die Stilmelange aus Neoromanik und Renaissance-Elementen fand schon in der bauzeitlichen Rezeption kaum Beachtung. Knufinke bewegt die Erinnerungskultur am historischen Ort und die Wahl der „sakralen Würdeformel“. Wer mag sich langfristig mit einem Rückgriff identifizieren?

Infos: http://www.bet-tfila.org, http://www.igdj-hh.de

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